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Auf, ihr jungen deutschen Brüder


"Auf, ihr jungen deutschen Brüder" ist ein Rekrutenabschiedslied deutschstämmiger Siedler aus Bessarabien, der Dobrudscha und angrenzenden Gebieten. Entstanden ist es wahrscheinlich um 1875 nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Russland. Sein Urheber ist nicht mehr bekannt. In einer fragmentarischen Form war dieses Soldatenlied bis in die 1960er Jahre unter Bessarabien- und Dobrudschadeutschen verbreitet.

I. "Auf, ihr jungen deutschen Brüder" wurde wohl in den Jahren nach 1875, nach der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im russischen Zarenreich, verfasst. Die russlanddeutschen Siedler genossen bis dahin das Privileg der Wehrfreiheit. Nun wurden auch sie in die Armee eingezogen. Der Liedtext stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Feder eines bessarabiendeutschen Autors: das Gros der verfügbaren Quellen stammt aus dieser Region bzw. aus Orten in der Dobrudscha und Bulgarien, in denen sich ehemalige Bessarabiendeutsche niedergelassen haben. Erstmals erwähnt wird "Auf, ihr jungen deutschen Brüder" in einem Aufsatz des Ethnologen Arthur Byhan aus dem Jahr 1917 als "Abschied der zum Kriege Einberufenen". Byhan nennt dort jedoch lediglich den Eingangsvers des Liedes, den er einem 1905 verfassten handschriftlichen Liederheft aus der Ortschaft Karamurad (Kreis Constanca, Dobrudscha) entnommen hat. Die ersten Aufzeichnungen von Text und Melodie stammen von dem Musikwissenschaftler Georg Schünemann und dem Liedsammler Stephan Gruss. Beide sammelten zwischen 1915 und 1918 Lieder Russlanddeutscher in deutschen bzw. österreichischen Kriegsgefangenenlagern des Ersten Weltkriegs. Schünemanns Gewährsperson stammte aus der Kolonie Dennewitz (Bessarabien), Gruss' Informant aus einer nicht näher bezeichneten südrussischen Kolonie. Der bislang umfangreichste Textbeleg ist eine Aufzeichnung des Germanisten und Volkskundlers Viktor Schirmunski aus der Siedlung Glückstal (Moldaurepublik, Ukraine) von 1930 (Edition A). In einem Liedbeleg, den der Liedsammler Albert Brosch 1941 in einem Durchgangslager der Nationalsozialisten aufgezeichnet hat, wird ein Johann Zeller aus Alt-Posttal (Kreis Akkerman, Bessarabien) als Verfasser genannt (Edition B). Allerdings ist diese Zuschreibung zweifelhaft, da bei Belegen aus mündlicher Überlieferung häufig der Name des Urhebers in Vergessenheit geraten ist und die Gewährspersonen stattdessen diejenigen, die ein Lied ins lokale Repertoire eingeführt haben, als Autoren anführen.

II. "Auf, ihr jungen deutschen Brüder" handelt von der Einberufung der jungen Männer in die Armee des Zarenreiches. Wie die meisten russlanddeutschen Soldatenliedern, so ist auch dieses im Tenor eher schwermütig und klagend, traurig aber schicksalsergeben. Im gesamten Liedtext finden sich keinerlei Ortsbezeichnungen, Personennamen oder Jahreszahlen. Stattdessen künden die Verse ganz allgemein von der Angst und Bedrückung der Einberufenen und ihrer Angehörigen, beschreiben den Abschied der Rekruten von ihren Nächsten und die Hoffnung aller auf Gottes Schutz und Führung. Mehrere Melodieaufzeichnungen zeigen, dass im Wesentlichen eine Weise gebräuchlich war, die nur leicht variiert wurde (Edition B). Eine weitere Melodie ist aus dem bulgarischen Carev Brod überliefert (Edition C). Dort sangen die Nachkommen dobrudschadeutscher Einwanderer (deren Vorfahren wiederum aus Bessarabien stammten) das Lied "Auf, ihr jungen deutschen Brüder" auf die Melodie von Prinz Eugen, der edle Ritter (s. Edition C).

III. Innerhalb Bessarabiens war dieses Lied in einer ganzen Reihe von Ortschaften bekannt, ebenso in Dörfern der benachbarten Moldaurepublik. Mit bessarabiendeutschen Emigranten gelangte "Auf, ihr jungen deutschen Brüder" ausserdem in die Dobrudscha und nach Bulgarien. In den Kriegen des 20. Jahrhunderts wurde dieses Lied immer wieder aufgegriffen: es gehörte zum Repertoire bessarabiendeutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg. Während des Zweiten Weltkriegs und in der Nachkriegszeit wurde es von deutschen Siedlern aus der Dobrudscha und aus Bulgarien gesungen, die im Zuge der "Heim-ins-Reich"-Kampagne der Nationalsozialisten zunächst umgesiedelt worden und in den letzten Kriegsjahren als Flüchtlinge nach Deutschland gelangt waren. Die letzten bislang bekannten Belege stammen aus den 1950er Jahren. In den meisten Quellen ist der Text recht fragmentarisch und stellenweise sinnentstellend umgesungen. Stabil tradiert wurden vor allem die erste und Teile der zweiten Strophe. In den meisten Versionen reicht der Text kaum über diese Verse hinaus (s. Edition B). Auffallend ist die einheitliche Rezeption der Melodie: in den meisten Belegen ist die Weise, abgesehen von individuellen Ausschmückungen, identisch.

INGRID BERTLEFF
(Dezember 2010)



Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: mehrere Belege aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: wenige Belege aus mündlicher Überlieferung
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: wenige Feldforschungsaufnahmen (Magnetband)
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Phonogrammarchivs St. Petersburg (IRLI) und des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Ingrid Bertleff: Auf, ihr jungen deutschen Brüder (2010). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/auf_ihr_jungen_deutschen_brueder/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 12.09.2012 10:58
 

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