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You are here: Home Lieder Ja was ljublju von ganzem Herzen (Я васъ люблю ...) Edition C: Karl Stumpp 1979
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C. Ja was ljublju von ganzem Herzen

(Karl Stumpp 1979)


Text: anonym

Scan der Editionsvorlage
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Ja was ljublju von ganzem Herzen,
Gewiß mein Engel ty byla
Ja tschuwstwowal große Schmerzen,
Wenn einmal traurig ty byla
Bin ich mit dir, kak mnje prijatno
Blashenstwo wenn ich küsse dich.
Küßt du mich wieder, dann obratno,
Och, kak prijatno fühl ich mich.


Karl Stumpp: Überlieferungsgut der Russlanddeutschen (Redensarten – Volksreime – Lieder – Spiele). In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 22 (1979), S. 210–216 (Zitat S. 212).
DVA: VZ 400


Editorische Anmerkung
:
Karl Stumpp hat in seiner Edition die russischen Textpassagen transliteriert und seine deutschen Übersetzungen in Klammern im fortlaufenden Text wiedergegeben:
Ja was ljublju ("ich liebe dich") von ganzem Herzen,
Gewiß mein Engel ty byla ("warst du")
Ja tschuwstwowal ("ich fühlte") große Schmerzen,
Wenn einmal traurig ty byla ("du warst")
Bin ich mit dir, kak mnje prijatno ("wie ist mir angenehm")
Blashenstwo ("Glückseligkeit") wenn ich küsse dich.
Küßt du mich wieder, dann obratno ("wieder zurück"),
Och, kak prijatno ("o, wie angenehm") fühl ich mich.
Bis auf einen Fehler im ersten Vers ist diese Übersetzung richtig. Dort müsste es korrekterweise lauten: "Ich liebe Sie". Der Text beginnt also in höflich-distanziertem Ton und wechselt dann zum intimeren Du. Ein Grund dafür ist möglicherweise die Tatsache, dass die Formel "Ja was ljublju/ljubil" im Russischen sehr verbreitet ist und eines der bekanntesten Gedichte Puschkins mit den Worten "Ja was ljubil" (Ich liebte Sie) beginnt.

Da der Autor die Herkunft seines Materials nicht offenlegt, bleibt unklar, aus welchem Jahr und woher dieser Beleg stammt. Es könnte sich entweder um Jugenderinnerungen des Autors handeln (1896 in einer russlanddeutschen Siedlung bei Odessa geboren, lebte er bis 1918 in der Ukraine), um spät publiziertes Material aus seiner ethnologischen Sammlungstätigkeit in der Ukraine für das nationalsozialistische Deutschland (während des Russlandfeldzugs forschte er dort im Auftrag des Deutschen Auslandinstituts und des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete) oder um Texte, die ihm in späteren Jahren von russlanddeutschen Einwanderern in der Bundesrepublik Deutschland zugetragen wurden. Weitergehende Informationen zu Stumpps Forschungstätigkeit im nationalsozialistischen und postnazistischen Kontext finden sich z. B. in folgendem Aufsatz:
Eric J. Schmaltz, Samuel D. Sinner: The Nazi Ethnographic Research of Georg Leibbrandt and Karl Stumpp in the Ukraine, and Its North American Legacy. In: Michael Fahlbusch, Ingo Haar (Hrsg.): German scholars and ethnic cleansing, 1919-1945. New York: Berghahn Books 2005, S. 51-85.

Kurz bevor Karl Stumpp diese Verse im Kontext des landsmannschaftlichen Milieus der Russlanddeutschen in Westdeutschland dokumentierte, war auch in Kasachstan an dieses Lied erinnert worden. In Victor Kleins Publikation über russlanddeutsche Lieder aus dem Jahr 1974 erschien es – wie bei Erbes/Sinner (1914) – als Vierzeiler (bei Klein lediglich in transliterierter Form), als Beispiel für deutsch-russische Mischlieder:
Ja was ljublju von ganzem Herzen,
wsegda mein Engel ty byla,
ja tschuwstwowal sehr große Schmerzen,
wenn einmal traurig ty byla...
Victor Klein: Unversiegbarer Born. Vom Wesen des Volksliedes der Sowjetdeutschen. Alma-Ata: Verlag Kasachstan 1974, S. 18.
DVA: V 1/8965

