Skip to content. Skip to navigation

Liederlexikon

Personal tools
You are here: Home Lieder Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn
Document Actions

Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn


Das Lied "Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn" wurde ab Mitte der 1820er Jahre durch die Tourneen sogenannter Tiroler Nationalsängergesellschaften bekannt. Als Tanz- und Gesellschaftslied fand es im gesamten deutschsprachigen Raum Verbreitung. Verschiedene Orte nahmen für sich in Anspruch, das im Lied besungene Lauterbach zu sein. Aufnahme fand "Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn" auch in den USA und gilt dort als eines der populärsten deutschen Volkslieder. Auf seine Melodie schrieb der amerikanische Komponist Septimus Winner 1864 einen humorvollen neuen Text ("Oh where, oh where ish mine little dog gone"), der die Sprechweise deutscher Einwanderer parodierte und dessen erste Strophe noch heute als Kinderlied gesungen wird.

I. Das Lied "Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn" taucht erstmals im Repertoire zweier Nationalsängergesellschaften aus dem Tiroler Zillertal auf, frühen Repräsentanten einer alpenländischen Musikfolklore (s. Widmaier 2006). Als Ausdruck einer vermeintlich noch ursprünglichen Volkskultur entfachten die von ihnen vorgetragenen Lieder und Jodler seinerzeit breite Begeisterung, nicht nur in Deutschland. 1827 erzielte die Sängerfamilie Rainer in England große Erfolge, in London erschien alsbald eine von dem bekannten Pianisten Ignaz Moscheles (1794–1870) arrangierte Ausgabe ihrer Gesangsnummern (jeweils mit deutschem und englischem Text), darunter auch "Z' Lauterbach hab i mein Strumpf verlorn" (Edition A); die Melodie des Liedes hatte, den Angaben zufolge, ein Mitglied der Sängertruppe, Felix Rainer (1792–1843), kreiert. In der weiteren Liedrezeption spielte Rainers Weise freilich kaum mehr eine Rolle. Die Zillertaler Gebrüder Leo – die u. a. 1828 Goethe in Weimar vorsangen – hatten "Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn" ebenfalls im Repertoire, wie ein 1829 gedrucktes Textbüchlein zeigt, das man wohl bei Konzertreisen vertrieb (Edition B). Sie dürften das Lied mit der Melodie präsentiert haben, nach der es bis heute gesungen wird; diese ist erstmals 1847 in einem Gebrauchsliederbuch zu belegen (Edition C).

II. Nach Reisen in den frühen 1840er Jahren ins Zillertal bezeichnete schon Ludwig Steub die Tiroler Lieder der Nationalsängergesellschaften als Neuschöpfungen. Vor deren Konzerttourneen sei der "Schnaderhaggen" (bzw. "Schnaderhüpfel") beinah "die einzige Form [gewesen], in welcher sich die Volkspoesie erging. Jetzt aber fand man, daß im jodelnden Kunstgesang der vierzeilige Satz nicht ausreichte – er war schlechterdings zu kurz und die Verbindung unzusammenhängender Strophen nicht zu rechtfertigen. Man bemühte sich nun längere Lieder zu finden, von der Art, daß sich am Schlusse jedes 'Gesatzels' ein Jodler anhängen ließ. […] So ergibt sich denn, daß das Meiste, was jetzt im Auslande gesungen wird, eigens für diesen Zweck gemacht wurde." Im Fall des sechsstrophigen "Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn" der Gebrüder Leo (Edition B) – Standardfassung des Liedes in den 1830er und 1840er Jahren – handelt es sich um eine solche Reihung vierzeiliger "Schnaderhüpfel", die zumindest teilweise wohl der heimatlichen Singpraxis abgelauscht waren. Ein Zusammenhang zwischen den Strophen ist dadurch gestiftet, dass sie alle um die Beziehung eines jungen Tirolers zu seinem "Dirn'l" kreisen. Nur vordergründig scheint hier die Eingangsstrophe aus dem Rahmen zu fallen, sowohl thematisch (gesungen wird von Verlust und Wiederbeschaffung eines Strumpfes) wie vom genannten Ortsnamen her (ein Lauterbach gibt es im Zillertal nicht). Letzteres besagt jedoch wenig: denn viele Zillertaler kamen als Wanderhändler (Kräuteröle, Lederhandschuhe) seit dem 18. Jahrhundert in ganz Deutschland herum (s. Jeggle/Korff 1974). Somit dürfte die erste Strophe der beiden Frühfassungen von "Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn" den Liedprotagonisten als Wanderhändler aus dem Zillertal charakterisieren, der einen etwas zweifelhaften Grund dafür vorbringt, nicht schon auf direktem Weg "heim" zu ziehen (die zweite Strophe der Leo-Version offenbart, dass das mit einer anderen "Schnecke", also sexuell attraktiven Frau zu tun hat – entsprechend "launig", d. h. übellaunig reagiert das "Dirn'l" daheim im Zillertal).

III. Aus dem Repertoire der Tiroler Nationalsängergesellschaften ging "Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn" rasch in viele Volks- und Gesellschaftsliederbücher ein und war schon vor Mitte des 19. Jahrhunderts im gesamten deutschen Sprachraum bekannt. Als Ausdruck produktiver Aneignung lassen sich einzelne Textvarianten deuten (Edition C); Liedflugschriften enthalten z. T. erotisch zugespitztere Fassungen des Liedes (s. Pröhle 1863 u. Anmerkung zu Edition J). Gleichzeitig wurde die "Lauterbach"-Weise als Walzer in der volkstümlichen Tanzmusik populär (und blieb es bis ins 20. Jahrhundert). Von Volkslied-Sammlern des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde "Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn" in verschieden Mundarten aus der Singpraxis aufgezeichnet, so etwa 1889 von Karl Köhler in der Nähe von Saarbrücken (Edition D). In seiner dann 1896 publizierten Sammlung "Volkslieder von der Mosel und Saar" merkte Köhler an, "Ze Lauderbach hånn ich mei Schdrump verlor'" sei in der Gegend "überall bekannt" und werde "zum Tanze und in fröhlicher Gesellschaft viel gesungen". Gleiches ist aus vielen anderen Regionen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz (Edition E) bezeugt.

