A. Frisch auf, ihr deutschen Brüder
(Ukraine 1926)
Text: anonym
| 1. | Frisch auf ihr deutschen Brüder | |
| Frisch auf, fasst frohen Mut. | ||
| Wir müssen ja verlassen | ||
| Jetzt unser Hab und [G]ut. | ||
| 2. | Ja, Weib und Kind verlassen | |
| Der Jammer der war gross. | ||
| Wir dachten um drei Tage | ||
| Dann sind wir wieder los. | ||
| 3. | Doch dies hat uns betrogen, | |
| Das hat so sollen sein, | ||
| Dass Weib und Kinder müssen | ||
| Jetzt bleiben ganz allein. | ||
| 4. | Sie nahmen uns gefangen | |
| Nach Cherson hingebracht | ||
| Wohl in die ru[ss']schen Schule, | ||
| Da wurden wir bewacht. | ||
| 5. | In Cherson blieben wir liegen | |
| Zehn [T]ag in guter Ruh. | ||
| Und jeden Tag gings einmal | ||
| Der lieben Küche zu. | ||
| 6. | Da gabs genug zu essen, | |
| Kartoffeln, Borscht und Brot. | ||
| Und doch wir, arme Leute, | ||
| Wir hatten grosse Not. | ||
| 7. | Und hatten wir gegessen | |
| So hiess es treten an. | ||
| Dann war ein jeder hungrig, | ||
| Dass er kaum stehen kann. | ||
| 8. | Dann endlich kam die Stunde, | |
| Sie schickten uns hier fort, | ||
| Wir kamen über die Wolga | ||
| An einen kalten Ort. | ||
| 9. | Und auf der Reise gab es | |
| Kein Geld und auch kein Brot. | ||
| Und mancher von uns Preussen | ||
| Erhielten sogar den Tod. | ||
| 10. | In Orenburg angekommen | |
| Zwei Tage hatten wir Ruh. | ||
| Zu essen gab es wenig, | ||
| Schlecht Lager noch dazu. | ||
| 11. | Von Orenburg ging es weiter, | |
| Zu fünf und auch zu acht, | ||
| In offenen Wagonen | ||
| Da führen wir die Nacht. | ||
| 12. | In Schalte angekommen | |
| Da fings zu regnen an. | ||
| Wir waren ja so erfrohren, | ||
| Ach, dass sich Gott erbarm! | ||
| 13. | Von Schalte abgegangen | |
| Vier Tage ohne Ruh. | ||
| Die Füsse waren uns wundig | ||
| Und hungrig noch dazu. | ||
| 14. | So kamen wir in die Gegend | |
| Die für uns war bestimmt. | ||
| Da sollten wir Steine brechen, | ||
| Das war für uns zu schlimm. | ||
| 15. | Vom Steinberg angeschicket | |
| Der Krimer Gegend zu, | ||
| Im Dorf Krim einquartieret | ||
| Hier haben wir jetzt Ruh. | ||
| 16. | Hier gibts genug zu essen, | |
| Ein jeder für sein Geld. | ||
| Und jeder kann so leben | ||
| So wie es ihm gefällt. | ||
| 17. | Mein Lied will ich nun schliessen | |
| Und harren mit Geduld. | ||
| Wir müssen jetzt noch büssen, | ||
| Wir haben nichts verschuldt. |
Aufgezeichnet in der Kolonie Weinau, Kreis Molotschnaja (Ukraine) im Sommer 1926 durch Alfred Ström; Gewährsperson: nicht genannt.
DVA: DVL – M 31, Nr. 1
IRLI Handschr. Abt.: Fond 104 – 12 – 92, Veröffentlichung mit Genehmigung von IRLI RAN, Sankt-Petersburg.
Editorische Anmerkung:
4. Str.: Cherson – Gebietszentrum und Seehafenstadt in der Ukraine.
6. Str.: Borscht – Borschtsch (russ./ukrain.: Борщ); Eintopfgericht mit Roter Bete.
10. Str.: Orenburg – Stadt im Osten des europäischen Teils Russlands.
last modified
16.09.2013 01:12