Skip to content. Skip to navigation

Liederlexikon

Personal tools
You are here: Home Lieder So geht es in Schnützelputz Häusel
Document Actions

So geht es in Schnützelputz Häusel


Das erstmals 1776 in einer Zeitschrift mitgeteilte, im Raum Frankfurt damals offenbar populäre Scherzlied "So geht es in Schnützelputz Häusel" fand ab dem frühen 19. Jahrhundert Eingang in Liederbücher. Breiter rezipiert wurde es in der Jugend- und Singebewegung des 20. Jahrhunderts. Eine Neuvertonung des Liedes hat Carl Maria von Weber 1817 vorgelegt.

I. Johann Gottfried Herders 1773 publizierter Aufruf zur Sammlung von "Volksliedern", bevor "solche Schätze" mit der "täglich verbreitetern Kultur ganz untergehen", fand seinerzeit großen Widerhall. So veröffentlichten die "Frankfurter gelehrten Anzeigen" Anfang 1776 unter der Überschrift "Aechtes deutsches Volkslied" das scherzhafte Lügenlied "So geht es in Schnützelputz Häusel", das ein Mitarbeiter der Zeitschrift, Johann Conrad Deinet, aufgezeichnet hatte (Edition A). Von dem damals offenbar recht populären Lied sind vielstrophige Vorläuferformen belegt, doch hat sich die Fassung der "Frankfurter gelehrten Anzeigen" in der Folge durchgesetzt. Sie wurde zunächst in die 1807 durch Büsching und von der Hagen herausgegebene "Sammlung deutscher Volkslieder" aufgenommen und daraus in den zweiten Band von "Des Knaben Wunderhorn" (1808) übernommen. Von hier ausgehend erfolgte die weitere Verbreitung des Liedes.

II. Besungen wird in dem Lied das häusliche Treiben bei einem gewissen "Schnützelputz" (abgeleitet von "Schnudelb(p)utz" – wörtlich: Nasenschleim, Rotz –, im Sinne von Schelm oder Narr belegt u. a. in Michael Lindeners Schwanksammlung "Katzipori", 1558): Dort betrinken sich Tisch, Bänke und Pantoffeln, im Storchennest auf dem Dach brüten zwei Ochsen, während die Störche mit "großmächtigen" Spießen "auf die Wacht" gehen. Der Refrain erzählt von Mäusen, die "singen und tanzen" und bellenden Schnecken (Edition A).

III. Ein thematisch eng verwandtes, deutlich umfangreicheres Lied über "selzame Wunder-Dinge", die in "Schnudelputz Hause" geschehen, ist durch ein vermutlich Anfang des 18. Jahrhunderts gedrucktes Fliegendes Blatt überliefert (DVA: Bl 1438; Erk-Böhme 1894, Nr. 1097). Es enthält einige Verse, die im späteren "So geht es in Schnützelputz Häusel" fast wortgleich wiederkehren. Ein weiterer Beleg dieses Lügenliedtyps findet sich bereits im späten 17. Jahrhundert, dessen Refrain lautet: "Das geht inß Gugenmanß Heuslin, / Da dantzen vnd springen die Meuslin. / Vnd stechen und beissen die Leußlin. / Vnd bellen die Schneggen im Heuslin" (nach einem handschriflichen Liederbuch mitgeteilt von Birlinger/Crecelius 1883). Der dänische Dichter Jens Baggesen (1764–1826) erwähnt im Bericht über eine 1789 unternommene Deutschlandreise eine Fahrt auf einem Marktschiff von Frankfurt nach Mainz, auf der das Lied vom "Schnützelputz Häusel" mehrfach angestimmt wurde ("Saa gaaer det i Snutterbutshusen! / Der polkdandser Katten og Musen"). Gerade im Frankfurter Raum, woher auch Deinets Aufzeichnung stammte (Edition A), scheint das Lied stark verankert gewesen zu sein. Die in Frankfurt lebende Mutter Goethes bezog sich Ende 1805 in einem Brief an ihren Sohn auf das Lied, um die verworrene politische Lage zu charakterisieren: "Das liebe heilige Römische Reich – wie hälts nur noch zu sammen? […] Die Churfürsten – Fürsten – laufen quir und quer – hin und her – es geht wie in Schnitzel putz Häußel – es dreht sich alles im Kreusel".

