In dem Kerker saßen zu Frankfurt an dem Main
Das politische Ereignislied "In dem Kerker saßen zu Frankfurt an dem Main" bezieht sich auf die Flucht von sechs Studenten, die aufgrund ihrer Teilnahme am Frankfurter Wachensturm 1833 zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Ihr erfolgreicher Ausbruch im Januar 1837 schlug sich in einem Spottlied auf die Obrigkeit nieder, das in den Jahren zwischen 1837 und 1848 als anonyme Umdichtung von Wilhelm Sauerweins "Lied der Verfolgten" entstanden ist. Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert war das Lied von den "sechs Studenten" in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung ein beliebter Gesang. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es unter dem Titel "Die freie Republik" – vor allem im Rahmen der Folk- und Liedmacherbewegung – eines der populärsten historisch-politischen Lieder.
I. Das Lied über die sechs Studenten, die 1837 aus dem Frankfurter Gefängnis fliehen konnten, ist im Jahrzehnt vor der Revolution 1848 entstanden, möglicherweise direkt nach ihrem erfolgreichen Ausbruch am 10. Januar 1837. Der Autor des Textes ist nicht bekannt. Es scheint naheliegend, dass dieses Spottlied auf die Justiz- und Polizeibehörden damals recht zeitnah, als unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse, verfasst wurde und dass die Urheber im Kreis der republikanisch gesonnenen Sympathisanten des Frankfurter Wachensturms von 1833 zu suchen sind – ähnlich wie bereits 1833 die erfolgreiche Flucht des Studenten Bernhard Lizius mit einem entsprechenden Spottlied kommentiert wurde ("Jetzt, Schnitzspahn, streck die Beine aus"). Handfeste Belege für diese Annahme sind allerdings nicht greifbar. Die älteste bekannte Quelle stammt aus dem Jahr 1848. Dieser Eintrag in einem handschriftlichen Liederbuch aus Hessen (Edition A) lässt aufgrund seiner teilweise recht holprigen Textfassung jedoch vermuten, dass das Lied zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahre im Umlauf war.
II. Den historischen Hintergrund des Liedes bilden die Ereignisse um den Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833. Dieser gescheiterte Versuch, durch eine bewaffnete Eroberung der Frankfurter Polizeiwachen das Signal zu einer revolutionären Erhebung in ganz Deutschland zu geben, gehörte nach dem Hambacher Fest (1832) zu den spektakulärsten politischen Aktionen des Vormärz und erfuhr seinerzeit ein weites publizistisches Echo (Schmidt 2011). Die Aufständischen waren zumeist Studenten, vielen von ihnen gelang die Flucht. Die inhaftierten Akteure wurden im Oktober 1836 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Als im Januar 1837 sechs von ihnen die Flucht aus der Konstabler Wache in Frankfurt gelang, war dies erneut ein sensationelles Ereignis, das mit entsprechender öffentlicher Resonanz einherging (Schulz 1839, Stricker 1879). Hier knüpfte das Lied mit seiner Schadenfreude über die Düpierung der Staatsorgane, wie "Kerkermeister" und "Gendarmenschwarm", an: "Ihr seid angeschmieret, Spott wird euch, und Schmach" (Edition A, Str. 3). Es feiert den erfolgreichen Ausbruch der sechs Studenten und bekundet Sympathien für deren politische Intentionen: "Weil sie gekämpft die Braven, / Für das höchste Glück, / Gegen jene Sclaven, Für die Republick." (Edition A, Str. 1). Als Vorlage für das Lied diente das erst wenige Jahre zuvor entstandene "Lied der Verfolgten" ("Wenn die Fürsten fragen") von Wilhelm Sauerwein, das sehr pointiert die politische Haltung der aus Deutschland geflohenen Demokraten formulierte. Indem das Lied von den sechs Studenten die Eingangsstrophe von Sauerweins "Wenn die Fürsten fragen" übernahm und sie zur demonstrativen Schlussstrophe umfunktionierte (s. Edition A, Str. 4), veranschaulichte es – bei allem Hohn – zugleich die politische Dimension der Aktion: Die geflüchteten Studenten zählten nunmehr ebenfalls zu jenen politisch Verfolgten, die aufgrund ihrer republikanischen Überzeugungen in der Zeit des Vormärz im Exil leben mussten. Einen neuen inhaltlichen Akzent erhielt das Lied nach den Erfahrungen der Revolution 1848/49, als auch dieses Ereignis noch in den Liedtext integriert wurde ("Jedoch sie kehrten wieder mit Schwertern in der Hand", s. Edition B, Str. 4). Damit veränderte sich dessen politische Botschaft: Neben den Gefangenenausbruch als Symbol des Triumphes über staatliche Repression trat nun eine politische Traditionsstiftung, die den Wachensturm 1833 als Vorboten der Revolution 1848 deutete.
