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Liederlexikon

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Weiß mir ein Blümlein blaue


"Weiß mir ein Blümlein blaue" ist ein Liebeslied unbekannter Autorschaft mit ausgeprägter Blumensymbolik, das in Quellen des 16. Jahrhunderts mehrfach belegt ist. Im 17. und 18. Jahrhundert war es vergessen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es durch Ludwig Uhland wieder bekannt gemacht. Franz Magnus Böhme wies dem Text des Liebesliedes Ende des 19. Jahrhunderts die Melodie eines geistlichen Liedes zu. Die Jugendbewegung griff diese Liedversion Anfang des 20. Jahrhunderts auf und sorgte damit für ihre Verbreitung.

I. Der früheste greifbare Textbeleg von "Weiß mir ein Blümlein blaue" findet sich im Heidelberger Codex Pal. germ. 343, einer um 1550 angelegten handschriftlichen Sammlung geistlicher und weltlicher Lieder. Das Liedincipit lautet hier "Ich weis mir ein blumlein bloe", der Text umfasst neun Strophen (Edition A). Der erste datierte Druckbeleg ist eine Flugschrift aus dem Jahr 1563 (Edition B). Als Tonangabe ist dort das weltliche Liebeslied "Ach Gott, wem soll ichs klagen" genannt (Erk/Böhme Nr. 478). Der zehnstrophige Text in dieser Flugschrift weicht teilweise erheblich von dem der Handschrift ab. Im 17. und 18. Jahrhundert war das Lied offenbar unbekannt. Erst 1844 veröffentlichte Ludwig Uhland (1787–1862) "Weiß mir ein blümli blawe" wieder in seiner Sammlung "Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder", allerdings in einer auf sechs Strophen gekürzten Version, die er aus den Fassungen der Heidelberger Handschrift sowie einer weiteren, um 1570 erschienenen Liedflugschrift (DVA: Bl 4298) kompiliert hatte. Auch in der letztgenannten Quelle ist dem Lied die Weise von "Ach Gott, wem soll ichs klagen" zugewiesen.

II. "Weiß mir ein Blümlein blaue" ist ein Liebeslied, in dem die Gefühle des lyrischen Ichs sowie das Verhalten des geliebten Gegenübers in der bildhaften Sprache von Blumenmetaphern ausgedrückt werden. Die Verwendung von Blumennamen in der Dichtung ist ein seit dem Mittelalter bekanntes Stilmittel, das zunächst von den Minnesängern verwendet wurde. Der unbekannte Verfasser von "Weiß mir ein Blümlein blaue" konnte davon ausgehen, dass seine Rezipienten, die einer kleinen, gebildeten Schicht angehörten, mit dieser literarischen Tradition vertraut waren. Gemäß der Wendung "durch die Blume sprechen" ist in den ersten vier der zehn Strophen, die das Lied in der Flugschrift von 1563 umfasst (Edition B), die Rede von einer bestimmten Blume bzw. Pflanze, die einen im Volksmund auf Liebesdinge hinweisenden Namen oder eine entsprechend zugeschriebene Bedeutung hat. Außerdem stehen die im Lied genannten Blumen in Abhängigkeit zu den Jahreszeiten (d. h. den wechselnden Umständen des Lebens), die sich auf sie schädigend oder fördernd auswirken. So hat das Vergissmeinnicht – Symbol für Treue – dem Raureif und kalten Wind des Frühjahrs nicht standgehalten, im Sommer sind das Habmichlieb abgemäht worden und der Herzenstrost sowie der Wohlgemut verblasst bzw. verdorrt. Die einzige Blume, die der Sommerhitze trotzt, ist der Schabab (Schafgarbe), der allerdings als Symbol verschmähter Liebe gilt. Frost und Schnee im Herbst und Winter lassen schließlich viele Pflanzen absterben. So hofft das liebeskranke lyrische Ich (Str. 7: "myn hertz das lyt in kummer") auf den kommenden "Meyen" (Mai), wenn Schnee und Reif geschmolzen sind und wieder viele Blumen in den verschiedensten Farben blühen. Tatsächlich kehrt mit dem neuen Frühling auch das Liebesglück zurück (Str. 8: "myn lieb hatt mich vmbfangen"), sehr zum Ärger des "Klaffers" (Verleumder bzw. missgünstige, tratschende Person), der die Spannungen zwischen den Liebenden schadenfroh registriert hat. Zum Schluss nimmt das Lied eine Wendung ins Religiöse: Das lyrische Ich mahnt das geliebte Gegenüber, sich bewusst zu sein, dass "Gott dyn schirmer ist", dem "bys in das Ende dyn" Gehorsam zu leisten sei (Str. 10). Mit der Formel "Du must myn eygen syn" endet das Lied. Die Textfassung der Heidelberger Liederhandschrift (Edition A) weist gegenüber diesem Flugschriftendruck ab der fünften Strophe deutliche Abweichungen auf. Ob der Schreiber dabei einer Vorlage folgte oder die betreffenden Änderungen selbst vornahm, ist unklar. Nach der Wiederentdeckung des Liedes kürzte Ludwig Uhland dessen Text für seine Sammlung "Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder" (1844) auf sechs Strophen (Str. 1–4 u. 6 der Flugschriftenfassung, Str. 7 der Handschrift). Dieser Textversion von "Weiß mir ein Blümlein blaue" wies Franz Magnus Böhme im "Deutschen Liederhort" (1894) die Weise eines geistlichen Liedes des späten 16. Jahrhunderts, "Wer Gott will recht vertrauen", zu (Edition C mit Anmerkungen zur Melodiewahl).

