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Stolz zog durch die Meeresfluten


Historischer Hintergrund für das Lied "Stolz zog durch die Meeresfluten" ist der Schiffsbrand der "Austria", bei dem am 13. September 1858 Hunderte von Menschen auf dem Atlantik starben. Der Text erschien noch im selben Jahr im Druck und wurde als Moritat gesungen. In handschriftlichen Liederbüchern ist das Lied bis ins beginnende 20. Jahrhundert weitertradiert worden.

I. Bei der "Austria" handelte es sich um ein damals hochmodernes Dampfsegelschiff, das sich zum Zeitpunkt des Unglücks auf der Überfahrt von Hamburg nach New York befand. Das Schiff transportierte im Auftrag der 1847 gegründeten "Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft" hauptsächlich Auswanderer. Mit der "Austria" hatte die Reederei jedoch kein Glück: 1857 waren bereits zwei Maschinenschäden zu beklagen, welche Kosten in halber Höhe des Anschaffungspreises verursachten. 1858 folgte schließlich der Schiffsbrand, bei dem nur 89 von 542 an Bord befindlichen Menschen gerettet werden konnten. Verursacht wurde der verheerende Unglücksfall durch Teer, das zum Ausräuchern des Schiffdecks verwendet wurde. Ein umgefallener Behälter entzündete die Einrichtung und führte zur Katastrophe.

II. Der Schiffsbrand und vor allem die hohe Zahl der Todesopfer machte aus dem Unglück zugleich ein mediales Ereignis. In der Leipziger "Illustrirten Zeitung" erschien am 30. Oktober 1858 ein ausführlicher Bericht (vgl. Abb. 2), in der Wiener Zeitung vom 15. Oktober eine längere Meldung. Schließlich traten die Hersteller von Moritatendrucken auf den Plan: Nicht nur der Verlag Kahlbrock in Hamburg produzierte einen Druck (Edition A), sondern auch der Verlag Büttner und Winter in Oldenburg, sowie der Verlag Feuerhahn und ein weiterer ungenannter Drucker in Hamburg. Die vier Blätter sind nahezu identisch, insbesondere gleichen sich die Prosaerzählung und das abgedruckte Lied "Stolz zog durch die Meeresfluthen". Allerdings teilt der Oldenburger Druck die Strophen anders auf; er macht aus den sechs achtzeiligen zwölf vierzeilige. Offenbar wurde das Lied dort mit einer anderen Melodie vorgetragen.

III. Der Text des Liedes erzählt in schlichten Worten das Geschehene nach und findet Ansätze einer Deutung. Dabei erinnert es topisch an die Gefährdung des menschlichen Lebens durch unvorhergesehene Ereignisse. Am Schluss wird dem Grauen die Hilfe durch ein anderes Schiff entgegengestellt und der Dank der Geretteten betont (Str. 6). Die rührselige Episode in Strophe 5 beruht möglicherweise auf einer konkreten Begebenheit, zumindest wurde diese auch in der Leipziger "Illustrirten Zeitung" geschildert: "Ein Ungar ließ erst seine Frau über Bord springen, dann seine sechs Kinder, nachdem er sie einzeln gesegnet, zuletzt warf er sich, das Jüngste im Arme, selbst hinab."

IV. Obwohl das Lied auf ein ganz konkretes historisches Ereignis Bezug nimmt, wurde es im norddeutschen Raum eine gewisse Zeit lang weitertradiert. Belege aus handschriftlichen Liederbüchern stammen aus den Jahren 1860/64 (bei Glückstadt), 1862 und 1863 (Föhr) und 1925 (Banzendorf bei Gransee/Brandenburg). Zum Untergang der "Austria" gab es noch andere Lieder, wie ein Beleg aus Dückermühle bei Glückstadt zeigt (Edition B). Dort gibt es auch eine Melodiezuweisung, nämlich: "Denkst du daran, mein tapfrer Legian" (recte: "Lagienka").

V. Der Aufmerksamkeit entsprechend, welche die Katastrophe in verschiedenen Medien fand, wurden auch Bilder angefertigt – von einfachen Zeichnungen für die Moritatendrucke (Abb. 1), über den Stich in der Leipziger "Illustrirten Zeitung" (Abb. 2) bis hin zu einem Seestück. Der französische Marinemaler Eugène Isabey (1803–1886) hat noch im Unglücksjahr 1858 ein großformatiges Ölgemälde (242 x 430 cm) geschaffen. Das Unglück wurde auch literarisch bearbeitet: Karl Aloys Schenzinger (1886–1962), der sich im "Dritten Reich" mit dem Roman "Hitlerjunge Quex" in den Dienst der NS-Propaganda stellte, brachte 1951 den Roman "Schnelldampfer" heraus, der im ersten Kapitel auf den Schiffsbrand der "Austria" zurückblickt.

MICHAEL FISCHER
(August 2007)



Literatur
  • Marie Luise Winter: Bänkellieder vom Untergang der "Cimbria" und "Austria". In: Niederdeutsche Zeitschrift für Volkskunde und Blätter für niedersächsische Heimatpflege 20 (1942), S. 102–105.


Weiterführende Literatur
  • Leander Petzoldt: Bänkelsang. Vom historischen Bänkelsang zum literarischen Chanson. Stuttgart 1974, S. 51 u. 55.
  • Kurt Himer: 75 Jahre Hamburg-Amerika Linie. I. Teil: Adolph Godeffroy und seine Nachfolger bis 1886. Hamburg 1922.
  • Beschreibung und Ansicht des Gemäldes "L'incendie du steamer Austria" (1858) von Eugène Isabey  im Online-Katalog der französischen Museen (www.culture.gouv.fr/documentation/joconde/fr/pres.htm).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: einige Aufzeichnungen aus handschriftlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Liedflugschriften (Moritatendrucke)
  • Bild-Quellen: Illustrationen auf Moritatendrucken, Zeitung, Gemälde
  • Tondokumente: —
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer: Stolz zog durch die Meeresfluten (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/stolz_zog_durch_die_meeresfluten/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 12.09.2012 12:26
 

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