Übersetzung:
Vers 1: Ja was ljublju – Ich liebe Sie
Vers 2: wsegda – immer
Vers 2 und 4: ty byla – du warst
Vers 3: ja tschuwstwowal – ich fühlte

Dort außerdem folgender Kommentar:
"Es gibt eigentlich auch deutsch-russische Mischlieder [...]. Solche Mischlieder kann man kaum zur Volksdichtung zählen. Sie entstanden in kleinbürgerlichen städtischen Kreisen (unter Kleinkrämern, Handwerkern, die ihren Wohnsitz in russischen Städten hatten, und Gymnasiasten), wurden von den großen Kolonistenmassen nie gesungen und waren eigentlich nur witzig sein sollende Unterhaltung."

Angesichts der unterschiedlichen Belege dieses und weiterer russisch-deutscher Mischlieder aus unterschiedlichen Siedlungskontexten und über einen weiten Zeitraum hinweg, lässt sich diese These Kleins nicht aufrechterhalten. Tatsächlich waren Mischlieder im ersten Drittel des 20. Jh. in vielen russlanddeutschen Siedlungsgebieten recht populär und in ihrer Verbreitung keineswegs auf den städtischen Kontext oder bestimmte soziale Schichten beschränkt. Dass sie in aller Regel witzig und unterhaltsam waren ist ein Charakteristikum dieser Liedgruppe, keine Einschränkung oder Qualitätsminderung. Insofern ist Kleins Aussage vielmehr Ausdruck eines Selektionsbestrebens des Autors: mittels meinungsbildender Aktivitäten bestimmte Lieder und Liedgruppen in den Kanon der Kolonistenlieder ein- und andere auszuschließen.

Noch in der Gegenwart kursieren Verse dieses Liedes in deutschsprachigen Chatrooms und Sprachforen des World Wide Web in unterschiedlichen Varianten. Interessant an deren Formen ist, dass es sich wiederum um Vierzeiler handelt, die jedoch verkürzte Fassungen jener achtzeiligen Version, die Karl Stumpp dokumentierte, darstellen, z. B.:

a. (Chatroom BRD 2010)
Ljublju tebja vom ganzen Herzen!
4ustwuju ganz grosse Schmerzen,
Kogda s toboj mne voll prijatno!
Wenn du mich küsst, Küss ich obratno!!
URL: <http://hp.knuddels.de/homepages/knuddels.de/hp/216/russian-kissa.html>, 31. März 2010.

b. (Sprachforum Österreich 2010)
Ljublu tebja von ganzen Herzen
i tschustwuju so große Schmerzen.
Kogda ti rjadam ist mir so prijatna.
Wenn du mich küsst, dann küss ich dich abratna.
URL: <http://pauker.at/eintrag.php?id=20582138>, 31. März 2010.

Übersetzung:
(sprachliche Auslassungen sowie Korrekturen der Transliteration in runden Klammern; ursprünglich deutsche Wörter, die wegen des Sinnzusammenhangs wiederholt werden in eckigen Klammern)
zu a:
Vers 1: Ljublju tebja: (Ich) liebe dich
Vers 2: 4ustwuju (d. h.: tschuwstwuju; die Zahl 4 steht für die Buchstabenfolge "Tsch"): (ich) fühle
Vers 3: Kogda s toboj mne voll prijatno: Wenn (es mir) mit dir [voll] angenehm (ist) Vers 4: obratno: zurück
zu b:
Vers 1: Ljublu tebja: (Ich) liebe dich
Vers 2: i tschustwuju (d. h.: tschuwstwuju): Und fühle
Vers 3: Kogda ti rjadam (d.h.: ty rjadom) ist mir so prijatna (d.h.: prijatno): Wenn du neben mir (bist) [ist mir so] angenehm
Vers 4: abratna (d. h.: obratno): zurück.
Die Transliteration aus dem kyrillischen ist in beiden Beispielen fehlerhaft und eher eine ungefähre Wiedergabe der Lautung.

(Übersetzungen und philologische Erläuterungen von Natalia D. Swetosarowa, St. Petersburg)
last modified 31.08.2011 02:35
 

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