IV. Seinen 1896 veröffentlichten saarländischen Beleg (Edition D) ergänzte Köhler noch um den Hinweis, das im ersten Liedvers genannte "Lauterbach" bezöge man auf einen konkreten Ort in der dortigen Region. Das lässt sich nahezu überall beobachten, wo es ein Lauter- bzw. Lautenbach gab. So brachte etwa eine 1889 veröffentlichte "Salzburger Volkssage" den kleinen Ort Lauterbach im salzburgischen Flachgau (Postleitzahl A-5151) mit dem Strumpflied in Verbindung (s. Neweklowsky 1961). Dass das Lied im Elsass sehr populär war (Abb. 1), dürfte auch dem Umstand zuzuschreiben sein, dass dort die Orte Oberlauterbach (F-67160), Niederlauterbach (F-67630) und Lautenbach (F-68610) liegen. Als "C'est à Lauterbach, où l'on dans sans cesse" ist das Lied 1926 in einem Schulliederbuch für das seit Ende des Ersten Weltkriegs wieder Frankreich zugehörende Elsass zu finden (Edition F). Im frühen 20. Jahrhundert vertrieb man in mehreren Lauter- bzw. Lautenbachs Postkarten mit dem Strumpflied (Abb. 2), ein weiteres Zeichen, dass sich daran lokale Identitäten knüpften. In zwei dieser Orte – Lauterbach im Schwarzwald (D-78730) und Lauterbach in Hessen (D-36341) – erfuhr das Lied eine besondere Pflege (Abb. 3 u. Abb. 4) und spielt dort noch gegenwärtig, etwa in der Tourismuswerbung, eine Rolle. Ein 1989 erschienenes "Schwäbisches Liederbuch" präsentierte "In Lauterbach hau i mein Strumpf verlorn" als Lied "aus Schwaben" (Edition J).

V. Das Lied "Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn" wurde im 19. Jahrhundert ebenso in den USA populär. Verantwortlich dafür dürften neben deutschen Einwanderern wesentlich die dort seit den frühen 1830er Jahren belegten Konzerttourneen von Tiroler Sängergesellschaften gewesen sein (s. Nathan 1946), die mit ihrer musikalischen Alpenfolklore auch in Amerika ein großes Publikum fanden (das "Yodeling" in der amerikanischen Country-Musik des 20. Jahrhunderts hat hier seine Wurzeln). In einer zweisprachigen Fassung erschien "At Lauterbach lately my stocking I lost" 1870 in Philadelphia als klavierbegleitetes Lied (Edition G) und wurde in dieser Form von Henry Randall Waite für eine seiner verbreiteten Sammlungen mit "College Songs" (Boston 1887) übernommen. Zur Melodie des Lauterbacher Strumpfliedes verfasste der Komponist und Musikverleger Septimus Winner (1827–1902) im Jahr 1864 einen humorvollen neuen Text im Idiom deutscher Einwanderer ("Der Deitcher's Dog"): Beklagt wird darin der Verlust eines kleinen Hundes ("Oh where, oh where ish mine little dog gone?"); möglicherweise habe man ihn – so die Erwägung der Schlussstrophe – zu Wurst verarbeitet (Edition H). Die erste Strophe von Winners Parodie wurde in den USA zum viel gesungenen Kinderlied ("Oh where, oh where is my little dog gone?"), welches man in der Singpraxis z. T. wiederum in das ursprüngliche Lied integrierte, wie eine Aufzeichnung im Dialekt der "Pennsylvania Germans" ("In Lauderbach hawwich mei Schtrump verlorre") aus dem Jahr 1947 zeigt (Edition I).

TOBIAS WIDMAIER
(Januar 2011)



Literatur
  • Ernst Neweklowsky: Z' Lauterbach hab i' mein' Strumpf verlorn. In: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes 10 (1961), S. 94–97.

Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Tobias Widmaier: "Salontiroler". Alpiner Musikfolklorismus im 19. Jahrhundert. In: Cultures alpines/Alpine Kulturen. Redaktion Reto Furter u. a. Zürich 2006 (Histoire des Alpes 11), S. 61–72.
  • Michael Remson: Septimus Winner. Two Lives in Music. Lanham u. Oxford 2002, S. 104–107.
  • Utz Jeggle, Gottfried Korff: Zur Entwicklung des Zillertaler Regionalcharakters. Ein Beitrag zur Kulturökonomie. In: Zeitschrift für Volkskunde 70 (1974), S. 39–57.
  • Hans Nathan: The Tyrolese Family Rainer, And the Vogue of Singing Mountain-Troupes in Europe and America. In: The Musical Quarterly 32 (1946), S. 63–79 (S. 73 ein Bostoner Konzertprogramm der "Rainer Family" vom 9. September 1840 mit dem Lied "Lauterbach – The Stocking Lost").
  • Ludwig Steub: Drei Sommer in Tirol. München 1846 (Zitat S. 561).


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: sehr viele Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: verschiedentlich auf Flugschriften, sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: sehr oft auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: einzelne Tonaufzeichnungen, etliche Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Zu Lauterbach hab' i mein Strumpf verlorn (2011). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/zu_lauterbach_hab_i_mein_strumpf_verlorn/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 16.10.2012 10:29
 

nach oben | Impressum