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Wer nur den lieben Gott läßt walten


Das Vertrauenslied "Wer nur den lieben Gott lässt walten" stammt aus dem 17. Jahrhundert. Gedichtet und vertont wurde es von dem Poeten und Musiker Georg Neumark (1621–1681). Das ursprünglich protestantische Lied gehört seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert zum Kernbestand an Liedern katholischer und evangelischer Christen.

I. Das siebenstrophige Lied handelt vom Gottvertrauen. Neumark selbst hat es als "Trostlied" charakterisiert und mit dem Psalmvers 55,23 "Wirf dein Anliegen auf den Herrn, der wird dich wohl versorgen" in Verbindung gebracht (Edition A). Abgesehen von den biblischen und christlichen Traditionen gehört der Text dem barocken Neustoizismus an. Das Lied ruft zu christlicher Gelassenheit auf, gerade angesichts des Leids. Dogmatisch wird in ihm die Allmacht und Allgüte Gottes herausgestellt, der sich der Beter bereitwillig fügt.

II. Der Dichter und Komponist Georg Neumark bringt das um 1641 entstandene Lied im Rückblick mit seiner Biographie in Verbindung: Neumark, der in Königsberg studieren wollte, wurde auf dem Weg dorthin überfallen. Aufgrund der Kriegsereignisse (Dreißigjähriger Krieg) konnte er nicht mehr in seine Heimatstadt Mühlhausen (Thüringen) zurückkehren und suchte zunächst vergeblich nach einer Anstellung als Hauslehrer. Als er schließlich in Kiel ein Unter- und Auskommen fand, verfasste er das Lied "Wer nur den lieben Gott lässt walten". 1657 nahm es Neumark in den ersten Teil seiner Sammlung "Fortgepflanzter Musikalisch-Poetischer Lustwald" auf (Edition A). Geboten wird dort nicht nur der Text, sondern auch eine Melodie mit Generalbass nebst einem Vorspiel für zwei Violinen und Basso continuo.

III. Das Lied ging bereits Ende des 17. Jahrhunderts in musikalische Andachtsbücher bzw. Kirchengesangbücher ein. Zu nennen sind die "Praxis Pietatis Melica" (seit 1672) und das Freylinghausensche Gesangbuch von 1704. Neumarks Melodie wurde dabei von zahlreichen, aber nicht von allen Publikationen übernommen. Im Laufe der Jahrhunderte sind mehr als zwanzig Melodien zu dem Text entstanden, allerdings konnte sich keine gegen die originale durchsetzen. Ebenso bemerkenswert ist, dass die Neumark-Melodie unzähligen anderen Kirchenliedtexten zugeordnet wurde und sich damit zu einer Hauptmelodie des evangelischen Kirchengesangs entwickelte.

IV. Neumarks Text bildete nicht nur die Grundlage für Predigttexte und Liederklärungen, sondern auch für Kantaten. Neben der Komposition Georg Philipp Telemanns (TWV 1:1593) ist diejenige von Johann Sebastian Bach (1685–1750) hervorzuheben (BWV 93). Der Text dieser Kantate bezeugt, wie Neumarks Kirchenlied im frühen 18. Jahrhundert interpretiert wurde – in Übereinstimmung mit den liturgischen Erfordernissen (Tagesevangelium) und der zeitgenössischen Auslegungs- und Predigttradition (Edition B).

V. Neumarks Text musste sich zuweilen Eingriffe gefallen lassen. So wurde auch im frühen 19. Jahrhundert versucht, den barocken Text mit seinen starken Bildern den religiösen und ästhetischen Erfordernissen der Zeit anzupassen. Im Berliner Gesangbuch von 1829 fallen die sprachliche Glättung und eine theologische Korrektur auf: In Strophe 3 wurde ein Bezug zu Christus hergestellt, der im Original fehlt und im Ablauf des Liedes eher störend wirkt (Edition C). Analog zur sprachlichen Glättung wurde auch die Melodie umgeformt: Der rhythmischen Fassung im Dreier-Metrum ist schon im 18. Jahrhundert eine isometrische zur Seite gestellt worden, die auch noch im 19. Jahrhundert verbreitet war (Edition D), bevor die Choralrestauration sich wieder um die ursprüngliche Form der Melodie mühte.