III. Über die Frühgeschichte des Liedes zwischen 1837 und 1848 ist nichts überliefert. Damals dürfte das im Liedtext kolportierte Versprechen des Kerkermeisters, der dem Bürgermeister "täglich" beteuert: "Es wütscht mir keiner aus" (Edition A, Str. 2), noch von besonderem Witz gewesen sein, da den Zeitgenossen die zwei vorangegangenen Ausbrüche anderer Studenten in den Jahren 1833 und 1834 noch in unmittelbarer Erinnerung waren. In musikalischer Hinsicht ist davon auszugehen, dass für den Text die gleiche Melodie verwendet wurde wie für die Vorlage "Wenn die Fürsten fragen", welche wiederum die Weise von "Hat man brav gestritten" (aus Karl Holteis Liederspiel "Der alte Feldherr") als melodische Grundlage hatte. Wie die früheste Liedüberlieferung (Edition A) zeigt, hat sich das Spottlied in den Jahren der 1848er Revolution erneut im demokratisch gestimmten Milieu einer gewissen Beliebtheit erfreut und blieb offenbar auch in den Jahren danach virulent. So erinnerte sich ein preußischer Handwerker, dass er "Es saßen sechs Studenten" 1854 auf seiner Wanderschaft in Süddeutschland kennengelernt habe und dass es dort ein damals viel gesungenes Lied gewesen sei (Edition B).
IV. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kursierte das Lied über die gelungene Flucht der sechs Studenten im Fahrwasser der Beliebtheit seiner Vorlage "Wenn die Fürsten fragen" und war nach den Erinnerungen der Erlebnisgeneration auch in der Zeit zwischen 1870 und der Jahrhundertwende präsent. Es wurde im 19. Jahrhundert offenbar ausschließlich mündlich tradiert – gedruckte Liedfassungen aus dieser Zeit sind nicht bekannt. Erst nach 1900 erfolgten rückblickende Aufzeichnungen und daran anknüpfende Veröffentlichungen (s. Edition B, D, F). Dabei verweisen räumliche Verbreitung wie starke Variantenbildung auf die Lebendigkeit der Tradierung. Charakteristisch für die Überlieferung im 19. Jahrhundert war der Liedanfang "Es saßen sechs Studenten", die Erklärung "weil sie von Freiheit sangen" als Grund für ihre Inhaftierung (s. Edition, B, C, D, G) sowie die (bereits erwähnte) Ergänzung einer neuen Strophe, die auf die Revolution 1848 Bezug nimmt (s. Abs. II. und Edition B, C, D). Die Nähe zur (zeitlich parallel verlaufenden Tradierung von "Wenn die Fürsten fragen" kommt in dreierlei Hinsicht zum Ausdruck: zum einen in der Ergänzung weiterer Verse aus Sauerweins Lied ("Gebt uns eure roten Purpurmäntel her, das gibt rote Hosen für ein freies Heer", Edition B, Str. 7), zum anderen in der Übernahme eines neuen "Raus, raus, raus"-Refrains (s. Edition C, D, G), der ab den 1870er Jahren in ähnlicher Weise mit dem Lied "Wenn die Fürsten fragen" einherging. Auch die Melodieüberlieferung veranschaulicht diese Nachbarschaft (Edition E). Gleichwohl wurde das Lied auf die Frankfurter Studenten als eigenständiges Lied wahrgenommen und diente seinerseits als musikalische Vorlage für einen neuen Liedtext, der nach Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 das Ende der Repressalien gegen die Sozialdemokratie und "Der Ausgewiesenen Heimkehr" feierte (Edition I).
