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O wie traurig ist der Gang


Das russlanddeutsche Soldatenlied "O wie traurig ist der Gang" ist um 1874, kurze Zeit nach der Einführung der Wehrpflicht für die deutschen Siedler im Zarenreich, entstanden. Der Autor des Textes ist nicht überliefert. Vermutlich stammt er aus der Wolgaregion, wo das Lied vor dem Ersten Weltkrieg bekannt war.

I. Die einzige bislang vorliegende Quelle für dieses Lied ist ein handschriftliches Liederbuch. Es wurde 1858 von dem Lehrer Anton Schneider in der Kolonie Mariental an der Wolga angelegt und nach seinem Tod von Familienmitgliedern um weitere Liedeinträge ergänzt. Die Niederschrift des Liedes "O wie traurig ist der Gang" stammt aus der Zeit nach 1877 und trägt den Titel "Lied eines deutschen Soldaten in Rußland" (Edition A).

II. Der Liedtext bringt die Tragik zum Ausdruck, die mit der Einführung der Wehrpflicht für die Russlanddeutschen verbunden war. Das seelische Leiden steht dabei im Vordergrund: "O wie traurig ist der Gang, den wir müssen gehen" hebt das Lied an und bekennt sich unverhohlen zu den schmerzlichen Emotionen ("Thränen thun mein Augen fließen", Str. 2), die der langjährige Abschied von Eltern, Frau und Kindern auslöst. Angesicht der Ungewissheit, ob man sich jemals wiedersehen wird, bleibt nur die Hoffnung auf Gottes Schutz und Geleit. Wie schockierend die Verpflichtung zum Militärdienst 1874 für die Russlanddeutschen gewesen sein muss, veranschaulicht die letzte Strophe: Hundert Jahre "waren wir Deutschen immer frei" und dementsprechend überrumpelt fühlte man sich nun ("wir Deutschen habens nicht vermut[et]") durch die einschneidenden Veränderungen der Lebensbedingungen: "unser Herz das schwimmt im Blut".

III. Das Ausmaß der Erschütterung, welche die Einführung der Wehrpflicht 1874 für die deutschen Siedler in Russland hervorrief, lässt sich an der Vielzahl der Lieder ablesen, die aus diesem Anlass entstanden sind. Die Bezugnahme auf die über hundert Jahre geltende Freistellung vom Kriegsdienst legt nahe, dass "O wie traurig ist der Gang" eine unmittelbare Reaktion auf diese einschneidende Veränderung gewesen ist. Im ausgehenden 19. Jahrhundert war das Lied unter den Deutschen an der Wolga bekannt, vermutlich ist es auch dort verfasst worden. Im Unterschied zu anderen Liedern dieser Thematik – insbesondere "Das Manifest der Kaiserin", das später zu einem Symbolträger russlanddeutscher Identität wurde – hat "O wie traurig ist der Gang" über die unmittelbare Erlebnisgeneration hinaus offenbar keine weitere Tradierung gefunden.

ECKHARD JOHN
(Dezember 2014)



Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: singuläre Aufzeichnung in handschriftlichem Liederbuch
  • Gedruckte Quellen: —
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: —
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Phonogrammarchivs St. Petersburg (IRLI) und des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Eckhard John: O wie traurig ist der Gang (2014). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/o_wie_traurig_ist_der_gang/>.
last modified 28.09.2016 04:14
 

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