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Der Hecker ist gekommen in den Schwarzwald hinein


Der gescheiterte badische Revolutionär Friedrich Hecker war Zielscheibe des Spottliedes "Der Hecker ist gekommen in den Schwarzwald hinein", das in den Jahren um 1848 kursierte. Ausgehend von seiner Niederlage in der Schlacht bei Kandern im April 1848, bei der Heckers Freischärler vom Militär aufgerieben wurden, bildet der Text eine Parodie auf eine seinerzeit sehr bekannte Liedsatire auf Napoleons Scheitern in Russland. Dieses und andere Spottlieder auf Hecker zeigen, dass der Wortführer der badischen Revolutionäre, der in den längerfristig tradierten Liedern vielfach als Volksheld gepriesen wurde, in den Revolutionsjahren selbst eine eher umstrittene Figur im Lande war.

I. Das Lied "Der Hecker ist gekommen in den Schwarzwald hinein" entstand vermutlich relativ bald nach den Kämpfen bei Kandern am 20. April 1848 als Umdichtung des Spottliedes über Napoleons Russlandfeldzug ("Merkts auf meine Herren, es wird euch erzählt"). Der Autor des Textes ist nicht bekannt. Möglicherweise stammt die Umdichtung aus dem Bänkelsängermilieu, zumindest deutet der häufig als erste Liedzeile überlieferte Vers ("Hört, ihr meine lieben Leute" oder "Hört Leute, was ich euch erzähl") darauf hin; auch die Verwendung einer bereits verbreiteten Melodie passt dazu. Der früheste Beleg für das Lied stammt aus einem handschriftlichen Liederbuch, das zwischen 1848 und 1851 in Luxemburg angelegt wurde (Edition A). Gedruckt erschienen die Verse erstmals 1856 in einer Sammlung mit historischen "Volksliedern", die der Germanist Rudolf Hildebrand herausgab. Dort wurde es dokumentiert als Lied aus dem Repertoire hessischer Soldaten, die 1848/49 an der Niederwerfung der badischen Aufstände teilgenommen hatten (Edition B).

II. Im Zentrum des Liedtextes steht die Empörung über die Erschießung des Generals Friedrich von Gagern durch Heckers Leute bei dem Aufeinandertreffen in Kandern: Der Tod von Gagerns wird als feige Tat angeprangert und der Sieg des Militärs in der anschließenden Schlacht als tapfere Trotzreaktion der hessischen Dragoner ins Feld geführt. Schlussendlich fordert das Lied eine gerechte Belohnung für die Soldaten ein, denn sie hätten schließlich "für das deutsche Parlament" (Edition B, Str. 10) gekämpft und sich dadurch das moralische Anrecht auf eine ökonomisch gesicherte Eheschließung verdient (Edition A, Str. 9 und 10). Der Text orientiert sich in seiner Struktur unmittelbar an der damals in ganz Deutschland verbreiteten Liedsatire über Napoleons Niederlage in Russland. Schon die bänkelsängerischen Eingangsverse "Hört, ihr meine lieben Leute, was ich euch erzählen will / von dem Hecker, dem Räuber, dem meineidigen Kerl" (Edition A) nehmen den Anfang des Napoleon-Liedes auf: "Merkts auf meine Herren, es wird euch erzählt / Von Napoleon, dem großen, schlauen Held". War dieser "gegangen nach Russland hinein", so wird daraus bei Hecker der "Schwarzwald" und Napoleons Ziel, mit "Kron" und "Zepter" als "europäischer Kaiser" zu herrschen, mutiert in der Hecker-Version zum "Kaiser von Deutschland". Während Napoleon sich in Russland "Die Nase verbrannt und die Ohren erfrert" habe, wird im Falle Heckers ironisch vermerkt, bei diesem sei der "Schnurrbart verbrennt und die Sensen verloren". Auch die Übernahme (und weitgehend konstante Überlieferung) der Melodie unterstreicht die spöttische Adaption des Napoleon-Liedes und die Übertragung von dessen Demütigung auf Hecker.

