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Christ ist erstanden


"Christ ist erstanden" ist wohl das älteste deutschsprachige Lied, das heute noch gesungen wird. Alljährlich erklingt es in der Osterzeit in den christlichen Gottesdiensten aller Konfessionen. Mit knappen Worten besingt es das Ostergeheimnis, die Auferstehung Christi von den Toten.

I. Ausgangspunkt des Liedes ist eine einstrophige Leise. Die ältesten Hinweise auf diesen Gesang finden sich in Liturgiebeschreibungen des 12. Jahrhunderts. Der Text der ersten Strophe wird erstmals in einer Handschrift aus Klosterneuburg (14. Jahrhundert) vollständig mit Neumen überliefert (Edition A). Entstanden ist "Christ ist erstanden" in Abhängigkeit von der Ostersequenz "Victimae paschali laudes" (Edition B). Dies legen auch Übereinstimmungen in der Melodie nahe. Seinen "Sitz im Leben" hatte das Lied in der liturgischen Osterfeier, der sogenannten Visitatio sepulchri.

II. Im Laufe der Zeit wird das deutschsprachige Lied erweitert. Überliefert sind seit dem 15. Jahrhundert mehrstrophige Fassungen, die im 16. Jahrhundert im Druck erscheinen. Eine Kanonisierung der dreistrophigen Fassung hat Martin Luther 1529 vorgenommen (Edition C). Damit verband er eine theologische Neuakzentuierung: Im Klugschen Gesangbuch heißt es im zweiten Vers nicht wie in den mittelalterlich-katholischen Fassungen "so freut sich alles, was da ist", sondern "so lobn wir den Vater Jesu Christ'". Damit wird der Skopus von der kosmischen Dimension des Ostergeschehens auf einen christologischen sowie trinitarisch-doxologischen verschoben. Neben dieser dreistrohigen Fassung hat Luther auch eine komplette Neudichtung vorgelegt, die er als eine Verbesserung der Leise verstanden wissen wollte: das wirkungsgeschichtlich bedeutsame Lied "Christ lag in Todesbanden" (Edition D). Inhaltlich und melodisch geht es – wie schon die Leise – auf die mittelalterliche Ostersequenz zurück.

III. Nachreformatorisch gibt es zwei Überlieferungsstränge: Die evangelischen Gesangbücher tradieren die dreistrophige Luther-Fassung von "Christ ist erstanden" und die siebenstrophige Neubearbeitung "Christ lag in Todesbanden". Die katholischen Bücher, welche der Gegenreformation bzw. der katholischen Reform zuzurechnen sind, drucken entweder eine dreistrophige oder eine vielstrophige Variante der Leise ab. Johann Leisentrit (1527–1586) bietet in seinem Gesangbuch von 1567 sogar zwei unterschiedliche Fassungen gleichzeitig (Edition E und Edition F). Die erste, dreistrophige ist für die katholische Rezeption bis zur Gegenwart entscheidend geworden.

IV. In der Aufklärung gab es verschiedene Versuche, das mittelalterliche Lied dem ästhetischen und religiösen Empfinden der Zeit anzupassen. Ein eindrückliches Beispiel findet sich im Osnabrücker Gesangbuch von 1786 (Edition G). Bemerkenswert ist hier nicht nur, dass der alte Jubelruf "Halleluja" durch einen äquivalenten deutschen Ausdruck ersetzt wurde ("GElobt sey Gott!"), sondern dass in der zweiten Strophe die zeittypischen Zweifel an der Auferstehungswirklichkeit thematisiert werden. Offensichtlich musste die kirchliche Apologetik im ausgehenden 18. Jahrhundert auf die Ansichten der "Unchristen" reagieren, auch wenn das Lied eher zur Selbstvergewisserung der Glaubenden gedacht war.

V. Zur vielschichtigen Rezeptionsgeschichte gehört auch Goethes Bearbeitung des Liedes in der Tragödie "Faust" (1808). Dort hält der "Chor der Engel" Faust vom Selbstmord ab. Überraschenderweise wurde Goethes Umdichtung sogar in ein katholisches Gesangbuch aufgenommen, und zwar in eine in München erschienene, umfängliche Privatpublikation des Gelehrten Kaspar Anton von Mastiaux (1766–1828). Dort dient das Lied als Antwortgesang auf die erste Lesung zur Mette am Ostersonntag (Edition H). Diese Integration dokumentiert das kulturelle Interesse des Herausgebers, der die zeittypische Bildung für den katholischen Kultus fruchtbar machen wollte. – Vertont wurde Goethes Textfassung von Franz Schubert (D 440). Zuweilen findet sich dieser Satz in Chorliederbüchern des 19. Jahrhunderts, etwa in G. Zangers "Deutschem Liederkranz" (Berlin 1888).

