Edition D: Liederbuch 1833 copied.
D. Es warn zwei Königskinder
(Liederbuch 1833)
Text und Melodie: anonym
Die Königskinder. | ||
1. | Es warn zwei Königskinder, | |
die hatten einander so lieb, | ||
sie konnten beisammen nicht kommen, | ||
das Wasser war viel zu tief. | ||
2. | "Lieb Herze, kannst du nicht schwimmen? | |
Liebe Herze, so schwimme zu mir: | ||
Drei Kerzen will ich aufstecken, | ||
Und die sollen leuchten dir." | ||
3. | Da saß eine falsche Nonne, | |
Die thät, als wenn sie schlief; | ||
Sie thät die Kerzen auslöschen | ||
Der Jüngling ertrank so tief. | ||
4. | Es war am Sonntag Morgen, | |
Die Leut waren alle so froh, | ||
Bis auf die Königstochter, | ||
Die Aeuglein saßen ihr zu. | | [S. 172] | |
5. | "Ach Mutter, liebe Mutter, | |
Mein Kopf thut mir so weh! | ||
Könnt' ich nicht gehn spaziren | ||
Wohl an die grüne See?" – | ||
6. | "Ach Tochter, liebe Tochter, | |
Allein sollt du nicht gehn; | ||
Weck auf deine jüngste Schwester, | ||
Und die soll mir dir gehn." – | ||
7. | "Ach Mutter, liebe Mutter, | |
Meine Schwester ist ein Kind, | ||
Sie pflückt ja alle Blümlein, | ||
Die an dem Strande sind." – | ||
8. | "Ach Tochter, liebe Tochter, | |
Allein sollt du nicht gehn; | ||
Weck auf deinen jüngsten Bruder, | ||
Und der soll mir dir gehn." – | ||
9. | "Ach Mutter, liebe Mutter, | |
Mein Bruder ist ein Kind; | ||
Der schießt ja alle Vöglein, | ||
Die an dem Strande sind." – | ||
10. | Sie schwang sich um ihren Mantel, | |
Und ging wohl an den Strand, | ||
Sie ging so lang zu suchen, | ||
Bis sie den Fischer fand. | ||
11. | "Ach Fischer, guter Fischer, | |
Willt du verdienen Lohn, | ||
So greif mir aus den Wellen | ||
Einen reichen Königssohn." | ||
12. | Er warf sein Netz in's Wasser, | |
Die Lothe sanken zu Grund, | ||
Er fischte und fischte so lange, | ||
Der Königssohn wurde sein Fund. | | [S. 173] | |
13. | Sie nahm ihn in ihre Arme, | |
Sie küßte seinen Mund: | ||
"Ach Liebster! könnt'st du reden, | ||
So wär' mein Herz gesund!" – | ||
14. | Da nahm die Königstochter | |
Vom Haupt ihre goldene Kron: | ||
"Sieh da, du armer Fischer, | ||
Hast dein verdientes Lohn!" | ||
15. | Da zog sie von ihrem Finger | |
Einen Ring von Golde roth: | ||
"Sieh da, du armer Fischer, | ||
Kauf dienen Kindern Brod!" | ||
16. | Sie schwang sich um ihren Mantel, | |
Und sprang wohl in die See: | ||
"Ade! mein Vater und Mutter, | ||
Ihr seht mich nun nicht meh!" – | ||
17. | Da hört man Glocken läuten, | |
Da hört man Jammer und Noth, | ||
Da liegen zwei Königskinder, | ||
Die sind alle beide todt. |
Liederbuch für deutsche Künstler. Berlin: Vereins-Buchhandlung 1833, S. 171–173 (Nr. 113).
DVA: V 3/3151
Dort folgende Herkunftsangabe: "Volkslied"
Editorische Anmerkung:
Das "Liederbuch für deutsche Künstler" ist das erste Gebrauchsliederbuch, in dem die Ballade mit dem Incipit "Es waren zwei Königskinder" enthalten war. Dass die musikalische Seite des Liedes damals auch noch nicht einheitlich war, zeigt der Abdruck einer zweiten Melodie in vorliegendem Liederbuch. Diese ist einem Liedtext von Adalbert von Chamisso ("Die Mühle, die dreht ihre Flügel") beigegeben mit dem Hinweis: "Volksmel. Es waren zwei Königskinder etc. (Andere Mel.)":
Die "Königkinder" im Eingangsvers der Ballade waren bereits 1808 im zweiten Band von "Des Knaben Wunderhorn" vertreten. Dort in der Form: "Es waren zwei Edelkönigs-Kinder, / Die beiden die hatten sich lieb"; vgl. Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano. Band 2. Heidelberg 1808, S. 252.
Die seit dem "Liederbuch für deutsche Künstler" bekannt gewordene Eingangsstrophe
Es waren zwei Königskinder,
die hatten einander so lieb,
sie konnten beisammen nicht kommen,
das Wasser war viel zu tief.
geht zurück auf Hoffmann von Fallerslebens Übersetzung der alten niederländischen Balladenfassung, die er in seinem Buch "Lieder und Romanzen" (Köln 1821) veröffentlicht hatte (siehe Übersetzung in Anmerkung zu Edition B). die hatten einander so lieb,
sie konnten beisammen nicht kommen,
das Wasser war viel zu tief.
Diese Strophe wurde 1828 auch von Heinrich Heine im dritten Teil seiner 2Reisebilder2 zitiert (I. Die Reise von München nach Genua. Kapitel XII); siehe Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke [= Düsseldorfer Heine-Ausgabe] Band 7/1 (1986), S. 37.
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15.08.2013 02:13