Skip to content. Skip to navigation

Liederlexikon

Personal tools
You are here: Home Lieder Glück auf, Glück auf! Der Steiger kommt
Document Actions

Glück auf, Glück auf! Der Steiger kommt

(Steigerlied)

Das so genannte "Steigerlied" gilt als das "bergmännische Standardlied" schlechthin (Gerhard Heilfurth). Doch auch jenseits dieses Berufsumfeldes hat es große und bis heute anhaltende Popularität erlangt. Text und Melodie sind unbekannter Herkunft. Eine breitere schriftliche Überlieferung setzt im 19. Jahrhundert ein. Nach 1945 erfreute sich "Glück auf, Glück auf! Der Steiger kommt" etwa im gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Milieu großer Beliebtheit.

I. Das "Steigerlied" findet sich erstmals in einem um 1710 erschienenen "Berg-Lieder-Büchlein" (Edition A). Die Kernstrophen des Liedes umreißen die bergmännische Arbeit: Mit entzündetem Grubenlicht fahren die Bergleute ins Bergwerk ein und hauen aus hartem Gestein Silber und Gold. Angesprochen wird zudem ihre Zuneigung für "schwarzbraune", d. h. erotisch anziehende "Mägdelein". Die bergmännische Grußformel "Glück auf" ist erstmals 1840 im Incipit des Liedes belegt (Edition C).

II. Die früheste überlieferte Textfassung beginnt jedoch mit dem Weckruf "Wache auff, wache auff, der Steyer kömmt" (Edition A). Spuren des Liedes reichen ins 16. Jahrhundert zurück. So enthält die Ballade "Es solt ein meidlein früe auff stan" in der ersten gedruckten Sammlung von Bergreihen (1531) einige fast wortgleiche Zeilen ("Ey die heuers knaben sind hübsch vn fein, / sie hauen das silber aus herten stein"). Zum anderen umfasst "Wache auff, wache auff, der Steyer kömmt" mehrere Zusatzstrophen, die einem Liebeslied entstammen. Überliefert ist letzteres durch ein um 1585 gedrucktes Fliegendes Blatt, und die Eingangsstrophe dort weist eine auffällige Nähe zum "Steigerlied" auf ("Wach auff / wach auff mein Hertz das brindt / mein feins Lieb hat mirs angezündt"). Diese Anhaltspunkte lassen auf eine bereits vielschichtige Liedgeschichte vor dem 18. Jahrhundert schließen, die aufgrund der Quellenlage jedoch erst vom frühen 19. Jahrhundert an deutlichere Konturen erhält.

III. Der nächste greifbare Lieddruck nach dem "Berg-Lieder-Büchlein" findet sich in der romantischen Volksliedsammlung "Des Knaben Wunderhorn" (1806). Als Quelle diente dabei eine Aufzeichnung aus mündlicher Überlieferung, in der die Textgestalt von Liedern generell mehr oder weniger starken Veränderungen unterzogen ist. So wurde im vorliegenden Fall der Eingangsvers im Umsingeprozess abgewandelt zu "Wach auf! Wach auf, der Steuermann kömmt". Die wesentlichste Modifikation machten die "Wunderhorn"-Herausgeber durch den Titel "Tabakslied" kenntlich, denn das Bergmannslied ist hier um vier Verszeilen erweitert, die den Tabak wechselweise loben oder schmähen (Edition B).

IV. In der Singpraxis der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren Erweiterungsstrophen, in denen Genussmittel wie Tabak, Kaffee oder Wein besungen wurden, sehr verbreitet. Neben dem "Wunderhorn" belegt dies auch die 1840 von Moritz Döring herausgegebene Sammlung "Sächsische Bergreyhen" (Edition C). Noch aufschlussreicher sind die von Ludwig Erk um 1840 gesammelten Aufzeichnungen des Bergmannsliedes aus dem Mund von Gewährspersonen unterschiedlicher Berufe in verschiedenen Regionen Deutschlands, die in der Mehrzahl entsprechende Zusätze aufweisen. Beispielhaft dafür steht eine Niederschrift des Liedes, wie Erk es 1839 von einem Berliner Handwerker hörte. Die bei dieser Gelegenheit ebenfalls aufgezeichnete Melodie entspricht der auch heute allgemein bekannten (Edition D). Ob das Lied von Beginn an auf diese eingängige Weise gesungen wurde, ist unklar.