V. In der Zeit nach der Jahrhundertwende erschien das Lied erstmals auch in Liederbüchern (Edition G, H). Diese Drucke veranschaulichen, dass "Es waren sechs Studenten" zunehmend als ein Lied der 1848er-Revolution wahrgenommen wurde. Dies spiegelt sich in einer Titelgebung wie "Das Lied von 48" (Edition G) ebenso wie in der Umdichtung der Absalom-Strophe auf Robert Blum (Edition H, Str. 5). Zusammen mit den ersten volkskundlichen Liedaufzeichnungen zeigen die Quellen, dass sich das Spektrum der Liedvarianten stetig verbreiterte. So wird in einer anarchistischen Version 1906 beispielsweise Kaiser Wilhelm an den Galgen gewünscht (Edition G, Str. 5), während in der böhmischen Liedtradierung Relikte von Karl Holteis "Hat man brav gestritten" in den Text eingeflossen sind (Edition F, Str. 4). Die Aufzeichnungen aus Böhmen zeigen zugleich, dass dort auch noch eine andere Melodie für das Lied von den sechs Studenten verwendet wurde (Edition F). Mit dem wachsenden Einfluss der Sozialdemokratie als politischer Kraft und dem Ende des Kaiserreichs verlor das Lied jedoch an Attraktivität. 1920 ist es im Zuge des Arbeiteraufstands im Ruhrgebiet nochmal als Aktualisierung auf verhaftete Kommunisten umgeschrieben worden (Edition J), aber insgesamt schwindet in den 1920er Jahren seine Präsenz. In Liederbüchern war es selten vertreten (s. Anmerkung zu Edition H). Es blieb auch in der Zeit der Weimarer Republik vorwiegend in der Sphäre mündlicher Überlieferung. Deren Spuren sind wiederum nach 1945 (erneut rückblickend aus den Erinnerungen von Zeitzeugen) aufgezeichnet worden (s. Anmerkung zu Edition K).
VI. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine gänzlich neue Etappe in der Geschichte des Liedes ein. Während Bruno Kaiser 1952 in seiner 1848er-Anthologie noch auf die Liederbuchfassung aus den 1920er Jahren zurückgriff (s. Edition H), nahm Inge Lammel 1957 eine neuere Einsendung an das Arbeiterliedarchiv der DDR als Grundlage ihrer Veröffentlichung (Edition K). Diese Liedfassung prägte die nachfolgende Rezeption und unterscheidet sich deutlich von den Versionen des 19. Jahrhunderts. Hier war nun nicht mehr davon die Rede, dass die Studenten in Haft waren "weil sie von Freiheit sangen", sondern weil sie "für die Freiheit fochten" und "für die "Menschenrechte" (Str. 1). Der deutlichste Unterschied war jedoch die Melodie: diese stammte aus der tschechischen Arbeiterbewegung und war dort zur Übersetzung von Sauerweins "Wenn die Fürsten fragen" ("Když se vás kdo táže, kde je Absolon") gesungen worden (s. Anmerkung zu Edition K). 