Skip to content. Skip to navigation

Liederlexikon

Personal tools
You are here: Home Lieder Leute höret die Geschichte (Robert Blum) Edition E: Version mit "Ketten"-Strophe, Sachsen 1910
Document Actions

E. Des Morgens in der vierten Stunde

(Version mit "Ketten"-Strophe, Sachsen 1910)


Text und Melodie: anonym

Scan der Editionsvorlage
 1  2




1. Des Morgens in der vierten Stunde,
da öffnet sich das Brückenburger Tor
Und die Händ' am Rücken festgebunden
Tritt Robert Blum mit stolzem Schritt hervor.
 
2. Ja, Robert Blum, er rasselt mit den Ketten.
Kein deutscher Mann, der ihm zur Seite steht!
Und des Henkers Knecht wohl in der Mitten,
Er lieset ihm sein Todesurteil vor. –
 
3. Er aber sprach: Ich bin bereit zu sterben!
Geb gern mein Leben für euch alle hin!
Aber eins, aber eins, es liegt mit schwer am Herzen:
Es ist mein vielgeliebtes Weib und Kind!
 
4. Hier diesen Brief, ihn gebet meinem Freunde!
Hier diesen Ring, meinem vielgeliebten Weib!
Aber diese kleine goldne Uhr, die gebet
Alfred, meinem jüngsten Sohn! – |[fol. v.]
 
5. Die erste Kugel traf ihn in die Schläfe,
Die zweite seine Brust mit Ehr und Ruhm.
Und so erschossen sie den treuesten
Den Freiheitskämpfer Robert Blum. –


Aufzeichnung vom 28. März 1910 in Naundorf (heute: Lauchhammer, Lausitz) aus dem Sammelheft von Ludwig Steglich; Gewährsperson: "Naumann".
DVA: (A 119134)


Editorische Anmerkung:
Das Sammelheft enthält in diesem Fall nicht die Originalaufzeichnung von Steglich, sondern die eingeklebten Drucke seiner Liedaufzeichnung aus
  • Volkslieder der Großenhainer Pflege. In: "Aus der Heimat", einer Monatsbeilage zum Großenhainer Tageblatt, 1 (1910/11), Heft 6 (Juni 1910), Seite 12 (Nr. 3); sowie seinem Buch
  • Ludwig Steglich: Vom sächsischen Volkslied. Beiträge zum Werdegang des Volksliedes unter besonderer Berücksichtigung der Großenhainer Pflege. Leipzig 1928, S. 100f.
Vorliegender Edition liegt die Erstveröffentlichung von 1910 zugrunde; die DVA-Abschrift dieser Aufzeichnung (A 119134) orientierte sich am Druck 1928 (dort in G-Dur).
In der Buchausgabe 1928 hatte Steglich auch die Angabe seiner Quellen erweitert: "Kottewitz, Naunburg bei Mückenberg, 1910". Damit präzisierte er, welches Naunburg gemeint war, und fügte dem im südlichen Brandenburg gelegenen Naunburg bei Mückenberg (heute: Lauchhammer) noch den sächsischen Ort Kottewitz hinzu.
Zu Steglichs Sammlung siehe Brigitte Emmrich: Ein engagierter sächsischer Volksliedsammler und -forscher. Ernst Ludwig Steglich (1870–1957). In: Dies.: Heimatforschung, Spinnstuben-Performance und Hochschulseminar. Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte der Volkskunde in Sachsen. Dresden 2001 (= Volkskunde in Sachsen 12), S. 87–111.

