Skip to content. Skip to navigation

Liederlexikon

Personal tools
You are here: Home Lieder Kommt ihr Brüder, wir wollen ziehen Edition B: Wolgaregion 1914
Document Actions

B. Hier in Russland ist nicht zu leben

(Wolgaregion 1914)

 
Text: anonym
 

Scan der Editionsvorlage
 1  2  3

Auswandererlied.

1.Hier in Rußland ist nicht zu leben,
Weil wir müssen Soldaten geben,
Und als Ratnik müssen wir stehn –
Drum wollen wir aus Rußland gehn.
 
2.In Saratow du deutsch Kontor,
Bring uns lauter Deutsche vor,
Hin nach dem brasilischen Ort,
Keinen Winter gibt es dort.
 
3.Was wir haben uns erspart,
Kostet 's uns auf dieser Fahrt
Hin nach dem brasilischen Ort,
Keinen Winter gibt es dort.
 
4.Wenn wir nach Stadt Hamburg kommen,
Wird uns unser Geld genommen,
Wenn wir fahren bis ans Meer,
Werden uns unsre Säcklein leer.
 
5.Wenn wir auf dem Wasser fahren,
Schickt uns Gott einen Engel dar.
Gott, streck aus deine milde Hand,
Daß wir kommen an das Land.
 
6.Wenn wir von dem Schiff absteigen,
Ziehen wir in Gottes Namen;
Wenn wir auf dem Wagen fahren,
Werdn wir wilde Schwein gewahr. |[S. 111]
 
7.Trauben wachsen hinter Zäun,
Hutzeln an den hohen Bäum,
Aepfel, Feigen, die sind rot –
Hilf uns Gott aus aller Not!


Volkslieder und Kinderreime aus den Wolgakolonien. Gesammelt und mit einem Anhange von Rätseln zum 150jährigen Jubiläum der Wolgakolonien hrsg. von J[ohannes] E[rbes] und P[eter] S[inner]. Saratow 1914, S. 110f. (Nr. 113).
DVA: V 9/3120


Editorische Anmerkung:
Die Herausgeber Johannes Erbes und Peter Sinner kommentierten die historischen Hintergründe des Liedes wie folgt:
"Es ist in den Kolonien in den 70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden, als mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die Kolonisten die ersten Soldaten geben mußten. Infolgedessen war ein Auswanderungsfieber nach Brasilien ausgebrochen, das aber bald wieder schwand, als ungünstige Nachrichten von den ersten 'Brasilienziehern' eintrafen. […] Wie Brasilien heutzutage vergessen ist, so auch diese Lieder. Nur die ältere Generation kennt sie noch." (ebd., S. 234, Kommentar zu Nr. 113)
Demnach war das Lied 1914 unter den Wolgadeutschen nicht mehr aktuell, sondern eines der Erlebnisgeneration der 1870er Jahre: die zwischen 1850 und 1860 Geborenen waren 1914 zwischen 55 und 65 Jahre alt. Unter ihnen kursierten damals verschiedene Textvarianten, mit unterschiedlichen Liedanfängen und unterschiedlichen Strophenversionen. Erbes und Sinner kommentierten: "ein sehr zersungenes Lied“ (ebd.) und veranschaulichen im Anmerkungsteil ihrer Liedsammlung mit dem Abdruck weiterer Liedstrophen, dass das Lied 1914 bereits durch einen langjährigen Rezeptionsprozess gezeichnet war:

"In unserem Liede hier wird auch als 1. Vers gesungen:

Kommt, ihr Brüder wollen ziehen,
Unsre Schein sind schon geschrieben.
Hin nach dem brasilischen Ort,
Weil es gibt keinen Winter dort.

Andere Verse sind:

Wenn wir auf das Schiffchen steigen,
Tut uns Gott viel Gnad verleihen.
Gott, streck aus deine milde Hand,
Daß wir kommen in das Land.

Wenn wir an das Land ankommen,
Steigen wir ab in Gottes Namen,
Ziehn wir in das Land hinein,
Sehen wir ein wildes Schwein.

Wilde Schweine, die sind fett,
Kann man schießen ja grad weg.
– – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – –

Wenn wir auf dem Platz ankommen,
Schauen wir uns gleich um,
Wo die schönsten Häuser sein,
Wollen wir ziehen auch gleich ein."

(Erbes/Sinner 1914, wie oben, S. 234)
last modified 04.03.2016 02:01
 

nach oben | Impressum