V. Dass der Volksliedforscher Ludwig Erk (1807–1883) die seinerzeit gängigen Erweiterungen als liedfremd betrachtete (er sprach in diesem Zusammenhang kategorisch von "unnützen Zusätzen"), ist an seinen Editionen ablesbar. Auf seine Kernstrophen reduziert veröffentlichte er das "Bergmannslied" 1839 in "Die deutschen Volkslieder mit ihren Singweisen" (Heft 2, Nr. 61) und 1844 in seiner "Neuen Sammlung deutscher Volkslieder". In letzterer präsentierte er es einerseits mit der verbreiteten Liedmelodie (Edition E), zum andern mit einer nur singulär belegten Weise, die sein Bruder im Odenwald aufgezeichnet hatte (Edition F). Eine weitere von Erk aufgezeichnete Textvariante ist 1849 mit einem Satz für Singstimme und Klavier (bzw. Gitarre) im 5. Heft von Friedrich Silchers "XII Deutsche Volkslieder mit Melodien" (op. 54) erschienen (Edition G).

VI. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Bergmannslied zunehmend in Gebrauchsliederbüchern belegt. Die Normierung des Incipits ("Glück auf") und die von Erk maßgeblich durchgesetzte Beschränkung auf die Kernstrophen haben dabei Rückwirkungen auf die Singpraxis, wie sich etwa im Fall eines um 1890 im saarländischen Kohlerevier "aus dem Volksmunde" gesammelten Beleges zeigt (Edition H). Im 20. Jahrhundert zählte "Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt" zu den populärsten traditionellen Liedern, nicht nur in Bergbauregionen (Abb. 1): Aufnahme fand es beispielsweise in vielen Liederbüchern der Jugendbewegung und der NS-Zeit. Nach 1945 war das "Steigerlied" stark im Gewerkschaftsmilieu verankert (Edition I). Auch im Gesangsrepertoire der SPD besaß (und besitzt) es einen festen Platz. Bei Heimspielen des Revier-Fußballvereins Schalke 04 wird das Lied vor dem Einlauf der Mannschaften gesungen. Und Herbert Grönemeyer leitet bei Konzerten seinen Song "Bochum" oft mit Strophen des "Steigerliedes" ein, wobei ein Großteil des Publikums einzustimmen pflegt.

VII. Im Zuge dieser breiten Rezeption ist eine erneute Liederweiterung auszumachen. Vermutlich im Umfeld bergakademischer Kommerse entstanden vor dem Ersten Weltkrieg zwei scherzhafte Zusatzstrophen, die den Gegensatz von Berg- und Hüttenleuten und ihre gemeinsame Vorliebe fürs Schnapssaufen ansprechen. Diese Liedfassung fand auch in anderen Singmilieus Eingang. Die "Schnapsstrophen" des "Steigerliedes" wurden in neuerer Zeit im Kneipbereich studentischer Verbände und Verbindungen zu zahlreichen so genannten Fakultätsstrophen umgeformt, in denen die Vertreter unterschiedlicher Fachdisziplinen verulkt werden (Edition J). Bekannteste Kontrafaktur des "Steigerliedes" ist das nationale Bekenntnislied "Deutsch ist die Saar" (1920) von Hans Maria Lux, das im Vorfeld der Abstimmungen über den politischen Status des Saargebiets 1935 und 1955 eine große Rolle spielte. Eine aktuelle Umdichtung entstand 2001 mit dem "Lied der Berggeschädigten" (Edition K) ebenfalls im Saarland, wo aufgrund zunehmender Bergschäden der Kohleabbau inzwischen vor dem Aus steht.

TOBIAS WIDMAIER
(Mai 2008)



Literatur
  • Gerhard Heilfurth: Das Bergmannslied. Wesen, Leben, Funktion. Ein Beitrag zur Erhellung von Bestand und Wandlung der sozial-kulturellen Elemente im Aufbau der industriellen Gesellschaft. Kassel, Basel 1954, S. 76, 194–197, 210–218, 429–439 (Editionen), 636–643 (Quellenverzeichnis) et passim.

Editionen und Referenzwerke

Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: etliche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: häufig auf Tonträgern
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Glück auf, Glück auf! Der Steiger kommt (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/glueck_auf_glueck_auf_der_steiger_kommt/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 29.09.2016 11:26
 

nach oben | Impressum