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Tra, ri, ro (ra), der Sommer, der ist do (da)


Das 1778 erstmals veröffentlichte, in varianter Form wohl schon im 17. Jahrhundert gesungene Lied "Tra, ri, ro, der Sommer, der ist do" ist im pfälzischen Brauchtum des Sommertagsansingens verwurzelt und wird in diesem Rahmen auch heute noch gepflegt. Darüber hinaus hat es als Frühlingslied in vielen Gebrauchs- und Kinderliederbüchern Aufnahme gefunden.

I. Nach einer angeblich "uralten Sitte" (Albert Becker) zogen am Sonntag Laetare (lat. "Freue dich", Bezeichnung für den vierten Fastensonntag) in der Pfalz die Kinder singend durch die Straßen oder von Haus zu Haus, um den Kampf des scheidenden Winters mit dem nahenden Sommer vorzuführen und zugleich Gaben zu heischen. Bei dem Spiel wurde der personifizierte Winter vom Sommer mittels eines geschmückten Stabes besiegt und verjagt. Eine frühe Beschreibung dieses Frühlingsbrauchs stammt von dem schwäbischen Gelehrten David Christoph Seybold (1747–1804), der ihn bei einem Aufenthalt in Speyer beobachtete, 1778 in der Literaturzeitschrift "Deutsches Museum" beschrieb und dort zugleich das Lied "Tra, ri, ro" mitteilte (Edition B). Der Brauch hatte zum damaligen Zeitpunkt offenbar schon eine längere regionale Tradition. Liselotte von der Pfalz (1652–1722) kam als Herzogin von Orléans um 1700 in Briefen verschiedentlich auf entsprechende Gepflogenheiten in Heidelberg um 1670 zu sprechen und erwähnt dabei auch die ehedem gehörte Liedzeile "Stru, stru, stroh, der Sommer der ist do", die sie in ihrer Erinnerung mit einer Strophe aus einem anderen Sommertagslied ("Heut ist mitten in der Fasten") verschränkt (Edition A).

II. Die erwähnte Erstveröffentlichung von "Tra, ri, ro" 1778 steht in unmittelbaren Zusammenhang mit der Begriffsprägung "Volkslied" durch Johann Gottfried Herder (1773) und dessen Aufruf zur Sammlung einschlägiger Texte. Seybolds Beitrag im "Deutschen Museum" kommt das Verdienst zu, erstmals eingehend auch den brauchtümlichen Kontext eines "Volksliedes" beschrieben zu haben. Zugleich thematisierte Seybold, dass der Niederschrift eines umgangsmäßig gesungenen Liedes stets ein Bearbeitungsprozess zu Grunde liegt: Es war folglich eine "redigirte" Fassung von "Tra, ri, ro", die er publik machte (Edition B), wobei auch die ursprüngliche Dialektfärbung angesprochen wurde. Die sechs mitgeteilten Strophen entfalten Motive des Sommertagsbrauchs: der noch schlummernde Sommer soll an diesem Tag geweckt (Str. 2), der Winter aber "mit der Stange" vertrieben werden (Str. 4); die Schlussstrophe wünscht Gabenspendern einen reich gedeckten Tisch.

III. Seybolds Liedaufzeichnung wurde als "Sommertagslied" in den dritten Band der einflussreichen Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" (1808) aufgenommen (Anhang "Kinderlieder"); vorangestellt sind ihr dort einige weitere Bemerkungen zur Brauchtumspraxis. Die Veröffentlichungen im "Wunderhorn" sowie – unter dem Titel "Mailied" – in Büsching/von der Hagens "Sammlung Deutscher Volkslieder" (1807) sind Ausgangspunkt der weiteren Verbreitung von "Tra, ri, ro". Die in der Folge häufig reduzierte Strophenzahl ist auf die Tilgung von Inhalten zurückzuführen, die wohl für ein Kinderlied unangemessen schienen ("Zum Weine! zum Weine! / In meiner Mutter Keller / Ist guter Muskateller").

IV. Seybold beklagte 1778, nicht auch die Melodie mitteilen zu können, nach der er das Sommertagslied "Tra, ri, ro" in Speyer hatte singen hören ("Ich wünschte Tonkünstler zu seyn, um die Komposition davon geben zu können"). In Kinder-, Schul- und Gebrauchsliederbüchern sowie Volksliedsammlungen des 19. Jahrhunderts ist das Lied mit unterschiedlichen Melodien ohne Verfasserhinweis enthalten, die wohl nur zum Teil der Singpraxis abgelauscht waren (1822, Edition C; 1840, Edition D; 1852, Edition E; 1894, Edition F). Als vermutlich erster Komponist hat Carl Maria von Weber "Tra, ri, ro" 1817 für zwei Singstimmen und Klavier neu vertont (op. 64, 2). Seine Fassung wurde in bearbeiteter Form u.a. in ein 1868 erschienenes religiöses Schulliederbuch aufgenommen (Edition G), wobei die letzte Strophe eine markante Textänderung erfuhr (der "gute Geber" ist hier Gott, dem abschließend ein "Halleluja" gesungen wird). Unveröffentlicht blieb eine 1857 von Johannes Brahms – nach Zuccalmaglios Vorlage (Edition D) – komponierte Fassung ("Volks-Kinderlieder", WoO 31, Nr. 15). 1938 erschien Cesar Bresgens Kantate "Tri-ra-ro, der Sommertag ist do" für Chor (auch Kinderchor), zwei Blockflöten, drei Geigen und Bass.

V. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wird der Sommertag in Orten der Vorder- und Kurpfalz im Rahmen einer organisierten Brauchtumspflege begangen. Das Lied "Tra, ri, ro" kursierte hier auch in einigen Um- und Neudichtungen, wie etwa dem "offiziellen" (Albert Becker) Heidelberger Sommertagslied (Abb. 1). Als Frühlingslied ist "Tra, ri, ro" bis in die Gegenwart in vielen Kinderliederbüchern vertreten, bemerkenswerter Weise noch immer in verschiedenen Melodiefassungen, wobei die verbreitetste Melodie (Edition H) an die schon im frühen 19. Jahrhundert bekannte anknüpft (Edition C).

WALTRAUD LINDER-BEROUD
TOBIAS WIDMAIER
(Februar 2006 / März 2007)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Albert Becker: Sommertag. Neues zur Geschichte und Volkskunde der Pfälzer Lätarebräuche. Neustadt a. d. Hardt 1931 (Beiträge zur Heimatkunde der Pfalz 10).
  • Albert Becker: Pfälzer Frühlingsfeiern. In: Hessische Blätter für Volkskunde 6 (1907), S. 145–191 (Zitate S. 153 u. 189).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: zahlreiche Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Waltraud Linder-Beroud, Tobias Widmaier: Tra, ri, ro (ra), der Sommer, der ist do (da) (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/tra_ri_ro_der_sommer_der_ist_do/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 16.10.2012 10:47
 

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