Skip to content. Skip to navigation

Liederlexikon

Personal tools
You are here: Home Lieder Nah bei Wien, im deutschen Lande
Document Actions

Nah bei Wien, im deutschen Lande


Das politische Ereignislied "Nah bei Wien im deutschen Lande" ist einer der vielen Freiheitsgesänge, die 1848 auf den demokratischen Politiker Robert Blum nach seiner Hinrichtung in Wien verfasst wurden. Der Dessauer Schriftsteller Ludwig Würdig veröffentlichte den Text anlässlich der Gedenkfeiern für den ermordeten Parlamentarier der Frankfurter Paulskirche, die im November 1848 in zahlreichen Orten stattfanden. Das Gedicht erlangte seinerzeit eine gewisse Popularität, deren Spuren sich auch als gesungenes Lied bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts nachweisen lassen.

I. Unter dem schlichten Titel "Robert Blum" veröffentlichte der Schriftsteller und Heimatforscher Ludwig Würdig (1818–1889) im November 1848 ein Gedicht mit dem Anfangsvers "Nah bei Wien im deutschen Lande", das er als Reaktion auf die Erschießung Blums verfasst hatte. Es erschien in Dessau als Flugschriftendruck zugunsten der Familie Blums und parallel dazu auch in der Leipziger Zeitschrift "Freikugeln" (Edition A). Würdig war in den Revolutionsjahren 1848/49 Vize-Kommandant der Dessauer Bürgerwehr und wurde 1849 Mitglied des vereinigten Landtags Anhalt–Dessau–Köthen. Seine Verse auf Robert Blum waren – wie auch andere damalige Blum-Lieder (z. B. "Was zieht dort zur Brigittenau") – Teil einer deutschlandweiten Spendenaktion zugunsten der Hinterbliebenen des populären demokratischen Revolutionärs.

II. Würdigs Gedicht auf Robert Blum ist durchdrungen von Empörung über die Hinrichtung des Parlamentariers und von Hoffnung auf einen baldigen Sieg der revolutionären Bewegung. Dabei setzt der Text drei inhaltliche Schwerpunkte: die Ermordung Blums, die Kritik an dem dafür verantwortlichen Feldmarschall Windisch-Graetz sowie die Sinnstiftung für Blums Tod. Der Politiker Robert Blum wird als ein leidenschaftlicher Kämpfer für "die deutsche Freiheit" charakterisiert, dessen Hinrichtung in Wien als "Deutschlands Schmach und Schande" bewertet wird. Verantwortlich dafür ist der "Fürstenknecht" Windisch-Graetz, der nicht als militärischer Führer sondern als "entmenschter Krieger" gesehen und vom "Volk verachtet" wird. Mögen ihn im Augenblick auch die "Throne" belohnen – in künftigen Geschichtsbüchern werde er jedoch eine ähnlich unrühmliche Rolle spielen wie der Feldherr Johann t'Serclaes von Tilly im 30jährigen Krieg (als Sinnbild eines Kriegsverbrechers) und der blutrünstige Herzog von Alba (in Goethes Trauerspiel "Egmont"). Die Zukunft gehöre indes "Deutschlands Freiheitssiegern" und ein Triumph der Revolution werde schlussendlich auch den Tod Blums rächen, so dass der Vorkämpfer der Demokratie nicht umsonst gestorben sei. Stilistisch ist der Text recht heterogen angelegt: Während er zu Beginn noch mit bänkelsängerischen Elementen arbeitet (etwa: "habt ihr es vernommen schon?"), nimmt er mit Blick auf Windisch-Graetz eine zunehmend sarkastisch-polemische Erzählweise an. Die Schlussstrophen wiederum sind von einem Pathos geprägt, das die Todesumstände Blums sakralisiert: Dieser wird zu einem "Märtyrer der deutschen Sache" überhöht, sein Hinrichtungsort zu einer "heil'gen Stelle", deren Bedeutung "Golgatha" gleichkomme und nach einer "Erlösung" rufe: "Tief hinunter soll es schallen / hoch herab vom Paradies / 'Die Tyrannen sind gefallen / Robert Blum nun schlafe süß'".

III. Verschiedene Flugschriftendrucke aus den Jahren 1848/49 deuten darauf hin, dass der Text seinerzeit im gewissen Umfang zirkulierte (s. Anmerkung zu Edition A). Näheres zur damaligen Rezeption sowie zur weiteren Tradierung des Liedes ist bislang aber nicht bekannt. Es dürfte vornehmlich die Erlebnisgeneration gewesen sein, die diesen Text in Erinnerung behielt, wie das Beispiel eines mecklenburgischen Seemanns zeigt, der das Jahr 1848 als 23jähriger durchlebte und noch im Alter von 75 Jahren "Nah bei Wien im deutschen Lande" in seine handschriftliche Sammlung "Volkslieder ernsten und heiteren Inhalts" (1900) aufnahm (Edition B). Eine Aufzeichnung aus den 1920er Jahren belegt schließlich, dass der Text auch als gesungenes Lied kursierte (Edition C). Es gehört zum Korpus jener Blum-Lieder, die die Erinnerung an den ermordeten Revolutionär unterhalb der Schwelle öffentlichkeitswirksamer Rezeption noch über viele Jahrzehnte hin wach hielt. In der Rezeption von Blum-Liedern nach dem Zweiten Weltkrieg spielte "Nah bei Wien im deutschen Lande" jedoch keine Rolle mehr.

DAVID ROBB
ECKHARD JOHN
Quellenrecherche: Ingrid Bertleff
(November 2012)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Lorie A. Vanchena: Political Poetry in Periodicals and the Shaping of German National Consciousness in the Nineteenth Century. New York etc. 2000, S. 121f.
  • Alfred Wirth: Das Lied vom Robert Blum. In: Jahrbuch für Volksliedforschung 1 (1928), S. 170–179; hier S. 178.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, kaum sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: —
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
David Robb, Eckhard John: Nah bei Wien, im deutschen Lande (2012). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/nah_bei_wien_im_deutschen_lande/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 25.04.2013 11:49
 

nach oben | Impressum