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Sei gegrüßt, o Gnadengarten


"Sei gegrüßt, o Gnadengarten" gehört zu den populären Marienliedern, das in vielen Varianten bekannt ist. Das Lied ist im Umfeld der Mariazeller Wallfahrt im frühen 18. Jahrhundert entstanden und wurde im 19. und 20. Jahrhundert im süddeutschen Kulturraum weitertradiert. In der Gegenwart führt das Lied nur noch ein Nischendasein, wird aber in einigen katholischen Milieus weitergepflegt.

I. Das auf den ersten Blick naiv anmutende Lied spiegelt eine elaborierte Mariensymbolik wider, die sich hauptsächlich auf die Bereiche "Garten" und "Blume" bezieht. Der zu Beginn des Textes angesprochene "Gnadengarten" ist ein Reflex auf das biblische Bild vom verschlossenen Garten (hortus conclusus; vgl. Hld 4,12), der als Gleichnis der Jungfräulichkeit Mariens interpretiert wurde. Im Mittelalter wird Maria auch selbst als "hortus benedicitionis" oder als "hortus deliciarum" besungen. In die Garten-Metaphorik ordnet sich zwanglos die "Vergiß nicht mein"-Anrufung des Liedes ein. Die entsprechende Pflanze (ihr Name ist seit dem 15. Jahrhundert bezeugt) wurde im geistlichen wie im weltlichen Lied als Symbol der Treue und der Erinnerung gebraucht. Die Bedeutung dieses Namens für die katholische Barockfrömmigkeit belegen auch entsprechende Titel von Gebet- und Andachtsbüchern wie das "Geistliche Vergiß mein nit" (Augsburg 1725) des erfolgreichen katholischen Erbauungsschriftstellers Caspar Erhard.

II. Die Überlieferung des Liedes auf Flugschriften legt nahe, dass das Marienlied zunächst zu den sogenannten "Zeller Liedern" gehörte, die für Mariazell in der Steiermark, den – auch politisch – bedeutendsten Wallfahrtsort Österreichs, geschaffen wurden. Der älteste bezeugte Druck stammt aus dem ersten Drittel des 18. Jahrhunderts. Leider ist diese in Steyr hergestellte Flugschrift nur fragmentarisch erhalten; der Text des Liedes ist dort nicht überliefert. "Sei gegrüßt, o Gnadengarten" ist im Laufe der Überlieferungsgeschichte auch auf andere marianische Wallfahrtsorte bezogen worden, so auf das ebenfalls österreichische Maria Taferl (Edition A). Eine zehnstrophige Fassung hat sich auf einem Flugblatt aus Neustadt (1807) erhalten (Edition B und Abb. 1). Dort erscheint das Lied als Gruß an das Gnadenbild. Möglicherweise war damit ursprünglich das Niederlegen eines Blumengebindes vor dem Altar (Str. 7f.) verbunden.

III. In der weiteren Rezeption verlieren sich diese lokale Bezüge. Damit wurde eine Verbreitung im gesamten österreichisch-süddeutschen Kulturraum ermöglicht. Franz Wilhelm Freiherr von Ditfurth überliefert in seinen "Fränkischen Volksliedern" (Leipzig 1855) eine sechsstrophige Fassung des Liedes aus Theres (Unterfranken), die vermutlich die jüngere Rezeption im 19. und 20. Jahrhundert angestoßen hat (Edition C). Ditfurth überliefert auch als erster eine Weise, die zu einem weitverbreitetem Melodie-Typ mit vielen Varianten gehört. Möglicherweise war diese eingängige Weise das rezeptionsauslösende Moment, weniger der Text.

IV. In den Gesangbuchkanon wurde das Marienlied aufgrund der ästhetischen und theologischen Anschauungen des 19. und 20. Jahrhunderts nicht aufgenommen. Ebensowenig findet es sich in weltlichen Liederbüchern. Nur in den Sammlungen "Deutsche Volkslieder aus Böhmen" (Prag 1891) und "Die bunte Garbe. Deutsche Volkslieder der Gegenwart" (München 1912) ließ sich bisher eine stark bearbeitete Fassung mit dem Incipit "O Maria im Rosengarten" ausmachen (Edition D). In diesen beiden Büchern wird die ursprüngliche theologische Garten- und Blumenmetaphorik weitgehend naturalistisch-ästhetisch aufgelöst. Die Liedsammlung aus dem Jahr 1912 führt die Enttheologisierung fort und lässt die Strophen 4 und 5 – und damit auch die Fürbitte für die im Fegefeuer Verharrenden – weg.

V. Offensichtlich wurde das Marienlied – wie viele geistliche Lieder – vornehmlich durch Gelegenheitsdrucke (Liedblätter) und Kleinschriften verbreitet, die entweder nicht mehr erhalten oder schwer zugänglich sind. In der Gegenwart wird das Lied nur noch von bestimmten Interessengruppen (marianische Gebetskreise, Kongregationen) oder zu bestimmten Anlässen (Wallfahrten, Maiandachten) gesungen. Ausschlaggebend für das selbst im katholischen Milieu nachlassende Interesse dürften weniger theologische Bedenken sein als ästhetische und psychische Hemmnisse: Die im Wortsinne blumige Sprache sowie die emotionale Emphase stößt auch bei katholischen Gemeinden nicht mehr auf ungeteilte Zustimmung.

MICHAEL FISCHER
unter Mitarbeit von CHRISTIANE SCHÄFER (Speyer)
(Oktober 2005 / Juli 2007)



Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: verschiedentlich auf Flugschriften, gelegentlich in religiösen Lieder- und Andachtsbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: eine Tonbandaufzeichnung, selten auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer, Christiane Schäfer: Sei gegrüßt, o Gnadengarten (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/sei_gegruesst_o_gnadengarten/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 12.09.2012 12:24
 

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