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You are here: Home Lieder Zu Frankfurt an dem Main Edition A: Georg Herwegh 1848
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A. Zu Frankfurt an dem Main

(Georg Herwegh 1848)


Text: Georg Herwegh (1817–1875)
 


Das Reden nimmt kein End'

1. Zu Frankfurt an dem Main,
Da liegt der Weisen Stein:
D'rum haben wir gebeten
Moses und die Propheten,
Präsident und Sekretaire,
Ob er zu finden wäre
Im Parla – Parla – Parlament;
Das Reden nimmt kein End'.
 
2. Zu Frankfurt an dem Main –
Uns soll geholfen sein.
Man wird die Republiken
Im Mutterleib ersticken,
Und Wassermann und Welcker
Beglücken Deutschlands Völker
Im Parla – Parla – Parlament;
Das Reden nimmt kein End'.
 
3. Zu Frankfurt an dem Main –
Bald zieht der Kaiser ein.
Schon träuft der Gnade Manna –
Ihr Knechte, Hosianna!
Matthy, der Held, Minister –
Wie jubeln die Philister
Im Parla – Parla – Parlament;
Das Reden nimmt kein End'.
 
4. Zu Frankfurt an dem Main –
Die Wäsche wird nicht rein.
Sie bürsten und sie bürsten,
Die Fürsten bleiben Fürsten,
Die Mohren bleiben Mohren,
Trotz allen Professoren
Im Parla – Parla – Parlament;
Das Reden nimmt kein End'.
 
5. Zu Frankfurt an dem Main –
So schlag' der Teufel d'rein!
Die Welt sie steht in Flammen,
Sie sitzen noch beisammen.
Dem König Schach, ihr Bauern!
Wie lange soll es dauern
Das Parla – Parla – Parlament?
O Volk mach' ihm ein End'!


Georg Herwegh: Das Reden nimmt kein End'. In: Deutsche Londoner Zeitung. Blätter für Politik, Literatur und Kunst. London, 7. Juli 1848 (Nr. 170), Beilage, S. 680.
DVA: B 50354


Editorische Anmerkung:

Zu Herweghs handschriftlichen Entwürfen, den Lesarten und Varianten siehe ausführlich die kritische Herwegh-Ausgabe: Georg Herwegh. Gedichte 1835–1848. Bearbeitet von Volker Giel (= Georg Herwegh: Werke und Briefe. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Hrsg. von Ingrid Pepperle. Band 1). Bielefeld: Aisthesis Verlag 2006, S. 260–261 und S. 826–830.
1877 erschien in Herweghs "Neuen Gedichten" eine überarbeitete Gedichtversion; siehe Edition C.
Erläuterungen:
  • Stein der Weisen: Bezeichnung für eine Substanz, mit der man (im Sinne der mittelalterlichen Alchemie) gewöhnliches Gestein in Gold verwandeln, oder im übertragenen Sinne jegliche Probleme und Rätsel lösen könne;
  • Moses und die Propheten: Wortspiel mit den biblischen Assoziationen und dem gleichzeitigen umgangssprachlichen Ausdruck für "(viel) Geld";
  • Wassermann: Daniel Friedrich Bassermann (1811–1855), Verleger und populärer badischer Oppositionspolitiker der Liberalen, wurde in der Nationalversammlung Vorsitzender des Verfassungsausschusses und Staatssekretär im Innenministerium; die Verballhornung seines Namens zu "Wassermann" scheint damals geläufig gewesen zu sein, vgl. Max Berner: Michel-Lieder (1848/49), wie Edition B, Gedicht VI. ("O Wassermann, O Wassermann / Du jämmerlicher Wicht...");
  • Welcker: Karl Theodor Welcker (1790–1869), Rechtstheoretiker des Liberalismus, gab mit Karl von Rotteck das "Staatslexikon. Encyklopaedie der Staatswissenschaften" (1834) heraus, Mitglied des Verfassungsausschusses der Frankfurter Nationalversammlung;
  • Matthy: Karl Mathy (1807–1868), liberaler Oppositionspolitiker, galt den demokratischen Kräften als Verräter; Mathy ließ im April 1848 in Karlsruhe den demokratischen Publizisten Joseph Fickler verhaften und avancierte als sogenannter Retter der badischen Monarchie und zum Minister ohne Geschäftsbereich; als Mitglied der Nationalversammlung wurde er Staatssekretär im Finanzministerium der provisorischen Reichsregierung;
  • Trotz aller Professoren: die Abgeordneten der Paulskirche kamen mehrheitlich aus dem gebildeten Bürgertum; entgegen ihrem Ruf war die Nationalversammlung jedoch kein "Professorenparlament" (der Anteil der Universitätslehrer lag bei ca. 5 %); vielmehr handelte es sich um ein Akademiker-Parlament mit einem hohen Anteil an Staatsdienern (über 50%), wobei v.a. Juristen und höhere Beamte dominierten.
Auch Herweghs Gedicht kalkulierte übrigens – auch wenn es sich verbal ans "Volk" wandte – mit dem Bildungsstand seiner Adressaten, denn der Witz des Verses "Im Parla- Parla- Parlament" beruht schließlich darauf, dass der Leser bereits beim "Parla" das Reden mithört (franz. parler, ital. parlare), von dem dann in der folgenden Zeile gesagt wird, dass es kein Ende nehme.
last modified 31.08.2011 03:39
 

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