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Liederlexikon

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Es warb ein schöner Jüngling

(Es wirbt ein schöner Knabe)

Das Liebeslied "Es warb ein schöner Jüngling" hat seine Wurzeln im 16. Jahrhundert und erschien erstmals 1540 in Georg Forsters "Frischen teutschen Liedlein". Forster publizierte den Text mit dem von Ludwig Senfl komponierten vierstimmigen Liedsatz "Ach Elslein, liebes Elselein". Über Herkunft und damalige Rezeption des Liedes ist nichts weiter bekannt. 1806 veröffentlichte Achim von Arnim eine stark erweiterte Umdichtung ("Es wirbt ein schöner Knabe") in "Des Knaben Wunderhorn", die dann im 19. Jahrhundert gelegentlich als vermeintliches "Volkslied" aufgegriffen wurde. Die Volksliedforschung des 20. Jahrhunderts konzentrierte sich dagegen wieder auf das bei Forster gedruckte Lied und interpretierte dieses im Kontext der Frühgeschichte der Königskinder-Ballade. Diese spekulative Sicht prägte die Wahrnehmung des Liedes "Es warb ein schöner Jüngling", ohne dass diese These bislang verifiziert worden wäre.

I. Im zweiten Teil seiner Sammlung "Frische teutsche Liedlein" veröffentlichte Georg Forster 1540 das Lied "Es warb ein schöner Jüngling" in einem vierstimmigen Satz (Edition A). Es handelt sich dabei um die Komposition "Ach Elslein, liebes Elselein" von Ludwig Senfl, die sechs Jahre zuvor in Hans Otts Ausgabe "121 neue Lieder" (Nürnberg 1534) erschienen war. Forster übernahm Senfls Musik, veränderte aber den Liedtext: er setzte den "Elslein"-Versen eine neue Eingangsstrophe voran und verzichtete auf die restlichen bei Ott publizierten Strophen. Ob es sich bei dieser Textfassung um eine Bearbeitung Forsters handelte oder ob er lediglich eine bereits kursierende Version des damals beliebten "Elslein"-Liedes aufgriff, ist nicht bekannt. Aber es ist anzunehmen, dass diese Form des "Elslein"-Liedes spätestens durch Forsters auflagestarke Sammlung – weitere Ausgaben erschienen in den Jahren 1549, 1553 und 1565 – im 16. Jahrhundert ebenfalls Verarbeitung gefunden hat.

II. In Forsters Liedversion wirbt "ein schöner jüngling" um eines "königes tochter" und bringt die Sehnsucht nach ihr mit der Elslein-Strophe zum Ausdruck: "wie gern wer ich bey dir". Als Metapher für die Distanz zur Geliebten fungieren "ein braiter See" (Str. 1) und "zwey tiefe Wasser" (Str. 2). Das Wasser als trennendes Element bildet somit das Kernmotiv des Textes, das beide Strophen verbindet. Andererseits ist der "breite See" mit den "zwei tiefen Wassern" inhaltlich nicht unmittelbar deckungsgleich. Dies könnte auch als Hinweis darauf gedeutet werden, dass die beiden Strophen ursprünglich aus unterschiedlichen Liedern stammen – aber Herkunft und weiterer Kontext der bei Forster erstmals publizierten Strophe "Es warb ein schöner Jüngling" liegen im Dunklen. Spätere Interpreten haben darin primär Bezüge zum "Hero und Leander"-Stoff gesehen: Achim von Armin machte daraus sein Gedicht vom "verlorenen Schimmer" (s. Abs. III.) und die nachfolgende Volksliedforschung ordnete sie der Ballade von den Königskindern zu (s. Abs. V.).

