Edition D: Rayon Leningrad 1929 copied.
B. Nah bei Wien im deutschen Lande
(Liederhandschrift Rügen 1900)
Text: nach Ludwig Würdig (1818–1889)
1. | Nah bei Wien im deutschen Lande | |
Habt ihr es vernommen schon | ||
Ward zu Deutschlands Schmach und Schande | ||
Hingewürgt ein deutscher Sohn | ||
Hähne knacken ketten rasseln | ||
Das Kommandowort schlag an | ||
Und es beugt den theuren Nacken | ||
Robert Bluhm den freien Mann | ||
2. | Fragt ihr noch was er verbrochen | |
Für die deutsche Freiheit hat | ||
Er ein liebes Wort gesprochen | ||
In der großen Kaisersstadt | ||
Ringet nach den schönen worten | ||
In den heimathlichen höhn | ||
Wollte Deutschland er so gerne | ||
Stark und Frei und glücklich sehn | ||
3. | Seht den Fürstenknechte zittern | |
Für die Wahrheit groß und klein | ||
Die gleich brausenden Gewittern | ||
Unser Vaterland umziehn | ||
Windischgrätz ein Mensch im Kriege | ||
Feiger würge, würge fort | ||
Aber Deutschlands heilge Krieger | ||
Rächen blutig diesen Mord | ||
4. | Laßt mit Orden dich belohnen | |
Und mit Ketten schmücken dich | ||
Suche schutz auf Deutschlands throne | ||
Denn dein Volk verachtet dich | ||
In den Büchern der Geschichte | ||
Wirst du über Tilli stehn | ||
Und beim ewgen Weltgerichte | ||
Arm in Arm im Alma gehn | ||
5. | Schau auf deines Grabeshügel | |
Lenzen Blumen werden blühn | ||
Aber Deutschlands heilge Sieger | ||
Unser Vaterland durchziehn | ||
Tief herrunter soll erschallen | ||
Hoch herab vom Paradies | ||
Die Tirannen sind gefallen | ||
Robert Bluhm nun schlumre süß |
Liederhandschrift "Volkslieder ernsten und heiteren Inhalts. Geschrieben im Jahr 1900 zu Thießow auf Rügen von Johann Darm. Oberlotse a. D.", Lied Nr. 23.
DVA: A 106082
Editorische Anmerkung:
Der Seemann Johann Darm war 1848 – also zur Zeit der Revolution und der Erschießung von Robert Blum – ein junger Mann von 23 Jahren. Er könnte das Lied somit aus eigenem Zeit-Erleben gekannt haben.
Aufgeschrieben hat er es aber erst im Alter von 75 Jahren, zusammen mit anderen "Volksliedern ernsten und heiteren Inhalts". Seine Liedaufzeichnungen wurden 1928 vom Fischhändler Friedrich Darm aus Friedland (Mecklenburg) an das Pommersche Volksliedarchiv eingesandt. Dazu sind folgende Lebensdaten von Johann Darm genannt: "geb. zu Freest (Kr. Greifswald) am 24. November 1825; gestorben 24. Juli 1911".
In der von Johann Darm überlieferten Textfassung fehlt die 5. Strophe von Würdig (s. Edition A). Ansonsten sind die Textabweichungen relativ geringfügig. Sie weisen typische Merkmale langjähriger (möglicherweise auch mündlicher) Tradierung auf:
Str. 2, Vers 6: "In den heimathlichen höhn" | (statt: "Aus der Heimat lichten Höhn"), |
Str. 6, Vers 5: "Tief herunter soll erschallen" | (statt: "Tief hinunter soll es schallen"), |
Str. 1, Vers 7: "Und es beugt den theuren Nacken" | (statt: "den freien Nacken"), |
Str. 2, Vers 4: "In der großen Kaisersstadt" | (statt: "In der deutschen Kaiserstadt"), |
Str. 2, Vers 5: "Ringet nach den schönen worten" | (statt: "Ringend nach den schönen Sterne"), |
Str. 3, Vers 2: "Für die Wahrheit groß und klein" | (statt: "Vor der Wahrheit groß und nackt"), |
Str. 6, Vers 4: "Unser Vaterland durch ziehn" | (statt: "umglühn"), |
Str. 6, Vers 8: "Robert Blum nun schlumre süß" | (statt: "nun schlafe süß!"). |
Str. 3, Vers 5: "Windischgrätz ein Mensch im Kriege" | (statt: "Windisch-Grätz, entmenschter Krieger") |
Str. 4, Vers 3: "Suchen schutz auf Deutschlands throne" | (statt: "Suche Dank auf …"), |
Str. 4, Vers 4: "Denn dein Volk verachtet dich | statt: "Deutschlands Volk verachtet dich!"), |
Str. 4, Vers 6: "Wirst du über Tilli stehn" | (statt: " Wirst du neben Tilly stehn"), |
Str. 3, Vers 4: "Unser Vaterland umziehn" | (statt: "Alle Sklavenseelen packt!"), |
Str. 3, Vers 7: "heilge Krieger | (statt: "Freiheitssieger"), |
Str. 6, Vers 3: "Aber Deutschlands heilge Sieger" | (statt: "Wird der Freiheit heil'ger Flügel"), |
Bei allen drei Stellen handelt es sich vermutlich weniger um bewusste Eingriffe in den Text als um erinnerungsbedingte Verwechslungen: Str. 3, Vers 4 ist eine variierte Vorwegnahme des Verses 4 in Str. 5, Str. 5, Vers 3 ist eine variierte Wiederholung von Vers 7 in Str. 3, und in dieser Form noch näher an Würdigs Original (s. Edition A, Str. 3, Vers 7). |
last modified
16.01.2013 01:34