III. Über die Rezeption des Liedes ist bislang wenig bekannt. Vereinzelte Liedaufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung finden sich bis in die 1860er Jahre (Edition C). Die Unterschiede zwischen den Textversionen sind nicht allzu groß und ermöglichen in ihrer Zusammenschau einen aufschlussreichen Eindruck vom historischen Erscheinungsbild des Liedes. Die Varianz der verbreiteten Aufzeichnungen signalisiert wiederum, dass dieses Spottlied auf Hecker im ersten Jahrzehnt nach der Revolution eine gewisse Verbreitung hatte. Dies belegt zudem eine gegen Gustav Struve gerichtete Umdichtung der Verspottung Heckers, welche in über dreißig Strophen dessen Revolutionsversuch im September 1848 karikiert (Edition D).

IV. Herkunft und Ursprung der Struve-Umdichtung liegen bislang im Dunkeln. Man kann nur vermuten, dass auch diese Verse relativ zeitnah zu den historischen Ereignissen entstanden sein dürften, denn der Verlauf von Struves Aufstand und seine Niederlage bei Staufen werden in 37 Strophen minutiös nachgezeichnet. Erstmals gedruckt wurde das Lied 1872 in Franz Wilhelm von Ditfurths Sammlung "Historische Volkslieder" mit der Angabe, dass der Text einer (nicht näher spezifizierten) Handschrift der Jahre 1848/49 entnommen sei (Edition D). Auch Johann Philipp Glocks "Badischer Liederhort" (1910) enthielt eine – in Details abweichende – Version dieses Liedes. Die Rezeption der Struve-Version bleibt jedoch einstweilen ebenso unbekannt wie ihre Herkunft. Spottlieder auf Gustav Struve scheinen damals jedoch keine allzu große Konjunktur gehabt zu haben, wie auch Karl Gottfried Nadlers Satire auf den "weltberühmten Struwwel-Putsch" ("Wälzen möcht' ich mich vor Trauer") zeigt. Die Nähe der Struve-Parodie zu Nadlers stilisiertem Bänkellied zeigt sich im ironischen Stil ebenso wie in inhaltlichen Parallelen, etwa zu Struves Versprechen einer Welt ohne "Steuern und Lasten", zur Beteiligung von Amalie Struve am revolutionären Geschehen oder zur Plünderung der örtlichen Kassen und der Zwangsrekrutierung von Revolutionssoldaten. Mit Schadenfreude wird schließlich in der letzten Strophe Struves Gefangennahme kommentiert: "Jetzt sitzt er in Müllheim und schießt man ihn tot / So hat er, was er uns angedroht".

V. Im 20. Jahrhundert spielte das spöttische Lied auf Hecker keine nennenswerte Rolle mehr. Vereinzelt werden in den ersten Jahrzehnten im südwestdeutschen Raum weitere Liedbelege aus mündlicher Überlieferung aufgezeichnet, deren Varianten darauf hindeuten, dass das Lied hier weiterhin tradiert wurde. Dabei konnten auch Strophen anderer Hecker-Lieder in die Parodie integriert werden. In einer pfälzischen Version heißt es beispielsweise in Anspielung auf das bekannte Lied "Wenn die Leute fragen, lebt der Hecker noch": "Der Hecker hängt am Galgen, der Struve am Strick, / sie können ja nicht sterben vor lauter Republik." (Edition E). Punktuell wird das Lied in regionalen "Volkslied"-Editionen zu Baden (Glock 1910), Luxemburg (Thill 1937) oder zur Pfalz (Heeger 1938) aufgenommen. Im Kontext der Wiederbelebung von Liedern der 1848er-Revolution nach 1965 fand dieses Hecker-Lied keine Berücksichtigung. Zum einen stand es als Lobgesang auf die Soldaten, die gegen Hecker kämpften, diametral der angestrebten Rückbesinnung auf die demokratischen Traditionen der Revolutionäre von 1848 entgegen, zum anderen war die zugrunde liegende Napoleon-Satire längst in Vergessenheit geraten, so dass auch der spezifische Witz dieser Hecker-Parodie keine Basis mehr hatte.

DAVID ROBB
ECKHARD JOHN
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(März 2011)



Editionen und Referenzwerke

Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: selten in Liededitionen
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: —
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
David Robb, Eckhard John: Der Hecker ist gekommen in den Schwarzwald hinein (2011). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/der_hecker_ist_gekommen_in_den_schwarzwald_hinein/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 30.10.2013 06:01
 

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