D. Geh aus, mein Herz, und suche Freud
(Des Knaben Wunderhorn 1808)
                
                
Text: Paul Gerhardt (1607–1676)
| Sommerlied. | ||
| 1. | Geh aus, mein Herz, und suche Freud | |
| In dieser lieben Sommerzeit, | ||
| An deines Gottes Gaben; | ||
| Schau an der schönen Gärten Zier, | ||
| Und siehe, wie sie mir und dir | ||
| Sich ausgeschmücket haben. | ||
| 2. | Die Bäume stehen voller Laub, | |
| Das Erdreich decket seinen Staub | ||
| Mit einem grünen Kleide. | | [S. 85] | |
| Narcissen und die Tulipan, | ||
| Die ziehen sich viel schöner an, | ||
| Als Salamonis Seide. | ||
| 3. | Die Lerche schwingt sich in die Luft, | |
| Das Täubchen fleucht aus seiner Kluft, | ||
| Und macht sich in die Wälder. | ||
| Die hochgelobte Nachtigall | ||
| Ergötzt und füllt mit ihrem Schall | ||
| Berg, Hügel, Thal und Felder. | ||
| 4. | Die Glucke führt ihr Küchlein aus, | |
| Der Storch baut und bewohnt sein Haus, | ||
| Das Schwälblein speißt die Jungen; | ||
| Der schnelle Hirsch, das leichte Reh | ||
| Ist froh, und kommt aus seiner Höh, | ||
| Ins tiefe Gras gesprungen. | ||
| 5. | Die Bächlein rauschen in dem Sand, | |
| Und mahlen sich in ihrem Rand | ||
| Mit schattenreichen Myrthen; | ||
| Die Wiesen liegen hart dabei, | ||
| Und klingen ganz von Lustgeschrey | ||
| Der Schaaf und ihrer Hirten. | ||
| 6. | Die unverdroßne Bienenschaar | |
| Fleucht hin und her, sucht hier und dar | ||
| Ihr edle Honigspeise; | ||
| Des süßen Weinstocks starker Saft | ||
| Bringt täglich neue Stärk und Kraft | ||
| In seinem schwachen Reise. | | [S. 86] | |
| 7. | Ich selber kann und mag nicht ruhn, | |
| Des grossen Gottes grosses Thun | ||
| Erweckt mir alle Sinnen; | ||
| Ich singe mit, wenn alles singt, | ||
| Und lasse, was dem Höchsten klingt, | ||
| Aus meinem Herzen rinnen. | ||
| 8. | Ach, denk ich, bist du hier so schön, | |
| Und lässest und so lieblich gehn, | ||
| Auf dieser armen Erden; | ||
| Was will doch wohl nach dieser Welt | ||
| Dort in dem festen Himmelszelt | ||
| Und güldnem Schlosse werden. | ||
| 9. | O wär ich da! o stünd ich schon, | |
| Ach süßer Gott vor deinem Thron, | ||
| Und trüge meine Palmen; | ||
| So wollt ich nach der Engel Weis | ||
| Erhöhen deines Namens Preis | ||
| Mit tausend schönen Psalmen. | ||
Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder gesammelt von L. A. v. Arnim und Clemens Brentano. Bd. 3. Heidelberg 1808, S. 85–87. Kritische Ausgabe: Clemens Brentano: Sämtliche Werke und Briefe. Bd. 8: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Teil III. Stuttgart 1977, S. 85–87.
DVA: V 1/323
        
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        17.12.2012 12:04
        
        
        
        
        
        
    
    
