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Erst kommt der Sonnenkäferpapa


"Erst kommt der Sonnenkäferpapa" ist ein Kinderlied, das als Fingerspiel (von Erwachsenen mit Kleinkindern) oder als Kreisspiel (von größeren Kindern) verwendet wird. Der Text wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg von Else Marie Bülau verfasst und ist noch heute bekannt.

I. Der Liedtext erschien 1913 erstmals als Gedicht in dem Jugendstil-Bilderbuch "Sonnentage", das Else Marie Bülau gemeinsam mit der Kunstmalerin Annemarie Versmann herausbrachte. Die zu den Versen gehörende Abbildung veranschaulicht, wie Kinder eine Marienkäferfamilie beim Spaziergang auf dem Fensterbrett betrachten (Edition A). Über die Autorin Else Marie Bülau ließ sich bislang nichts in Erfahrung bringen, möglicherweise war sie – wie Annemarie Versmann – in Hamburg ansässig.

II. Kurz nach der Publikation des Buches hat der Hamburger "Lautensänger" Niels Sörnsen (d. i. Carl Holler, 1884–1966) das Gedicht mit einer Melodie des plattdeutschen Dichters und Sängers Georg Semper (1880–1951) versehen und 1915 als Lautenlied veröffentlicht (Edition B). Dieses Lied gehörte in den 1920er Jahren zum Repertoire des Berliner Pestalozzi-Fröbel-Hauses, das 1874 als "Volkskindergarten" von der Fröbel-Schülerin Henriette Schrader gegründet worden war: Es ist in Else Fromms "Lieder- und Bewegungsspiele" (8. Auflage, Leipzig/Berlin 1926) im Kapitel "Kreisspiele" mit der rhythmisch leicht variierten Melodie von Georg Semper enthalten.

III. Eine breitere Rezeption des Liedes ist erst aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts belegt. Dabei erhält das Lied im Verlauf seiner Überlieferungsgeschichte unterschiedliche Funktionen: Schon in den 1920er Jahren wurde aus dem Lautenlied ein pädagogisch eingesetztes Kreisspiel. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist das Kreisspiel zugleich auch als Nachahmungsspiel praktiziert worden, wie es beispielsweise der Volksliedsammler Albert Brosch 1955 in Mittelfranken aufgezeichnet hat (Edition C). Seit den 1960er Jahren wird es wiederum auch gerne als Fingerspiel von Erwachsenen für Kleinkinder verwendet (Edition D). In dieser Form ist es heute wohl am verbreitetsten.

IV. Ebenfalls in der Nachkriegszeit erfährt das Lied eine markante inhaltliche Variation: neben der Marienkäferfamilie wird der Text nun auch auf eine Osterhasenfamilie umgeformt. Der früheste bislang bekannte Beleg für diese Variante stammt aus einem 1946 angelegten handschriftlichen Liederbuch (Edition E). Diese Version mit der Osterhasenfamilie wurde auch in der ehemaligen DDR verbreitet. Hier könnte sie noch einen besonderen Hintergrund haben: Da christliche Feste auch in der DDR nicht ganz übergangen werden konnten, wurden in staatlichen Einrichtungen Lieder zu christlichem Brauchtum bisweilen durch Surrogate ersetzt (Edition F).

V. Die verschiedenen Text- und Spielvarianten veranschaulichen, dass das Lied sowohl von Kindern selbst als auch von Erwachsenen mit Kindern gerne gesungen und gespielt wurde. Es hat in der Schweiz sogar eine Übersetzung in Berner Mundart erhalten (Edition G). Und aus Frankreich ist ein ähnliches Liedchen von einer Schildkrötenfamilie bekannt (Edition H). Das Lied von der Sonnenkäferfamilie, das die traditionelle Familienhierarchie als glückliche Kleinfamilie darstellt, ist noch immer relativ verbreitet und wird auch von einem bekannten Kinderliedsänger wie Detlef Jöcker gesungen. In Kindergärten spielt es aber heutzutage keine wesentliche Rolle mehr. In einer Zeit, in der die traditionellen Familienstrukturen an Verbindlichkeit verloren haben und es auch viele Alleinerziehende gibt, möchten Erzieher/innen dieses Familienbild offenbar nicht mehr an die Kinder weitergeben.

RENATE SARR
(April 2008)



Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: gelegentlich in Gebrauchsliederbüchern, wenig sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: einzelne Illustrationen in Kinderliederbüchern
  • Tondokumente: selten auf Tonträgern
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Renate Sarr: Erst kommt der Sonnenkäferpapa (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/erst_kommt_der_sonnenkaeferpapa/>.


© Deutsches Volksliedarchiv


last modified 12.09.2012 11:41
 

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