VI. Im 19. Jahrhundert entstand nochmals eine Choralkantate, die allerdings eher retrospektiv angelegt ist und das Bachsche Vokalwerk reflektiert: die Kantate "Wer nur den lieben Gott läßt walten" von Felix Mendelssohn Bartholdy (1829). Einen anderen Reflex auf Neumarks Lied stellt Eichendorffs Gedicht "Wem Gott will rechte Gunst erweisen" (1826) dar. Dort heißt es in der vierten Strophe: "Den lieben Gott laß ich nur walten; / Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld / Und Erd und Himmel will erhalten, Hat auch mein Sach aufs best bestellt!"

VII. Zur Wirkungsgeschichte gehören auch die Parodien – von humoristischen Vierzeilern bis hin zum Arbeiterlied aus dem späten 19. Jahrhundert, das sich direkt gegen den Obrigkeitsstaat, indirekt auch gegen die Verquickung von religiöser Demut und politischem Untertanengeist wendet (Edition E). Im Ersten Weltkrieg wurde das Lied benutzt, um Kriegswitwen und -waisen zu trösten. Eine Verbindung von gesellschaftlichen Militarismus und religiösem Nationalprotestantismus erzeugte eine entsprechende Bildpropaganda (Abb. 1).

VIII. Die Rezeption des Liedes war lange Zeit auf den evangelischen Kulturraum beschränkt. Bemerkenswert ist, dass katholische Herausgeber schon ab 1800 die Melodie aufgreifen, nicht jedoch den Text von Neumark. Erst im 20. Jahrhundert wurde das Lied auch innerhalb der katholischen Kirche verbreitet. Den Anstoß hierzu gab die katholische Sammlung "Kirchenlied" (Freiburg 1938). Heute gehört das Lied zum Grundbestand katholischer (Edition F) und evangelischer Gesangbücher (Edition G), wobei das katholische Gesangbuch "Gotteslob" (1975) allerdings nur eine dreistrophige Fassung bietet.

MICHAEL FISCHER
(November 2005 / Mai 2007)



Literatur
  • Britta Martini, Andreas Marti: Wer nur den lieben Gott lässt walten. In: Ökumenischer Liederkommentar zum Katholischen, Reformierten und Christkatholischen Gesangbuch der Schweiz. Zürich 2001ff., o. P. (5 S.)
  • Jürgen Henkys: Wer nur den lieben Gott läßt walten. In: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. Hrsg., vorgestellt und erläutert von Hansjakob Becker u.a. München 2001, S. 231–238.
  • Hans-Christoph Piper, Jürgen Grimm: Wer nur den lieben Gott läßt walten. In: Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Bd. III,2: Liederkunde. Hrsg. von Joachim Stalmann und Johannes Heinrich. Göttingen 1990, S. 296–299.
  • Andreas Marti: "Wer nur den lieben Gott läßt walten" – ein Rest modaler Melodiebildung? In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 31 (1987/88), S. 109–115.
  • Erich Trunz: "Wer nur den lieben Gott läßt walten". Georg Neumarks Lied und seine Entstehung in Kiel. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 30 (1986), S. 49–65.

Editionen und Referenzwerke
Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, häufig in Gebrauchsliederbüchern, sehr häufig in Kirchengesangbüchern
  • Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten;
  • Tondokumente: sehr viele (über 200)
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer: Wer nur den lieben Gott läßt walten (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/wer_nur_den_lieben_gott_laesst_walten/>.


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last modified 16.10.2012 09:53
 

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