1962 hat Wolfgang Steinitz schließlich die liedgeschichtliche Vielfalt in ihren unterschiedlichen Facetten aufgezeigt und dokumentiert. Dennoch wurde Inge Lammels Publikation zum wichtigsten Bezugspunkt für alle späteren Veröffentlichungen und Einspielungen des Liedes und bewirkte dessen rasche Standardisierung. In der DDR war das Lied primär in Liederbüchern der FDJ und zum historischen Arbeiterlied vertreten, in der Bundesrepublik stieß es vor allem im Rahmen der Liedermacher- und Folkszene der 1970er Jahre auf starke Resonanz. Angefangen mit der Aufnahme des Liedes durch Peter Rohland (1967) war "In dem Kerker saßen" im Repertoire etlicher namhafter Interpreten vertreten, von denen auch Hein und Oss Kröher (1974), Hannes Wader (1975) und Schobert & Black (1979) Einspielungen auf Schallplatte herausbrachten. In diesem von der Studentenbewegung 1968 geprägten Milieu war das Lied von den revolutionären, aus der Haft getürmten Studenten ein willkommener Gesang, der sich für eine Historisierung der eigenen (aktuellen) politischen Ideale bestens eignete: vom Wachensturm 1833 über die Revolution 1848 zur außerparlamentarischen Opposition nach 1968. In diesem Kontext wurde "In dem Kerker saßen" eines der populärsten historisch-politischen Lieder. Es diente auch als Folie für verschiedene neue Protestlieder, etwa gegen den Radikalenerlass und den Bau von Atomkraftwerken. Sein damaliger Stellenwert spiegelte sich nicht zuletzt in der Verwendung als Werbeträger (Abb. 1). In den letzten Jahrzehnten findet sich "Die freie Republik" verstärkt auch im Repertoire von Pfadfinder-Liederbüchern. Rückblickend betrachtet verschoben sich im 20. Jahrhundert die Koordinaten zwischen "In dem Kerker saßen" und seiner ursprünglichen Vorlage "Wenn die Fürsten fragen" in symbolischer Weise: War das Lied auf die Frankfurter Studenten im 19. Jahrhundert sozusagen die "kleine Schwester" von Sauerweins "Lied der Verfolgten", welches in der Arbeiterbewegung – zumal in Zeiten des Sozialistengesetzes – dominierte, so wurde im 20. Jahrhundert der Gesang auf "Die freie Republik" zur Hymne und zum Leitbild revolutionärer Traditionsstiftung.
ECKHARD JOHN
(September 2013)
Editionen und Referenzwerke
- Steinitz 1962, Bd. 2, S. 79–120 (Nr. 198).
Weiterführende Literatur
- Sara-Lena Schmidt: Der Frankfurter Wachensturm von 1833 und der Deutsche Bund. Hamburg 2011 (zum Presse-Echo S. 55–64).
- Ingeborg Gansberg: Volksliedsammlungen und historischer Kontext. Kontinuität über zwei Jahrhunderte? Frankfurt am Main etc. 1986, S. 205–231.
- John Meier: Das sogenannte "Heckerlied". In: Volksliedstudien. Straßburg: Karl J. Trübner 1917 (Trübners Bibliothek, Bd. 8), S. 216– 231, hier S. 218–224.
- Wilhelm Stricker: Das Frankfurter Attentat vom 3. April 1833, in: Monatsschrift für die Geschichte Westdeutschlands 5 (1879), S. 62–76, hier S. 73–75.
- [Wilhelm Schulz]: Artikel "Frankfurter Attentat". In: Conversations-Lexikon der Gegenwart. Leipzig: Brockhaus 1839, S. 71–80, hier 78–80.
Quellenübersicht
- Ungedruckte Quellen: vergleichsweise wenige Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
- Gedruckte Quellen: verschiedentlich in Gebrauchsliederbüchern (nach 1950)
- Bild-Quellen: —
- Tondokumente: etliche Tonträger
Zitiervorschlag
Eckhard John: In dem Kerker saßen zu Frankfurt an dem Main (2013). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/in_dem_kerker_sassen_zu_frankfurt_an_dem_main//>.
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