III. Eine umgearbeitete und deutlich erweiterte Fassung von Forsters Text mit dem Anfangsvers "Es wirbt ein schöner Knabe" erschien 1806 in der romantischen Sammlung "Des Knaben Wunderhorn" (Edition B). Mit der Herkunftsangabe "mündlich" suggerierten die Herausgeber Arnim und Brentano, dass es sich bei diesem Liedtext um ein vermeintlich altes, tradiertes "Volkslied" handle – tatsächlich aber hatte Achim von Arnim den Text von Forster umgedichtet und etliche neu verfasste Strophen hinzugefügt. In Arnims Ballade schickt die Königstochter dem geliebten Knaben über das Wasser ein "Licht auf leichtem Holz", welches seine Liebe zu ihr derart entflammt, dass er durch den See zu ihr schwimmen will – dabei aber spurlos verschwindet. Das Motiv des Wassers, das die Liebenden trennt, schrieb Arnim somit im Sinne der antiken Schwimmer-Sage fort. Dieser Stoff erfuhr seinerzeit neue literarische Aufmerksamkeit und war von Dichtern wie Ludwig Hölty ("Leander und Hero", 1768/70), Friedrich Hölderlin ("Hero", 1788) und Friedrich Schiller ("Hero und Leander", 1801) auch schon bearbeitet worden. Arnim war daran gelegen, die widersprüchlichen Aussagen seiner Textvorlage (ein breiter See – zwei tiefe Wasser) hinsichtlich des Grundmotivs (trennendes Wasser) aufzulösen. Dafür veränderte er die traditionelle "Elslein"-Strophe: nun ist es nicht mehr der Mann, der seine Sehnsucht nach dem geliebten Elslein kundtut, sondern hier artikuliert die Frau ihren Wunsch nach Nähe zum "lieben Buhlen" und liefert dabei auch ein Begründung, warum es "zwei Wasser" sind, die die beiden trennen: "Das eine sind die Thränen, / Das andre ist der See" (Str. 3). Als "anmuthig und voll Gefühl" charakterisierte Johann Wolfgang von Goethe diesen Text 1806 in seiner "Wunderhorn"-Rezension.

IV. Arnims Umdichtung "Es wirbt ein schöner Knabe" wurde im 19. Jahrhundert verschiedentlich aufgegriffen. Karl Leberecht Immermann bearbeitete das Gedicht als Liedeinlage für sein 1822 erschienenes Trauerspiel "Edwin" und schrieb dazu eine neue Schlussstrophe, die das Geschehen ins Positive wendet (Edition C). Anfang der 1830er Jahre übernahm der damalige Student Friedrich Briegleb das Lied in seine handschriftliche Sammlung coburgischer "Volkslieder" und ergänzte den Text durch eine damals bekannte Melodie (Edition D). Auch Friedrich Karl von Erlach integrierte den Text in seine Ausgabe "Die Volkslieder der Deutschen" (Band 4, Mannheim 1835), ebenso Karl Simrock "Die deutschen Volkslieder" (Frankfurt 1851). Eine weitere Mystifizierung des Liedes, die Arnims Legende der Herkunft aus mündlicher Überlieferung noch weiter trieb, initiierte Freimund Pfeiffer, der das Gedicht 1841 als Teil von Goethes angeblichem "Sesenheimer Liederbuch" veröffentlichte. Auch wenn von germanistischer Seite die Echtheit dieses Liederbuches schon frühzeitig angezweifelt wurde (Düntzer 1847), hielt es sich doch bis Ende des 19. Jahrhunderts unter Volksliedforschern als vermeintlich authentische Quelle (Böhme 1895). Dies ermöglichte Spekulationen darüber, dass Goethe das Lied bereits in seiner Straßburger Zeit 1770/71 gesammelt haben könnte. Die Ballade vom "schönen Knaben" und der Königstochter, die in ihrer Liebe nicht zusammenkommen können, und die Vorstellung, dass der junge Goethe diese Verse in ein Friderike Brion gewidmetes Liederbuch aufgenommen habe, passte glänzend zum langanhaltenden und publizistisch vielfach gepflegten Hype um "Goethe und Friderike". Als vermeintliches Volkslied hinterließ "Es wirbt ein schöner Knabe" bis in die Zeit der Jahrhundertwende Spuren in Liedsammlungen, wie dem reichhaltig illustrierten "Jungbrunnen" (Abb. 1), und literarischen Werken, wie Max Dreyers Roman "Ohm Peter" (Stuttgart 1908).

