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Trotz alledem


Das sozialkritische Lied "Trotz alledem" ist eines der am meisten rezipierten Lieder der 1848er Revolution. Ferdinand Freiligrath (1810–1876) hat den Text Anfang Juni 1848 geschrieben und knüpfte mit dem Anfang "Das war 'ne heiße Märzenzeit" unmittelbar an die revolutionären Ereignisse an. Freiligraths Gedicht knüpfte an seine Umdichtung des schottischen Liedes "For a' that, an' a' that" von Robert Burns (1795), welches er bereits 1843 ins Deutsche übertragen hatte, an. Die Wendung "Trotz alledem und alledem" ist in der Folge in der deutschen Arbeiterbewegung zu einem einflussreichen Motto geworden, das im Zuge der neuen sozialen Bewegungen der 1970er Jahre verstärkt wieder aufgegriffen wurde und neue Umdichtungen mit politischen Aktualitätsbezug hervorbracht hat.

I. Zwischen 1785 und 1795 hatte Robert Burns (1759–1796) vier verschiedene Gedichte zu dem bereits geläufigen Liedrefrain "For a' that, an' a' that" ("Trotz alledem und alledem") geschrieben. Am bekanntesten in Schottland wurde "Is there for honest poverty" (Edition A), das Burns im August 1795 im Glasgow Magazine veröffentlichte und das Ferdinand Freiligrath 1843 ins Deutsche übersetzte. Dieses Gedicht, Burns' berühmtestes politisches Lied, wurde von der Schrift "The Rights of Man" (1791/92) des englischen Revolutionärs Thomas Paine beeinflusst. Es handelt vom Wert des ehrlichen, armen Mannes, der die Fassade von Reichtum und sozialem Rang durchschaut und der die Vorzüge einer unabhängigen Gesinnung zu schätzen weiß. In der letzten Strophe proklamiert Burns die Ankunft eines neuen Zeitalters von universeller Brüderlichkeit unter den Menschen. Ferdinand Freiligraths Nachdichtung "Ob Armuth euer Loos auch sei" erschien 1844 in seinem Gedichtband "Ein Glaubensbekenntniß" (Edition B). Die Übersetzung erfasste den Sinn des in südwest-schottischem Dialekt geschriebenen Gedichts sehr präzise und gab dessen Inhalt getreu wieder. In Schottland wurde Burns' Lied sehr populär und wird noch heute als eine Art inoffizielle Nationalhymne betrachtet, die zum Beispiel 1999 bei der Neugründung des schottischen Parlaments von den Abgeordneten gesungen wurde.

II. Als Melodie hatte Burns eine Variante der schottischen Tanzweise "Lady McIntosh's Reel" im Sinn, die erstmals in "Bremner's Scots Reels" (1759) veröffentlicht worden war. Doch Burns' Verleger George Thomson hat den Text ab 1805 in seiner "Select Collection of Robert Burns" zunächst mit einer anderen Melodie ("Up and waur them a' Willie") herausgebracht. Erst in Thomsons "Select Collection"-Ausgabe aus dem Jahr 1822, ist Burns Gedicht "Is there for honest poverty" mit Lady McIntosh's Reel wieder verknüpft und seitdem stets in dieser Form in Schottland tradiert worden (Edition A). Diese Melodie hat sich auch in Deutschland – allerdings erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – als musikalische Begleitung für Freiligraths Gedicht durchgesetzt.

