Edition K: 1848er-Liederbuch 1957 copied.
A. Frisch auf, ihr deutschen Brüder
(Ukraine 1926)
Text: anonym
1. | Frisch auf ihr deutschen Brüder | |
Frisch auf, fasst frohen Mut. | ||
Wir müssen ja verlassen | ||
Jetzt unser Hab und [G]ut. | ||
2. | Ja, Weib und Kind verlassen | |
Der Jammer der war gross. | ||
Wir dachten um drei Tage | ||
Dann sind wir wieder los. | ||
3. | Doch dies hat uns betrogen, | |
Das hat so sollen sein, | ||
Dass Weib und Kinder müssen | ||
Jetzt bleiben ganz allein. | ||
4. | Sie nahmen uns gefangen | |
Nach Cherson hingebracht | ||
Wohl in die ru[ss']schen Schule, | ||
Da wurden wir bewacht. | ||
5. | In Cherson blieben wir liegen | |
Zehn [T]ag in guter Ruh. | ||
Und jeden Tag gings einmal | ||
Der lieben Küche zu. | ||
6. | Da gabs genug zu essen, | |
Kartoffeln, Borscht und Brot. | ||
Und doch wir, arme Leute, | ||
Wir hatten grosse Not. | ||
7. | Und hatten wir gegessen | |
So hiess es treten an. | ||
Dann war ein jeder hungrig, | ||
Dass er kaum stehen kann. | ||
8. | Dann endlich kam die Stunde, | |
Sie schickten uns hier fort, | ||
Wir kamen über die Wolga | ||
An einen kalten Ort. | ||
9. | Und auf der Reise gab es | |
Kein Geld und auch kein Brot. | ||
Und mancher von uns Preussen | ||
Erhielten sogar den Tod. | ||
10. | In Orenburg angekommen | |
Zwei Tage hatten wir Ruh. | ||
Zu essen gab es wenig, | ||
Schlecht Lager noch dazu. | ||
11. | Von Orenburg ging es weiter, | |
Zu fünf und auch zu acht, | ||
In offenen Wagonen | ||
Da führen wir die Nacht. | ||
12. | In Schalte angekommen | |
Da fings zu regnen an. | ||
Wir waren ja so erfrohren, | ||
Ach, dass sich Gott erbarm! | ||
13. | Von Schalte abgegangen | |
Vier Tage ohne Ruh. | ||
Die Füsse waren uns wundig | ||
Und hungrig noch dazu. | ||
14. | So kamen wir in die Gegend | |
Die für uns war bestimmt. | ||
Da sollten wir Steine brechen, | ||
Das war für uns zu schlimm. | ||
15. | Vom Steinberg angeschicket | |
Der Krimer Gegend zu, | ||
Im Dorf Krim einquartieret | ||
Hier haben wir jetzt Ruh. | ||
16. | Hier gibts genug zu essen, | |
Ein jeder für sein Geld. | ||
Und jeder kann so leben | ||
So wie es ihm gefällt. | ||
17. | Mein Lied will ich nun schliessen | |
Und harren mit Geduld. | ||
Wir müssen jetzt noch büssen, | ||
Wir haben nichts verschuldt. |
Aufgezeichnet in der Kolonie Weinau, Kreis Molotschnaja (Ukraine) im Sommer 1926 durch Alfred Ström; Gewährsperson: nicht genannt.
DVA: DVL – M 31, Nr. 1
IRLI Handschr. Abt.: Fond 104 – 12 – 92, Veröffentlichung mit Genehmigung von IRLI RAN, Sankt-Petersburg.
Editorische Anmerkung:
4. Str.: Cherson – Gebietszentrum und Seehafenstadt in der Ukraine.
6. Str.: Borscht – Borschtsch (russ./ukrain.: Борщ); Eintopfgericht mit Roter Bete.
10. Str.: Orenburg – Stadt im Osten des europäischen Teils Russlands.
last modified
16.09.2013 02:12