Diese Liedversion, in welcher Robert Blum in der 2. Strophe mit den Ketten rasselt, ist nur aus dem mittel- und ostdeutschen Raum überliefert: Sachsen, Anhalt, Thüringen, Franken, Nordrhein-Westfalen, Pommern, Schlesien und Posen.
Sie liegt ebenfalls in verschiedensten Aufzeichnungen vor. In der Regel fehlt bei ihnen die sonst gängige bänkelsängerische Anfangsstrophe. Auch bei diesem Typus mit "Ketten"-Strophe fällt die starke sprachliche Varianz ins Auge, wie sie für die mündliche Tradierung typisch ist. Häufige Abweichungen gegenüber der hier edierten Textfassung sind:
Str. 1, Vers 2: "Da öffnet sich das Brandenburger Tor" (statt "das Brückenburger Tor"),
Str. 1, Vers 4: "Tritt Robert Blum, mit festem Schritt hervor" (statt: "mit stolzem Schritt"),
Str. 3, Vers 1: "Meine Herrn, ich bin bereit zu sterben" (statt: ""Er aber sprach…"),
Str. 3, Vers 2: "Ich geb mein Leben für die Freiheit hin" (statt: "Geb gern mein Leben für euch alle hin"),
Str. 3, Vers 4 und Str. 4, Vers 2: "heißgeliebtes Weib" (statt: "vielgeliebtes Weib"),
Str. 4, Vers 4: "Die gebt ihr meinem einz'gen Sohn, dem Heinz" (statt: "Alfred meinem jüngsten Sohn"),
Str. 5, Vers 1: "Der erste Schuss..." (statt: "Die erste Kugel").
Darüber hinaus gibt es zahlreiche andere Formulierungsvarianten, jedoch keine nennenswerten inhaltlichen Unterschiede (siehe Variantenvergleich Ed. E).

Diese Liedversion spielte in der Diskussion um die Geschichte des Blum-Liedes (siehe Kommentar IV.) eine besondere Rolle. Wolfgang Steinitz vertrat die Ansicht, dass diese Variante die älteste (und ursprüngliche) Version des Liedes sei und stützte seine These auf eine entsprechende Liedaufzeichnung aus dem Jahr 1955, von der die Gewährsperson berichtet hatte, sie sei seit den Jahren um 1850 in der Familie von Generation zu Generation weitergegeben worden (Steinitz 1962, S. 206f., Typ A). Hinzu komme – laut Steinitz –, dass diese Version inhaltlich konkreter sei und der politischen Perspektive der Zeit näher käme. Er sah darin einen eigenen Grundtyp des Liedes, dem er den Typus des Bänkelliedes entgegenstellte. Ihm zufolge sei der Bänkelsänger-Typus ein jüngeres Produkt, das sich erst durch die Adaption des Liedes im Bänkelsänger-Milieu entwickelt habe und dadurch weitaus sentimentaler und entpolitisierter geformt sei. Steinitz wandte sich damit gegen die Auffassung von Alfred Wirth (1928), der das Blum-Lied als ein ursprüngliches Bänkelsänger-Lied einschätzte, das durch einen späteren unbekannten Druck dann eine "volkslied"-artige Verbreitung durch mündliche Überlieferung erfahren habe.
Die Argumente von Steinitz sind jedoch nicht zwingend. Vor allem ist es irreführend, von zwei verschiedenen Liedtypen zu sprechen, denn auch die oben edierte Version "Des Morgens in der vierten Stunde" unterscheidet sich nicht prinzipiell von den anderen Versionen der Blum-Ballade. Auch die erwähnte Chemnitzer Tradierung des Liedes seit 1848 ist keineswegs gesichert. Bislang liegen jedenfalls noch keine konkreten Nachweise des Liedes aus den Jahren um 1848 vor.
Demgegenüber kann nur festgehalten werden, dass über die Entstehung und frühe Tradierung des Liedes nichts Genaueres bekannt ist. Sicher ist jedoch, dass das Lied wesentlich öfter mit der bänkelsängerischen Eingangsstrophe tradiert wurde. Die späteren Drucke in Liederbüchern (s. Edition F) folgten jedoch dem oben edierten Muster.
last modified 21.12.2011 10:41
 

nach oben | Impressum