III. Im Jahr 1848 griff Freiligrath auf das "Trotz alledem"-Lied zurück, um mittels einer Umdichtung der Burns'schen Vorlage die aktuellen politischen Ereignisse zu kommentieren: Sein Text "Das war 'ne heiße Märzenzeit" erschien zuerst am 6. Juni 1848 in der von Karl Marx herausgegebenen "Neuen Rheinischen Zeitung" und wenig später, am 23. Juni, auch in einer Beilage zur "Deutschen Londoner Zeitung". Freiligraths "Trotz Alledem! Variirt" überschriebener Text politisiert die Grundhaltung der Vorlage, indem er diese – im Sinn von Durchhalten "trotz alledem" – auf die ersten Niederlagen der 1848er Revolution bezieht: insbesondere auf das Wieder-Auftauchen der bürgerlichen Reaktion und die Wiederkehr des Adels nach den anfänglichen Errungenschaften der revolutionären Bewegung. Im Jahr darauf war dieses Gedicht ebenfalls im ersten Heft von Freiligraths Band "Neuere politische und sociale Gedichte" (Köln 1849) enthalten (Edition C). Weitere Veröffentlichungen davon aus dem 19. Jahrhundert sind bislang jedoch nicht bekannt (abgesehen von "Ferdinand Freiligraths Sämmtliche Werke" New York 1858–1861).

IV. Auffällig ist vielmehr, dass es nicht Freiligraths 1848er-Umdichtung ist, die damals in republikanischen Liederbüchern und seit den 1870er Jahren in Liederbüchern der Arbeiterbewegung erscheint, sondern seine Burns-Nachdichtung "Ob Armuth euer Loos auch sei" aus dem Jahr 1843 (Edition B). Diese Nachdichtung wurde ab 1847 in verschiedensten Gesellschaftsliederbüchern veröffentlicht und zwischen 1858 und 1880 auch durch das "Allgemeine Deutsche Commersbuch" verbreitet: jedoch nicht mit der Weise der schottischen Vorlage, sondern mit einer Vertonung von Heinrich Jäde. Und in der Arbeiterbewegung kursierte es in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mit der Melodie des studentischen Weinliedes "Als Noah aus dem Kasten war".

V. Auf die "Märzenzeit"-Fassung von "Trotz alledem" wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zurückgegriffen. Ernst Busch machte dabei den Anfang und insbesondere im Kontext der Wiederbelebung von "demokratischen Volksliedern" seit den 1960er Jahren ist das Lied – ausgehend von Peter Rohlands bahnbrechendem 1848er Programm – von etlichen west- und ostdeutschen Liedermachern und Folkgruppen gesungen und aufgenommen worden (Edition D). Die neue Prominenz des Liedes brachte mehrere Umdichtungen mit sich, etwa 1977 von Hannes Wader (Edition E) und Wolf Biermann (Edition F), welche anstelle der historischen Bezüge die damals aktuellen politischen Themen in den Vordergrund stellten (s. Robb 2009).


DAVID ROBB
ECKHARD JOHN
(Dezember 2008)



Literatur
  • David Robb, Eckhard John: "'A Man's a Man for A' That" and "Trotz alledem": Robert Burns, Ferdinand Freiligrath, and their Reception in the German Folksong Movement. In: The Modern Language Review 106 (2011), S. 17–46.
  • David Robb, Eckhard John: "For a' that" und "Trotz alledem". Robert Burns, Ferdinand Freiligrath und ihre Rezeption in der deutschen Folkbewegung (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/trotz_alledem/liedkommentar.pdf>
  • Hans-Jürgen Schrader: "Wir sind das Volk". Ein Freiligrath-Vers als Exempel für subversive Wirkungspotenzen von Poesie. In: Produktivität des Gegensätzlichen. Studien zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Festschrift für Horst Denkler. Tübingen 2000, S. 69–92.
  • Dick van Stekelenburg: "Trotz alledem!" – Die Revolution zersungen. Von der Epigonalität politischer Aktualität. In: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 36 (1993), S. 377–407.

Weiterführende Literatur
  • Wolfgang Büttner: Trotz alledem. In: Schlagwörter und Schlachtrufe. Aus zwei Jahrhunderten deutscher Geschichte. Hrsg. Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker. Leipzig 2002, Band 2, S. 339–343.
  • Heidrum Kämper-Jensen: Lieder von 1848. Politische Sprache einer literarischen Gattung. Tübingen 1989, S. 164–172.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: selten in Gebrauchsliederbüchern (v. a. nach 1970), etliche sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: etliche Tonträger (ab Mitte 1960er Jahre)
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
David Robb, Eckhard John: Trotz alledem (2008). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/trotz_alledem/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 12.09.2012 11:31
 

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