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Schlaf mein Kind schlaf leis

(Badisches Wiegenlied)

"Badisches Wiegenlied" nannte Ludwig Pfau ein Gedicht, das der politisch engagierte Schriftsteller im Revolutionsjahr 1849 schrieb. Kurz danach wurde es auch vertont. Seit den späten 1960er Jahren hat "Schlaf mein Kind schlaf leis" eine prominente Rolle in der deutschen Folkbewegung gespielt und ist dort mit verschiedenen Melodien neu aufgegriffen worden.

I. Der Stuttgarter Schriftsteller Ludwig Pfau (1821–1894) veröffentlichte sein Gedicht "Badisches Wiegenlied" erstmals im Dezember 1849 in der von ihm begründeten Zeitschrift "Eulenspiegel" (Edition A). In Form eines Kinderliedes formuliert der Text eine kritische Position gegenüber der Niederschlagung der badischen Revolution im Juli 1849 durch preußische Truppen (nach dreiwöchiger Belagerung der Aufständischen in der Festung Rastatt). Noch bevor sein Gedicht in Stuttgart erschien, hatte Pfau aufgrund seiner Beteiligung an der revolutionären Erhebung in die Schweiz fliehen müssen. Sein Text wurde wenig später von unbekannter Seite vertont und als Klavierlied im Kreis der deutschen Flüchtlinge in Straßburg publiziert (Edition B).

II. Die Wirkung von Pfaus Text beruht im Wesentlichen auf dem starken Kontrast zwischen dem unschuldig anmutenden Stil des Wiegenliedes und dem bitteren politischen Inhalt. Zu Beginn und am Ende jeder Strophe beschwört die Mutter ihr Kind, "leise" zu schlafen, und begründet dies mit den Repressalien der preußischen Truppen "dort draußen". Doch in der letzten Strophe wird die Hoffnung der Mutter artikuliert, dass die Freiheit eines Tages wieder erstehen werde. Hier ändert die Mutter ihren Appell an das Kind: Jetzt soll es nicht mehr "schlafen", sondern "schreien", dass man sich dann an den Preußen rächen werde.

III. Über die frühe Rezeption des Liedes ist wenig bekannt. Möglicherweise hat es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem als Gedicht Verbreitung gefunden. Es kursierte zunächst unter den deutschen Emigranten und wurde – neben Straßburg – auch in Zürich und London gedruckt (Edition C). Dabei hat man schon bald auf die sarkastische Strophe über die Ereignisse in Rastatt verzichtet. 1857 notierte das "Zürcher Intelligenzblatt" dazu, das "Badische Wiegenlied" sei "im badischen Ländchen" noch immer "in des Volkes Munde" und "jüngst wieder auf's Neue aufgefrischt" worden. Neben späteren Abdrucken des Textes in der historischen Literatur zur Revolution 1848/49 finden sich aber auch vereinzelt fragmentarische Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung – sogar aus Gegenden, die von Baden weit entfernt sind, wie Mecklenburg (Edition D) oder Sachsen (Edition E). Dies lässt darauf schließen, dass Pfaus Lied trotz beschränkter Publizität dennoch eine weiter reichende Verbreitung hatte.

IV. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erscheint der Liedtext vermehrt in Anthologien und Darstellungen zur Revolution 1848/49 und in der frühen DDR-Zeit hat Günter Kochan ihn 1957 für gemischten Chor vertont (1848 – Sechs Stücke für gemischten Chor a capella, Nr. 4). Die Wiederbelebung des Liedes erfolgte Ende der 1960er Jahre im Rahmen der Neuentdeckung demokratischer "Volkslied"-Traditionen durch junge deutsche Liedermacher. Als erster griff Fredrik Vahle auf Pfaus Text zurück und veröffentlichte ihn 1968 mit einer neuen, eigenen Melodie. Davon ausgehend nahmen sich weitere bekannte Sänger und Gruppen des Folkrevivals in West- und Ostdeutschland – wie Walter Moßmann, Dieter Süverkrüp, Hein & Oss Kröher, Wacholder und Liederjan – des Liedes an. Sie verwendeten dabei unterschiedliche Melodien: weitere Neukompositionen von Dieter Süverkrüp oder Matthias Kießling (Wacholder) fanden dabei ebenso Verwendung wie die Weise des traditionellen Wiegenliedes "Schlaf Kindlein schlaf" (ausführlich dazu Robb 2009). Der historische Lieddruck mit der Vertonung als Kunstlied wurde erst in den späten 1970er Jahren wiederentdeckt. Seitdem wird vermehrt auf diese Version zurückgegriffen.

V. Die Rezeptionsgeschichte dieses Liedes charakterisiert sich wesentlich dadurch, dass ein zunächst über viele Jahrzehnte primär als Gedicht tradierter Text durch die Aufnahme im deutschen Folkrevival zu einem gesungenen Lied wird. Daneben findet man das Lied im ausgehenden 20. Jahrhundert vielfach in historischer Literatur zur Revolution 1848/49, es wird somit zu einem paradigmatischen Erinnerungsträger im kulturellen Gedächtnis.

ECKHARD JOHN
DAVID ROBB
(Mai 2009)



Literatur
  • David Robb: "Schlaf mein Kind, schlaf leis". Zur musikalischen Rezeption des "Badischen Wiegenlied" in der deutschen Folkbewegung (2013). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <www.liederlexikon.de/lieder/schlaf_mein_kind_schlaf_leis/liedkommentar.pdf>
  • Cordula Schönherr: Die Revolution von 1848/49 im Spiegel des politischen Liedes am Beispiel von Ludwig Pfaus "Badischen Wiegenlied". Wissenschaftliche Hausarbeit zur Ersten Staatsprüfung. Berlin 2006 (DVA: V 1/30418).
  • "weil jetzt die Freiheit blüht". Lieder der Revolution von 1848/49. Booklet zur CD des Deutschen Volksliedarchivs. Südwest Records 1998. S. 28f.
  • Martina Schilling: Der Preuß' spielt auf zum Tanz'! Wie die Badener zu ihrem Wiegenlied kamen. In: Ernst Elsenhaus: Ein schwäbischer Revolutionär in Rastatt. Hrsg. von der Stadt Rastatt. Rastatt 1995, S. 79–119.
  • Barbara James und Walter Moßmann: Glasbruch 1848. Flugblätter und Dokumente einer zerbrochenen Revolution. Darmstadt/Neuwied 1983, S. 125–136. 

Weiterführende Literatur
  • Ludwig Pfau. Ein schwäbischer Radikaler. Marbach 1994 (Marbacher Magazin 67).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: selten in Gebrauchsliederbüchern (erst nach 1970), etliche sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: etliche Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Eckhard John, David Robb: Schlaf mein Kind schlaf leis (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/schlaf_mein_kind_schlaf_leis/>.


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last modified 31.12.2013 04:29
 

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