VI. Spätestens mit der Gesangbuchrestauration seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird die dreistrophige Fassung des 16. Jahrhunderts wiederhergestellt: katholischerseits die in den gegenreformatorisch orientierten Gesangbüchern überlieferte (vgl. Edition E), evangelischerseits diejenige von Martin Luther (vgl. Edition C und Edition I). Freilich betrifft die Abweichung nur einen Vers, so dass heute von einem ökumenischen Lied gesprochen werden kann.

VII. 1864 bemühte sich der Protestant Friedrich Hommel (1813–1892) in seiner Anthologie "Geistliche Volkslieder" um eine Wiederbelegung alter Lieder. Enthalten ist auch "Christ ist erstanden", und zwar in der katholischen Fassung des Gesangbuchs von Johann Leisentrit (Bautzen 1567). In nichtreligiösen Gebrauchsliederbücher findet sich das Lied erst im 20. Jahrhundert. An erster Stelle ist das "Volksliederbuch für die Jugend" zu nennen (Leipzig 1930), das zwei vokal-instrumentale Bearbeitungen aus dem 16. Jahrhundert bietet.

VIII. "Christ ist erstanden" wurde unzählige Male kirchenmusikalisch bearbeitet, etwa im 16. Jahrhundert von Ludwig Senfl (um 1486–1542/3). Aus der Barockzeit stammen die Choralkantaten von Johann Pachelbel (1653–1706) und Georg Philipp Telemann (1681–1767). Auch an die Bearbeitungen von "Christ lag in Todesbanden" ist zu erinnern, insbesondere an die Kantate BWV 4 von Johann Sebastian Bach (1685–1750), die sich an die Vertonung desselben Luther-Chorals von Pachelbel anlehnt. Neues Interesse für die mittelalterliche Leise erwachte im späten 19. Jahrhundert. Max Reger (1873–1916) vertonte sie 1899 und nahm sie in seine "Zwölf deutsche geistliche Gesänge" auf. Im 20. Jahrhundert haben sich viele Komponisten dem Choral zugewandt, etwa Hermann Schroeder (1904–1984) und Oskar Gottlieb Blarr (geb. 1934) in Orgelbearbeitungen.

MICHAEL FISCHER
(März 2006 / Mai 2007)



Literatur
  • Andreas Marti: Die Melodie des "Halleluja" in "Christ ist erstanden". In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 41 (2002), S. 157–160.
  • Hansjakob Becker: Christ ist erstanden. In: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. Hrsg., vorgestellt und erläutert von Hansjakob Becker u.a. unter Mitwirkung von Markus Rathey. München 2001, S. 29–41. (Überarbeitet in: Ökumenischer Liederkommentar zum Katholischen, Reformierten und Christkatholischen Gesangbuch der Schweiz. Zürich 2001ff., o.P.).
  • Joachim Stalmann: Christ ist erstanden. In: Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Hrsg. von Christhard Mahrenholz und Oskar Söhngen. Bd. 3, Teil 1: Liederkunde. Hrsg. von Eberhard Weismann u.a. Göttingen 1970, S. 323ff. (Nr. 75).
  • Walther Lipphardt: "Christ ist erstanden". Zur Geschichte des Liedes. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 5 (1960), S. 96–114.

Editionen und Referenzwerke
  • DKL II 2003, Bd. 1, S. 97ff. (Nr. 74–79) und DKL II 2004, Bd. 6. S. 48–52 (Nr. 74–79).
  • Luther 1985, S. 71, 194–197 (Nr. 12: Christ lag in Todesbanden), S. 109, 285f. (Nr. 32: Christ ist erstanden).
  • Erk/Böhme 1894, Bd. 3, S. 676f. (Nr. 1970).
  • Zahn 1892, Bd. 5, S. 260–264 (Nr. 8584–8591 mit textlichen und melodischen Umarbeitungen).
  • Bäumker 1886, Bd. 1, S. 502–510 (Nr. 242).
  • Fischer 1878, Bd. 1, S. 74f. und Fischer 1886, Supplement, S. 20.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, häufig in Gebrauchsliederbüchern, sehr häufig in Kirchengesangbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: sehr viele Tonträger (über 100)
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer: Christ ist erstanden (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/christ_ist_erstanden/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 16.10.2012 10:05
 

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