IV. Auf welche Melodie "So geht es in Schnützelputz Häusel" zum Zeitpunkt der Erstpublikation des Textes gesungen wurde, ist nicht bekannt. Die volkstümliche Weise, mit der das Lied bis heute tradiert wird, findet sich erstmals in den 1818 erschienenen "Deutschen Liedern für Jung und Alt" (Edition C). Bereits im Jahr zuvor hat Carl Maria von Weber den Text für zwei Singstimmen und Klavier vertont. In der Erstpublikation 1818 ("Volkslieder mit Begleitung des Pianoforte", op. 54 Nr. 2) lautet der Name des Liedprotagonisten aufgrund eines Stecherfehlers "Schmüzelpuz" (Edition B); mit der Schreibung "Schmützelputz" ist das Lied auch in der Folge verschiedentlich belegt (Edition F).

V. Im Vormärz schrieb Adolf Glaßbrenner (1810–1876) eine Parodie des scherzhaften Lügenliedes ("So geht es in Schnützelputzfingen"), mit der er die gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit ironisch-bissig attackierte (Edition D). In Liederbüchern der Jugendbewegung ist "So geht es in Schnützelputz Häusel" zwischen dem Ersten Weltkrieg und Ende der 1920er Jahre häufiger vertreten (Edition E) und findet auch danach noch als Lied "für fröhliche Kreise" Verbreitung (Edition F). Seit den 1960er Jahren aber ist es aus Gebrauchsliederbüchern fast vollständig verschwunden. Ein interessanter Aspekt der Liedrezeption ist, dass Gustav Mahler sein 1894 errichtetes "Komponierhäuschen" in Steinbach am Attersee, das ihm (bis 1896) während der Sommerferien als "Arbeits-Sanktuarium" diente – hier entstand u. a. die "Wunderhorn"-beeinflusste 2. Symphonie –, offenbar "Schnützelputz-Häusel" nannte (Natalie Bauer-Lechner 1923).

TOBIAS WIDMAIER
(Oktober 2008)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Leopold Schmidt: Zum Wiener Volkslied um 1700. In: ders.: Volksgesang und Volkslied. Proben und Probleme. Berlin 1970, S. 81–86 und S. 482 (betr. Johann Valentin Neiners "Lächerlich – jedoch vernünfftiger bescheidener und Curiöser Narren-Calender auf das Jahr 1712" als liedgeschichtliche Quelle. Zu den "Gesängeln", die Kolporteure seinerzeit "allerorten feil herum [ge]tragen" haben, gehörte Neiner zufolge auch ein Lied mit dem Titel "Der Schnudelputz").
  • Die Briefe der Frau Rath Goethe. 8. Aufl. Frankfurt a. M. o. J. [1968], S. 533f. (Brief vom 10. Oktober 1805).
  • Natalie Bauer-Lechner: Erinnerungen an Gustav Mahler. Leipzig, Wien, Zürich 1923, S. 36.
  • A. Birlinger, W. Crecelius: Zu des Knaben Wunderhorn, IX. In: Alemannia 11 (1883), S. 62f. (Text des Lieds "Deß Cucumanß Heußlin" nach einem handschriftlichen Liederbuch von ca. 1663).
  • Jens Baggesens danske Værker. 2. Aufl., Bd. 10: Labyrinthen eller Digtervandringer, Teil 2. Kopenhagen 1847, S. 15–17 (Bericht Baggesens über eine Fahrt 1789 auf einem Mainschiff, bei der das Lied "Saa gaaer det i Snutterbutshusen" ["So geht es in Schnützelputz Häusel"] gesungen wurde); vgl. Jens Baggesen: Das Labyrinth oder Reise durch Deutschland in die Schweiz 1789. München 1985, S. 265.
  • Johann Gottfried Herder: Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker (1773). In: Schriften zur Ästhetik und Literatur 1767–1781. Hrsg. von Gunter E. Grimm. Frankfurt a. M. 1993 (Johann Gottfried Herder Werke 2), S. 447–497 (Zitat S. 481).
  • Michael Lindener: Schwankbücher: Rastbüchlein und Katzpori. Hrsg. von Kyra Heidemann. Bd. 1: Texte. Bern u. a. 1991 (Arbeiten zur Mittleren Deutschen Literatur und Sprache 20,1); Belege für das Wort "Schnudelb(p)utz" in "Katzipori" (1558) S. 65, 92, 102, 149 u. 163.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: selten auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: So geht es in Schnützelputz Häusel (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/so_geht_es_in_schnuetzelputz_haeusel/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 29.09.2016 10:29
 

nach oben | Impressum