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Freifrau von Droste-Vischering


Das Spottlied über die "Freifrau von Droste-Vischering" bezieht sich auf eine angebliche Wunderheilung während der Ausstellung des "Heiligen Rockes" im Jahr 1844 in Trier. Autor dieser Satire auf den katholischen Wunderglauben war der junge Berliner Schriftsteller Rudolf Löwenstein. Das Lied ist im 19. Jahrhundert vor allem im studentischen Milieu bekannt geworden und findet sich bis in die Zeit der Jahrhundertwende in Gebrauchsliederbüchern. Wiederbelebt wurde "Freifrau von Droste-Vischering" in den 1970er Jahren im Zuge eines neuen Interesses an "demokratischen Volksliedern" in der Liedermacher- und Folkszene. Die damalige Lust an diesem Spottlied spiegelt sich auch in neuerlichen politischen Parodien.

I. Rudolf Löwenstein (1819–1891), der spätere Herausgeber der satirischen Zeitschrift "Kladderadatsch", hat das Lied von der "Freifrau von Droste-Vischering" im Herbst 1844 verfasst und den Text erstmals am 10. November im Berliner Literatenkreis "Tunnel über der Spree" vorgetragen. Wenig später erschien er in einem Privatdruck zum Stiftungsfest dieser Vereinigung (Edition A). Löwenstein hatte keine spezielle Melodie zu diesem Text im Sinn, aber bald schon wurde in studentischen Kreisen die Melodie von "Ich nehm mein Gläschen in die Hand" dafür adaptiert. Vermutlich kursierte das Lied in den ersten Jahren vor allem in Abschriften. Dementsprechend finden sich die frühesten Aufzeichnungen in handschriftlichen Liederbüchern: 1846/47 notierte es etwa der Student Friedrich Rolle (Edition B) und 1848 führen ähnliche Spuren schon bis nach Ostpreußen (Edition C).

II. Das Lied von der "Freifrau von Droste-Vischering" knüpft an den spektakulärsten Fall einer Wunderheilung an, der sich im Rahmen der Ausstellung des "Heiligen Rockes" 1844 in Trier ereignet haben soll. Demnach habe die 19jährige Gräfin Johanna von Droste zu Vischering am 30. August 1844 die Reliquie aufgesucht und sei durch Berührung des "Heiligen Rockes" von ihrer krankheitsbedingten Gehbehinderung kuriert worden. Das Spottlied ist auch im Kontext der zeitgenössischen Kontroverse über die Trierer Zurschaustellung der angeblichen Christus-Tunika zu sehen, denn dieses Zugeständnis des protestantischen Preußen an seine mehrheitlich katholische Rheinprovinz stieß seinerzeit vielfach auf Kritik. Insbesondere die verschiedenen Nachrichten über Wunderheilungen während des von ultramontaner Seite betriebenen Massenereignisses, bei dem rund eine halbe Million Menschen in der Zeit zwischen dem 16. August und dem 6. Oktober 1844 Wallfahrten zur Heilig-Rock-Reliquie im Trierer Dom unternahmen, riefen Widerspruch hervor. Die besondere Prominenz des Falles Droste-Vischering, über den sich das Lied lustig macht, war nicht nur in seinem schlagzeilenträchtigen Verlauf begründet, sondern auch darin, dass die junge Adlige eine Großnichte des Bischofs von Münster (und kurzzeitigen Kölner Erzbischofs) Clemens August Droste zu Vischering war, der aufgrund seines Konfliktes mit der preußischen Regierung 1837 verhaftet und seitdem als populärer "Bekennerbischof" idealisiert wurde. Demgegenüber setzt Löwenstein auf eine sarkastische Schärfe, die seine Verse wesentlich aus einer heiteren Respektlosigkeit gegenüber frömmelndem Wunderhabitus beziehen: "Sie kroch auf allen Vieren", heißt es etwa über die Freifrau, der "helle Schein" des Rockes Christi "fuhr ihr durch die Glieder, sie kriegt das Laufen wieder" und noch am selben Tag sei sie zum Tanz gegangen ("und wer's nicht glaubt, der irrt sich").

III. Die frühen Aufzeichnungen des Liedes zeigen, dass es zunächst in verschiedenen Varianten kursierte: in Strophen mit je vier Versen (Edition B) oder mit sechs Versen (Edition C), mit unterschiedlichen Verszusätzen ("im bremberem" und "von wegen rudirallala", oder "fifa Fischering" und "Tri Tra Triere") sowie abweichenden Schlußwendungen ("Herr Jeh!" oder "Ach herje, Achherje, Achherjehejemine..."). Diese Zusätze belegen, dass Löwensteins Satire frühzeitig als gesungenes Scherzlied verbreitet war. Hauptsächlich fand dabei die Melodie des studentischen Trinkliedes "Ich nehm mein Gläschen in die Hand" Verwendung, eine damals recht bekannte traditionelle Weise, die auch verschiedenen anderen Liedern unterlegt worden ist. Standardisiert wurde der Liedtext von "Freifrau von Droste-Vischering" mit den ab 1849 einsetzenden Drucken in Liederbüchern (Edition D).

