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Es rauscht durch deutsche Wälder


Das christlich-nationale Bekenntnislied "Es rauscht durch deutsche Wälder" entstand wenige Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Es fand vor allem im Bereich der evangelischen Jugendarbeit, später auch in nazistischen Jugendorganisationen Verbreitung. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sank die Liedrezeption rapide, heute ist das Lied nahezu unbekannt.

I. Autor des Liedes ist der evangelische Pfarrer Paul Bellingrodt (1875–1951), der von 1912 bis 1924 das Johannesstift in Schildesche (Bielefeld), ein "Rettungshaus" für "verwahrloste" Kinder, leitete und zugleich die evangelische Lehrerausbildung vor Ort prägte. Auf diesem Hintergrund evangelischer Sozialarbeit und Pädagogik verfasste Bellingrodt 1921 seinen mit christlich-konservativem Werteprofil ausgestatteten Lied-Appell mit dem prägnanten Refrain: "Deutsche Jugend heraus!". 1922 ist dieser Aufruf erstmals im "Liederbuch für evangelische Vereine und Kreise junger Mädchen" veröffentlicht worden (Edition A), und fand als "Verbandslied" im "Evangelischen Verband für die weibliche Jugend Deutschlands" alsbald überregionale Verbreitung.

II. Der Liedtext ist geprägt durch die zeitgeschichtliche Erfahrung des Ersten Weltkriegs und der Revolution 1918 ("die stolze Burg der Ahnen" habe nun "der Feind zerschlagen"). Er predigt angesichts von "Grab und Graus" und der sozialen "Trümmer" eine "innere Genesung" durch "Reinheit, Recht und Sitte" sowie den rechten Glauben: Gegen den "Feind in eigener Mitte" und "falschen Götzentand" wird das "heilig Kreuz" gestellt. In christlich-konservativer Diktion und entsprechendem Pathos "rauscht" und "raunt" diese Botschaft durch die Verse und akzentuiert die Parole "Deutsche Jugend heraus" als "zukunftmächtig Lied". Ab Mitte der Zwanziger Jahre fand überdies eine anonym entstandene Zusatzstrophe Verbreitung, in der dezidiert auf den "König Jesus Christ" als Leitfigur in diesem "Kampf" abgehoben wird (Edition B).

III. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre fand das Lied neben den evangelischen Mädchengruppen auch bei den entsprechenden "Jungmänner"-Bünden Verbreitung und sickerte überdies ins katholische Milieu, in national orientierte Jugendverbände wie den Königin-Luise-Bund sowie in konservative Kreise der Jugendbewegung ein. Gesungen wurde "Es rauscht durch deutsche Wälder" zumeist mit der von Bellingrodt stammenden Melodie. Neuvertonungen von Wilhelm Eiselen (1927) und Robert Götz (1931) fanden demgegenüber keine nennenswerte Verbreitung (Edition C und Edition D).

IV. Die im Liedtext formulierte Bestimmung als "zukunftmächtig Lied" sollte sich in den ersten Jahren der NS-Herrschaft erfüllen: nach 1933 wurde es in zahlreiche Schul- und HJ-Liederbücher aufgenommen. Die nazistische Konjunktur der Parole "Deutsche Jugend heraus" erkannte auch der Autor, der sein Lied ab 1934 über den namhaften Musikverlag Friedrich Hofmeister in Leipzig vermarkten ließ. Die Christus-Zusatzstrophe trat in den Liederbüchern des "Dritten Reiches" nur noch marginal in Erscheinung, das im Text beschworene "heilig Kreuz" wurde nun zunehmend als Hakenkreuz verstanden. Als paradigmatische Metapher dafür steht das Titelbild eines Liederbuches, dessen Name sich vom Refrain des Liedes ableitete (Abb. 1). Im Zeichen des Hakenkreuzes fand das Lied auch eine weitere Neuvertonung durch den Dortmunder Studienrat Ernst Dahlke (Edition E). Zudem kursierte in den Jahren um 1933/34 eine nazistische Umdichtung von Th. König ("Es rauscht durch Stadt und Felder"), in der auch im Liedtext das "heilig Kreuz" buchstäblich durch "des Hakenkreuzes Zeichen" ersetzt wurde und die "deutsche Jugend" zur "Hitler-Jugend" mutierte. Eine flächendeckende Ausbreitung dieser NS-Version ist durch die Inverlagsnahme des Liedes bei Hofmeister (Leipzig) – bewusst oder unbewusst – verhindert worden. Möglicherweise wollte Bellingrodt, von dem keine NS-Mitgliedschaften bekannt sind, sein Lied auf diesem Weg vor der nazistischen Umdeutung schützen. Auffällig ist jedenfalls, dass die große publizistische Verbreitung seines Liedes relativ rasch wieder abbricht: ab 1937 ist es kaum noch in Liederbüchern zu finden.

V. Nach dem Ende der NS-Herrschaft wurde im evangelischen Milieu, zumal in Kreisen der Inneren Mission, erneut auf das Lied zurückgegriffen, vereinzelt auch von anderen Gruppen, etwa den katholischen St. Georg-Pfadfindern in München. Insgesamt war dieser Appell an die deutsche Jugend in der Nachkriegszeit jedoch nicht mehr allzu "zukunftsmächtig": In den 1960er Jahren bricht die Liedrezeption weitgehend ab.

ECKHARD JOHN
(Januar 2008)



Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: keine Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: verschiedentlich in Gebrauchsliederbüchern (v.a. 1920er bis 1950er Jahre), wenig sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: —
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.


Ausführliche Quellendokumentation



Zitiervorschlag

Eckhard John: Es rauscht durch deutsche Wälder (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_rauscht_durch_deutsche_waelder/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 12.09.2012 12:47
 

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