A. Wer will nötge Ware kaufen
(Ukraine 1923)
Text: anonym
| Bekanntmachung. | ||
| 1. | Wer will nötge Ware kaufen, | |
| Muss morgen in den "Vorwärts" laufen. | ||
| Kann dort auch warme Hemden haben | ||
| Für Damen und auch für die Knaben. | ||
| 2. | Zu Hosen[1] ist dort allerlei. | |
| 70 Tausend kostet jedes Ei. | ||
| Die Butter preiset Millionen | ||
| Horch, horch, wie teuer lieber Sohn! | ||
| 3. | Für Sonnenrosen[2] gibt es drei, | |
| Kattun[3] ist billiger, wie zwei. | ||
| Musslin[4] den preiset zwei dreihundert, | ||
| Wie mancher Jude hats bewundert, | ||
| 4. | Dass alle Ware billig ist, | |
| Dass er verspielt mit seiner List! | ||
| Aus Charkow[5] ist die War gebracht, | ||
| O, was für Schönheit, was für Pracht! | ||
| 5. | Die schönste War zu Damenkleider | |
| Kauft schneller ein, und fort zum Schneider. | ||
| Sind Hosenträger, gute Seife, | ||
| Flanell ist schwarzer mit weisse Streife, | ||
| 6. | Duchi[6] und Knöpf sind allerhand | |
| Allerlei Kämme und Gummenband, | ||
| Ist Tabak, Heften und Papier, | ||
| Kaschne[7] sind seidene zu Zier. | ||
| 7. | Sind Tücher zu auf Kopf und Tisch. | |
| Braucht wer zum Schreiben eine Feder, | ||
| Zu Damenschuh oder Hosen Leder, | ||
| So gehts ins Ladens der Verein[8], | ||
| 8. | Ist alles, ist sogar Seifstein[9], | |
| Ist Wagenschmiere, Gritz[10] und Öl | ||
| Sind keine[11] Pflaumen und Rosinen | ||
| Sind Nüsse und Nadel zu Nähmaschinen, | ||
| 9. | Aus Ausland sind die mehrsten Waren, | |
| Sind aber auch von hiesigen Basaren, | ||
| Ist Essig, Tinte und Bensin | ||
| Gibt gutes Wetter, gibts Kerossin. | ||
| 10. | Sind Gabeln, Messer und Kaffee, | |
| Backsoda[12], Butter und auch Tee. | ||
| Auf Bongs wird aber nicht gegeben. | ||
| Ach liebe Leute, sei das euer Streben. | ||
Aufgezeichnet in der Kolonie Grunau, Kreis Mariupol (Ukraine) im Jahr 1927 durch Alfred Ström; Gewährsperson: nicht genannt. Dort folgende Angabe zur Datierung: "1923".
DVA: DVL – M 43, Nr. 1
IRLI Handschr. Abt.: Fond 104 – 12 – 102, Veröffentlichung mit Genehmigung von IRLI RAN, Sankt-Petersburg.
Editorische Anmerkung:
Die Strophennummerierung wurde korrigiert. In der Vorlage ist Nr. 3 versehentlich doppelt vergeben. Erläuterungen zum Text:
[1] "Zu Hosen": Vermutlich falsch gehört und umgedichtet. Ursprünglich lautete diese Stelle wohl "zu holen".
[2] Sonnenrosen: Sonnenblumen.
[3] Kattun: Ein dichtes Baumwollgewebe in Tuchbindung.
[4] "Musslin" bzw. Musselin: Ein leichtes Baumwoll- oder Wollgewebe in Tuchbindung.
[5] Charkow: Neben Odessa wichtigstes regionales Handelszentrum im Schwarzmeergebiet der Ukraine.
[6] Duchi: Elsässisch-lothringischer Dialekt: Tuchwaren.
[7] Kaschne: Elsässisch-lothringischer Dialekt: Halstuch.
[8] Verein: Genossenschaftlich organisierter Konsumverein. In der NEP-Ära der Sowjetunion wurde die Mitgliedschaft verpflichtend – was wiederum die Genossenschaftsidee ad absurdum führte.
[9] Seifstein: Speckstein.
[10] Gritz: Grütze, also grob geschrotetes Getreide.
[11] "keine Pflaumen...": Vermutlich falsch gehört und umgedichtet. Ursprünglich lautete diese Stelle wohl "feine Pflaumen...".
[12] Backsoda: Natriumhydrogencarbonat bzw. Natron, als Backtriebmittel verwendet.
last modified
16.09.2013 12:49