IV. Der Rezeptionshorizont des Liedes ist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts breit gestreut: Auf die Sphäre der Bänkelsänger verweist zunächst die wiederholte Veröffentlichung in den "Musenklängen aus Deutschlands Leierkasten" (Abb. 1), es wurde jedoch auch in allgemeine Gebrauchsliederbücher aufgenommen oder als "historisches Volkslied" ediert (Ditfurth 1872). Friedrich Engels zählte es (zusammen mit dem "Lied vom Bürgermeister Tschech") zu den "beiden besten politischen Volksliedern seit dem 16. Jahrhundert" (Steinitz 1962) – aber in Liederbüchern der Arbeiterbewegung war es damals nur selten zu finden. Eine besondere Bedeutung kommt dem studentischen Milieu zu, wo es häufig in Kommersbüchern erscheint, aber vermutlich nur im evangelischen Milieu gepflegt worden ist. 1875 wird der Text im "Allgemeinen Reichs-Commersbuch für deutsche Studenten" erstmals zusammen mit Melodie gedruckt (Edition E). Die Bekanntheit des Liedes spiegelt sich auch darin wieder, dass nach seinem Muster eine als Lobgesang auf die Feuerwehr fungierende Parodie entstand (Edition F). In der Zeit des Ersten Weltkrieges verschwindet das Interesse an diesem Lied.

V. In den 1970er Jahren wurde das Lied der "Freifrau von Droste-Vischering" im Kontext des neuen Interesses am politischen Lied und an "demokratischen Volksliedern" (Wolfgang Steinitz) wieder aufgegriffen. Steinitz hatte das Vischering-Lied im zweiten Band seiner bahnbrechenden Edition (Berlin 1962) veröffentlicht und davon zehrten nun Liedermacher wie Dieter Süverkrüp und Hannes Wader. Als erster hat Süverkrüp das Lied 1973 auf Schallplatte aufgenommen. Er verwendete dafür die Kommersbuch-Fassung von 1875 (Edition E). Eine musikalisch davon leicht abweichende Version wurde 1975 von Hannes Wader eingespielt (Edition G). Dass diese melodische Variante auf breitere Resonanz stieß, ist sicherlich Waders enormer Popularität in jenen Jahren geschuldet. Ausgehend von einem sozialkritischen Verständnis des Vischering-Liedes sind damals entsprechende Neudichtungen entstanden, die auf politische Ereignisse reagierten. Prominent war der Fall des Arztes Dr. Hans-Joachim Sewering. Aufgrund von Abrechnungsbetrug musste der wegen seiner NS-Vergangenheit ohnehin umstrittene Präsident der Bundesärztekammer 1978 von seinem Posten zurücktreten. Ein 1976 entstandenes Spottlied auf ihn erschien u. a. im beliebten Liederbuch "Es wollt ein Bauer früh aufstehn" (Edition H) und die Gruppe Liederjan spielte es 1979 auf Schallplatte ein. Eine weitere Parodie entstand während des Studentenstreiks 1980/81 in Marburg. Unter dem Motto "Emil und die Bildungsmisere" attackierte dieses Protestlied finanzielle Kürzungen im Bildungswesen.

DAVID ROBB
ECKHARD JOHN
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(Dezember 2009)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Wolfgang Schieder: Religion und Revolution. Die Trierer Wallfahrt von 1844. Vierow bei Greifswald 1996.
  • Valentin Hansen: Gräfin Johanna Droste zu Vischering (Fall IV.). In: ders.: Aktenmäßige Darstellung wunderbarer Heilungen, welche bei der Ausstellung des h. Rockes zu Trier im Jahre 1844 sich ereignet. Trier 1845, S. 47–67. (Kritisch dazu: Archiv für vaterländische Interessen oder Preußische Provinzial-Blätter 1845, S. 604–611.)


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: gelegentlich in Gebrauchsliederbüchern, verschiedene sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: gelegentlich auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
David Robb, Eckhard John: Freifrau von Droste-Vischering (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/freifrau_von_droste_vischering/>.


© Deutsches Volksliedarchiv

 

last modified 17.03.2014 05:23
 

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