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Liederlexikon

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You are here: Home Lieder Als ich ein junger Mannesknabe Edition A: Leningrader Gebiet 1924
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A. Als ich ein junger Mannesknabe

(Leningrader Gebiet 1924)


Text: anonym

Scan der Editionsvorlage
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1. Als ich ein junger Mannesknabe
Alt war 21 Jahre,
In die schönsten Jahre mein
Musst ich bei der Losung sein.
 
2. Dort hat mir das Los getroffen,
Das mir gleich das Herz gebrochen.
Denn ich wusst, was dort wird sein:
Jammerstage, Nacht und Pein.
 
3. Zu Hause lebte ich in Freuden,
Niemand hatt' mich zu beleiden.
Denn ich könnt mich um mein Vermögen freun,
Aber dort wird's anders sein.
 
4. Schon in meinen jungen Jahren
Musst ich in den Kriegsdienst fahren,
Verlassen meines Vaters Haus,
In die weite Welt hinaus.
 
5. Welch ein Schmerz, ihr könnt' es wissen,
Ist für die, wo scheiden müssen.
Aber Gott hilft allen aus,
Bringt uns in des Vaters Haus.
 
6. Drei Jahre hab ich ausgestanden,
Umgekehrt zu den Verwandten,
Aber Gott hilft allen aus,
Bringt uns in das Vaters Haus.
 
7. Grosser Gott, was hört man wieder?
Was schreibt uns der Kaiser nun?
Alle müssen fertig sein,
Deutschland bricht zu uns herein.
 
8. Alle Krieger sind gefordert,
Von dem Kaiser uns beordnet
Auf dem Schlachtplatze zu gehn,
Für das Vaterland zu stehn.
 
9. Viele Toten hat's gegeben,
Viel Verwandten die noch leben,
Viele in die Luft geschwalt.
Herr, mach diesem Krieg ein End!
 
10. Vieles Blut ist schwer vergossen,
Ganze Haufen sind schon erschossen
Und ins kühle Grab gelegt,
Dass sich Herz und Seel bewegt!
 
11. Traurig hört man in der Strasse,
Die dort Weib und Kind verlassen.
Tote liegen manche auf Feld,
Jammert doch die ganze Welt!
 
12. Viele Waisen hat's gegeben,
Die allhier ihr ganzes Leben
Werden ganz verlassen sein,
Ohne Eltern ganz allein.
 
13. Darum hast doch du Erbarmen,
Gott, du Vater aller Armen!
Weise Weiber, die mit Kind
Ohne Trost verlassen sind.
 
14. Viele Eltern werden klagen
Und nach ihren Söhnen fragen,
Aber Gott weiss, wo er ist.
Vielleicht schon erschossen ist.
 
15. Auch mein Schatz wird immer beten
Möchte doch bald Frieden sein.
Kommt er bald zu mir nach Haus,
Oder bleibt er ewig aus?
 
16. Darum bitt ich Gott um Frieden
Wenn's nur einmal Frieden werd
[...]
 
17. Dieses Liedchen hat geschrieben
Nach der Heimat, an den Lieben,
Ein Soldat in dunkler Nacht,
Der hat dieses Lied gemacht.


Aufgezeichnet in der Kolonie Neu-Saratowka (Kreis Leningrad) im Jahr 1924 durch Viktor Schirmunski; Gewährsperson: "Ulrich", ca. 28 Jahre alt; Abschrift aus dessen handschriftlichem Liederheft.
DVA: DVL – M 7, Nr. 2 (L)
IRLI Handschr. Abt.: Fond 104 – 21 – 162, Veröffentlichung mit Genehmigung von IRLI RAN, Sankt-Petersburg.


Editorische Anmerkung:
1. Str., Vers 4: "Losung": Losverfahren, mit dem ermittelt wurde, welche der 21-jährigen Männer zum Militärdienst eingezogen wurden.
7. Str., Vers 2: "der Kaiser" ist in diesem Fall der russische Zar Nikolaus II. Der Nachname der Gewährsperson wird im Liedbeleg nicht erwähnt.

In den Jahren 1927 und 1929 wurden von Viktor Schirmunski noch zwei weitere, inhaltlich sehr ähnliche Textvarianten dieses Liedes im Kreis Leningrad aufgezeichnet. Beides sind Abschriften aus handschriftlichen Liederheften: aus der Kolonie Kamenka-Wolkowo, Gewährsperson El. Lade, geb. 1928, Aufzeichnung im Jahr 1927 (DVA: DVL – M 7, Nr. 1 [L]), sowie aus der Kolonie Ofzyna, Gewährsperson Katharine Muss, geb. Dahlinger, ca. 30 Jahre alt, Aufzeichnung im März 1929 (DVA: DVL – M 7, Nr. 2 [L]). Die Fassung aus Kamenka hat Schirmunski in seinem Aufsatz über "Das kolonistische Lied in Rußland" (in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 37/38 (1927/28), S. 182–215) dokumentiert (S. 200f.). Die Strophen 1–13 und 15 dieser Versionen sind, bis auf unwesentliche Details, deckungsgleich. In folgenden Punkten weichen diese Fassungen voneinander ab:
In M 7, Nr. 1 (L) lautet die 14. Strophe:

"Manche Weiber werden sagen
Und nach ihre[m] Sohne fragen,
Aber Gott weiss, wo er ist,
Vielleicht schon erschossen ist."

Str. 14 von M 7, Nr. 3 (L) entspricht Str. 14 der oben edierten Fassung.
In Str. 16 von M 7, Nr. 3 (L) sind die ersten beiden sowie die letzten beiden Verse der Strophen 16 und 17 der oben edierten Fassung zusammengezogen. Die ersten beiden Verse der Verfasserstrophe ("Dieses Liedchen hat geschrieben nach der Heimat, an den Lieben") fehlen dort.

In seinem oben erwähnten Aufsatz schreibt Schirmunski zur Melodie, diese sei "einem bekannten russischen Soldatenlied über Peter den Großen und die Poltawaschlacht entnommen ('Djelo bylo [sic] pod Poltawoy')." (ebd., S. 200).
"Было дело под Пoлтав" (translit.: Bylo delo pod Poltawoj, dt.: Es geschah bei Poltawa) ist ein Soldatenlied (Exerzierlied) des 19. Jahrhunderts. Der Text stammt von Iwan Moltschanow (1809–1881). Als Gedicht wurde es erstmals veröffentlicht in: Знаменитый русский и цыганский песенник. СПб., 1859 (eine populäre Sammlung russischer Lieder und Zigeunerlieder). Mit Melodie findet es sich erstmals in: Сборник солдатских, казацких и матросских песен. Вып. 1. 100 песен. Слова собрал Н. Х. Вессель. С голоса на ноты положил Е. К. Альбрехт. Спб., 1875. Nr. 4 (ein Sammelband mit Soldaten-, Kosaken- und Matrosenliedern). Das Lied war unter Soldaten, Bauern und Kosaken verbreitet. Die Melodie besitzt lokale Varianten und es gibt viele Umarbeitungen.
(Liedgeschichtliche Recherche zu "Bylo delo pod Poltawoj" von Alexander Kastrow)
last modified 29.09.2016 11:13
 

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