D. Immer langsam voran
(Parodie Adolf Glaßbrenner 1845)
Text: Adolf Glaßbrenner (1810–1876)
Der deutsche Michel beim Fortschritt. | ||
1. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann! | ||
Der Fortschritt, der nimmt auch gar kein End'; | ||
'S ist als ob der liebe Gott die Polizei nicht kennt! | ||
2. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann! | ||
Mein Hintermann, das ist ein Literat, | ||
Der tritt mir bald die Hacken ab! | | [S. 146] | |
3. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann! | ||
Für anderthalb Gulden löst' ich mir 'en Paß; | ||
Nun bin ich kein Spitzbube oder sonst so was. | ||
4. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann! | ||
Am Rhein, am Rhein, am freien , deutschen Rhein, | ||
Da soll die Censur ziemlich milde sein. | ||
5. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
In Cottbus war neulich eine Revolution; | ||
Da hatten sie einen Sergeanten beim Kragen schon! | ||
6. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Heut sorg' ich nicht für's Völkerwohl, | ||
Sonst wird mir kalt mein Sauerkohl. | | [S. 147] | |
7. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Von je ha'n die Fürsten unser Vaterland beglückt; | ||
Wär' nur das Volk nicht so sehr gedrückt! | ||
8. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
In Grüneberg, da wächst ein herrlicher Wein! | ||
Nur schad', er soll ein Bischen sehr sauer sein. | ||
9. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Ich glaub' nicht, daß Amerika Republik bleibt, | ||
Weil die Preußische Zeitung dagegen schreibt. | ||
10. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Na, Gottlieb, nur keine Constitution! | ||
Das Unglück sehn wir an Frankreich schon. | | [S. 148] | |
11. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Da ist kein Minister den Kammern nicht recht; | ||
Bei uns bleiben sie, sind sie noch so schlecht. | ||
12. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Meinen Schwager, den haß' ich seit Jahren schon, | ||
Der bekennt sich zu einer andern Confession! | ||
13. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
In Sachsen die Regierung viel Gutes thut, | ||
Und die preuß'sche Regierung ist auch sehr gut. | ||
14. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Seitdem unser Reich die Preßfreiheit verlor, | ||
Schreiben wir uns Alles hinter's Ohr. | | [S. 149] | |
15. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Kaiser Franz hinterließ dem Kronrinz kein Geld, | ||
Weil der das Geschäft in Händen hält. | ||
16 | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
In Oestreich, da wählen sie sehr passend die Livrei: | ||
Da ist eine gräuliche Polizei. | ||
17. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Da ist das Leben auch gar nicht genant, | ||
Da lassen sich die Vornehmsten drücken die Hand. | ||
18. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Im Volkstone spricht da Jung und Alt; | ||
Selbst der Metternich und der Kaiser sagen: Halt! | | [S. 150] | |
19. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Die Demagogen, die sind nicht recht klug; | ||
Die Festungen sind ja schon voll genug! | ||
20. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Im Ausland laß' ich mich bloß Herr titulirn, | ||
Daß sie in mir den Deutschen nicht gleich spürn. | ||
21. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Wenn wir die Steuern nicht mehr zahl'n, | ||
So könn'n wir uns einen König mal'n! | ||
22. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Mein Junge, der muß mir Alles studirn, | ||
Sollt er dabei den Verstand auch verliern! | | [S. 151] | |
23. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Es freut mich, daß Allerhöchstihre Majestät, | ||
Der König beim Fortschritt mit uns geht! | ||
24. | Immer langsam voran! Immer langsam voran, | |
Daß der deutsche Michel nachkommen kann. | ||
Denn wenn ein König uns nicht commandirt, | ||
Dann werden wir nicht gehörig angeführt. | ||
Immer langsam voran! Immer langsam voran, | ||
Daß der deutsche Michel nachkommen kann! |
[Adolf Glaßbrenner]: Lieder eines norddeutschen Poeten. Zweite Aufl. Bern: Druck und Verlag von Jenni, Sohn 1845, S. 145–151.
DVA: L 2/2121
last modified
30.08.2011 11:00