III. Im wissenschaftlichen Referenzwerk "Deutscher Liederhort" entdeckte Anfang des 20. Jahrhunderts die Wandervogelbewegung "Weiß mir ein Blümlein blaue" und nahm es in den Kanon ihrer Lieder auf. Das einflussreichste Wandervogel-Liederbuch, der "Zupfgeigenhansl", enthält "Weiß mir ein Blümlein blaue" in den Auflagen ab 1911, wobei von den sechs Strophen der Uhlandschen Textfassung nurmehr drei (Str. 1, 2, 6) übernommen und in der Folge weiter tradiert werden (Edition D). Die stärkste Rezeption in Gebrauchsliederbüchern erfuhr "Weiß mir ein Blümlein blaue" im Zeitraum zwischen Ende des Zweiten Weltkrieges und Mitte der 1960er Jahre. Der Liedtext wurde in dieser Überlieferungsphase noch einmal behutsam modernisiert (Edition E).

FRAUKE SCHMITZ-GROPENGIESSER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(Juli 2012)



Editionen und Referenzwerke
  • Die Lieder der Heidelberger Handschrift Pal. 343. Hrsg. von Arthur Kopp. Berlin 1905 (Volks- und Gesellschaftslieder des XV. und XVI. Jahrhunderts 1), S. 86f. (Nr. 76).
  • Erk/Böhme 1894, Bd. 2, S. 189f. (Nr. 387).
  • Böhme, Altdeutsches Liederbuch 1877, S. 242f. (Nr. 145).
  • Uhland 1844/45, Bd. 1/1, S. 108–110 (Nr. 54); Bd. 1/2, S. 1003.

Weiterführende Literatur
  • Rippe, Olaf und Madejsky, Margret: Die Kräuterkunde des Paracelsus. Therapie mit Heilpflanzen nach abendländischer Tradition. Baden und München 2006 (zu Herzenstrost und Wohlgemut S. 323f.).
  • Wilhelm Wackernagel: Die Farben- und Blumensprache des Mittelalters. In: Ders.: Abhandlungen zur deutschen Alterthumskunde und Kunstgeschichte. Leipzig 1872, S. 143–240 (zu "Weiß mir ein Blümlein blaue" S. 224f.).
  • Ludwig Uhland: Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder mit Abhandlung und Anmerkungen. Bd. 2: Abhandlung. Stuttgart 1866 (zu "Weiß mir ein Blümlein blaue" S. 436–438 und S. 531–538).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern, etliche son'stige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: etliche Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Frauke Schmitz-Gropengiesser: Weiß mir ein Blümlein blaue (2013). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/weiss_mir_ein_bluemlein_blaue/>.


© Deutsches Volksliedarchiv

last modified 31.12.2013 05:47
 

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