V. Neben Arnims Ballade wurde auch die historische Textfassung von Forster im 19. Jahrhundert vereinzelt wieder publiziert. Dabei erschien sie zunächst im Kontext der Überlieferung des Liedes "Ach Elslein, liebes Elselein", etwa bei August Kretzschmer "Deutsche Volkslieder mit ihren Original-Weisen" (Berlin 1840), später auch in den Sammlungen von Karl Goedeke (Leipzig 1867), Ludwig Uhland (Stuttgart 1869) und Rochus von Liliencron (Berlin 1885). Der im "Wunderhorn" durch Arnim initiierte Bezug zum "Hero und Leander"-Stoff wurde 1877 von Franz Magnus Böhme wieder aufgegriffen. Dabei verschränkte Böhme in seinem "Altdeutschen Liederbuch" Forsters Liedfassung mit der Frühgeschichte der – damals populär gewordenen – Ballade "Es waren zwei Königskinder". Diese Sichtwiese setzte sich in einflussreichen Editionen (Erk/Böhme 1893, Marriage 1903) fort und prägte auch das nachfolgende Balladenwerk des Deutschen Volksliedarchivs (DVM–Balladen 1935). Forsters Lieddruck von 1540 fungiert hier als älteste Quelle zur Königskinder-Ballade, welche aus der Zeit um 1580 mit den Eingangsversen "Zwischen zweyenburgen / da ist ein tieffer See" überliefert ist. Was beide Lieder verbindet, ist allein die Metapher des trennenden Sees. Diese Symbolik für Hindernisse der Liebe ist poetisch indes vielseitig verwendbar und keineswegs nur im Kontext der genannten Ballade denkbar. Es erscheint daher fragwürdig, daraus einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Forster-Lied und der Königskinder-Ballade ableiten zu wollen. Für die herkömmliche "Volkslied"-Forschung bot Forsters Lieddruck aber einen Schlüsselbeleg, der es möglich machte, die im 16. Jahrhundert nur sehr selten nachweisbare Königskinder-Ballade mit einer Melodie zu versehen und die breite Streuung der musikalischen Quellen zum Elslein-Lied wiederum als Indikator für die Popularität der Ballade zu werten. Bei Verzicht auf eine Projektion der "Volkslied"-Idee auf die historischen Quellen erscheinen diese in anderem Licht. Dabei bleibt offen, aus welchem Kontext die bei Forster gedruckte Eingangsstrophe stammt. Ein Zusammenhang zur "Hero und Leander"-Rezeption des 16. Jahrhunderts ist denkbar, aber nicht zwingend. Ob dieser gegebenenfalls mit der Frühgeschichte der Königskinder-Ballade einherging, ist jedoch fraglich. Keine Anhaltspunkte gibt es dafür, dass der für die Ballade überlieferte Text "Zwischen zweyen Burgen" im 16. Jahrhundert zur Weise von "Ach Elslein, liebes Elselein" gesungen worden wäre. Es ist demnach höchst ungewiss, ob es zwischen dem Elslein-Lied – zu dessen Versionen auch Forsters "Es warb ein schöner Jüngling" zählt – und der Ballade von den beiden Königskindern im 16. Jahrhundert tatsächlich Berührungspunkte gegeben hat.

ECKHARD JOHN
(September 2013)



Editionen und Referenzwerke  
Weiterführende Literatur
  • Max Dreyer: Ohm Peter. Stuttgart 1908, s. Kap. 24; Liedeinlage hier zit. nach dem Vorabdruck in Velhagen & Klasings Monatshefte 21 (1906/1907), Heft 6 (Febr. 1907), S. 666.
  • Karl Goedeke, Julius Tittmann: Liederbuch aus dem 16. Jahrhundert. Leipzig 1867, S. 87 (Nr. 83).
  • Heinrich Düntzer: Mystifikationen der Goetheliteratur. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 2 (1847), S. 403–410, hier S. 408f.
  • Freimund Pfeiffer: Goethe's Friedrike. Anhang: Sesenheimer Liederbuch. Leipzig 1841, S. 141f.
  • Johann Wolfgang von Goethe: Rezension von "Des Knaben Wunderhorn". In: Jenaische Allgemeine Literaturzeitung 3 (1806), Nr. 18 und 19; zit. nach Goethes Werke. Band 40. Weimar 1901, S. 337–359, hier S. 347.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: singuläre Aufzeichnung in handschriftlichem Liederbuch
  • Gedruckte Quellen: sehr selten in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen:  vereinzelte Liedillustrationen
  • Tondokumente: selten auf Tonträgern
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Eckhard John: Es warb ein schöner Jüngling (2013). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_warb_ein_schoener_juengling/>.


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last modified 13.02.2015 01:33
 

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