H. Es war einmal …
(Literarische Parodien 1905–1989)
H 1. Es war einmal ein Bäcker (1905)
Text: Frank Wedekind (1864–1918)
Altes Lied | ||
1. | Es war einmal ein Bäcker, | |
Der prunkte mit einem Wanst, | ||
Wie du ihn kühner und kecker | ||
Dir schwerlich träumen kannst. | ||
2. | Er hat zum Weibe genommen | |
Ein würdiges Gegenstück; | ||
Sie konnten zusammen nicht kommen, | ||
Sie waren viel zu dick. |
Frank Wedekind: Die vier Jahreszeiten. Gedichte. Berlin: Cassierer 1909 [Erstdruck: München 1905], S. 105.
DVA: B 50664
Editorische Anmerkung:
Wedekinds Version, warum die beiden nicht zusammenkommen konnten, entspricht dem Bild, welches später auch der Karikaturist Olaf Gulbransson von den "Königskindern" zeichnete (s. Abb. 3). Das Motiv lebte noch bis in die 1970/80er Jahre fort, als auf der Schallplattenserie "Ohne Hemd und ohne Höschen" verschiedentlich eine Neufassung als Partyschlager verbreitet wurde, in der "ein dicker Koch" sich "ein dralles Mädchen" sucht – mit gleichem Ergebnis: "sie konnten zusammen nicht kommen, denn sie waren beide zu dick".
H 2. Sie hatten bereits zwei Kinder (1967)
Text: Dieter Höss (* 1935)
Lied von der Vergeblichkeit | ||
| ||
Melodie: Es waren zwei Königskinder | ||
| ||
1. | Sie hatten bereits zwei Kinder | |
und wußten nicht aus noch ein: | ||
Die sollten so bald nicht kommen, | ||
die Wohnung war viel zu klein. | ||
2. | Da lasen sie die Annonce, | |
die war, wie alle sind: | ||
Komfortwohnung abzugeben | ||
an Ehepaar ohne Kind. | ||
3. | Die Mutter ging zum Vermieter, | |
der Vater ging an den Rhein | ||
und warf ein Kind ins Wasser, | ||
das andere hinterdrein. | ||
4. | Dann kehrte die Mutter wieder, | |
doch ohne allen Lohn. | ||
Die Wohnung, ach, die Wohnung, | ||
sie war vergeben schon. | ||
5. | Da hörte man Glöcklein läuten | |
und Jammern ringsumher: | ||
Hier liegen zwei Bundeskinder, | ||
die stören nun keinen mehr. |
Dieter Höss: Schwarz Braun Rotes Liederbuch. Neue teutsche Volks & Wunderlieder für jedermann. Bergisch Gladbach: Gustav Lübbe 1967, S. 15.
DVA: V 1/7410
© Dieter Höss. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung.
H 3. Es waren zwei Königskinder (1989)
Text: Peter Rühmkorf (1929–2008)
Zersungene Lieder III | ||
1. | Es waren zwei Königskinder, | |
die liebten einander so quer; | ||
das eine dacht, es wird minder, | ||
das andere dacht, es wird mehr. | ||
2. | Das eine spricht, ich zerwandre | |
nach dir schon mein siebtes Paar Schuh – | ||
[…] |
Peter Rühmkorf: Zersungene Lieder I–III. In: Ders.: Einmalig wie wir alle (1989). Hier zit. nach ders.: Gedichte. Werke 1. Hrsg. von Bernd Rauschenbach. Reinbek: Rowohlt 2000, S. 447.
DVA: B 50665
Editorische Anmerkung:
Rühmkorfs Gedicht "Zersungene Lieder III" hat insgesamt vier Strophen, die hier aus Rücksicht auf urheberrechtliche Gegebenheit nicht vollständig wiedergegeben werden können. Auch bei Rühmkorf endet das Gedicht tödlich:
Das eine ziert sich zu leben,
das andere sinnt sich zu Tod.
das andere sinnt sich zu Tod.
last modified
29.09.2016 02:38