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Was kraucht dort in dem Busch herum?

(Kutschkelied)

Das zu Beginn des deutsch-französischen Krieges 1870/71 entstandene Lied "Was kraucht dort in dem Busch herum?" erlangte unmittelbar große Popularität. Volkstümlich wurde ebenso dessen vermeintlicher Verfasser, ein fiktiver Soldat namens "Kutschke". Gesungen wurde das humoristische Kriegslied meist auf die Melodie von "Ich bin der Doktor Eisenbart". Es blieb bis ins frühe 20. Jahrhundert allgemein bekannt.

I. Angeregt durch eine Zeitungsnotiz, wonach ein "Füsilier Kutschke" in den ersten Tagen des deutsch-französischen Krieges auf Vorposten bei Saarbrücken die Verse "Was kraucht da in dem Busch herum? Ich glaub', es ist Napolium!" gesungen habe, schrieb Hermann Alexander Pistorius (1811–1877), Pastor in Basedow bei Malchin, das so genannte "Kutschke-Lied" (Edition A). Mit der Verfasserangabe "Vom alten Sechsundzwanziger" (Pistorius spielte damit auf seine ehemalige Regimentszugehörigkeit an) erschien es am 22. August 1870 in den "Mecklenburgischen Anzeigen" (Schwerin), wurde sogleich in einer Reihe von Zeitungen nachgedruckt und war schon bald in aller Munde. Weitere Kutschke-Lieder (z. B. Edition B), Anekdoten und sogar Bilder des "Füsiliers Kutschke" (Abb. 1) wurden in Umlauf gebracht. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte sich die von einem Kriegsberichterstatter erfundene Figur quasi zum Volkshelden. Mit seinem Draufgängertum und Witz stellte "Kutschke" eine idealtypische Verkörperung des einfachen Soldaten dar.

II. Die am Ausgangspunkt der Kutschke-Welle stehenden Verse – mit denen auch Pistorius' Lied beginnt – entstammen dem Lied "Die Krähwinkler Landwehr" ("Immer langsam voran"). Dieses war unter dem Eindruck der Befreiungskriege entstanden, verklärte die Ereignisse des Jahres 1813 aber nicht – wie viele andere Lieder jener Zeit – zur Heldengeschichte, sondern erzählte sie als Posse. Eine der Strophen von "Die Krähwinkler Landwehr" (die vor 1870 jedoch nicht durchgehend belegt ist) war auf den "im Busch" herumkriechenden Napoleon Bonaparte gemünzt: Die Verse wurden im aktuellen Krieg nun auf Napoleon III. bezogen. Mit "seiner ganzen Kaiserei" sei es bald vorbei, kündigte das "Kutschke-Lied" an, man werde ihn fortjagen und seine Truppen besiegen. Zu den vier Strophen von Pistorius (Edition A) gesellte sich verschiedentlich eine fünfte (so zuerst im Wiesbadener "Rheinischen Kurier" vom 25. August 1870), die davon sang, die "französche Großmaulschaft" werde "auf ewig … abgeschafft" (Edition C). Ein anderer Liedtext eines unbekannten Verfassers liegt dem "Humoristischen Quartett" von Hermann Wolff "Was kraucht denn da im Busch herum? Grausser Schlachtgesang des Füsiliers Kutschke" zugrunde (Edition B).

III. Welche Melodie Pistorius für sein "Kutschke-Lied" vorschwebte, ist nicht belegt. In einem Anfang September 1870 erschienenen "Extrablatt zur unentgeltlichen Vertheilung an die deutschen Truppen" der "Kölnischen Zeitung" wurde es mit der Bemerkung abgedruckt, das von "Füsilier Kutschke" gedichtete Soldatenlied habe bereits "die weiteste Verbreitung" gefunden und werde nach der Melodie von "Ich bin der Doktor Eisenbart" gesungen. Es blieb dies die Standardweise des "Kutschkeliedes". Daneben wurde der Text mehrfach neu vertont – etwa von Oscar Kolbe (als Kanon für vier Bassstimmen), Wilhelm Fink (Solo mit Brummstimmen) oder Hermann Marschall (Edition D) –, doch keine dieser Fassungen fand größere Bekanntheit. Nach der Wende zum 20. Jahrhundert bearbeitete Georg Schumann eine dem "Kutschkelied" zugeschriebene "Volksweise" für das so genannte "Kaiserliederbuch" (Volksliederbuch für Männerchor, Leipzig 1906). – Unter die zahlreichen Kutschke-Reminiszenzen der Jahre 1870/71 gehört auf musikalischem Gebiet u. a. noch Ludwig Stasnys seinerzeit recht bekannte "Kutschke-Polka".

IV. Anfang 1871 erschien unter dem Titel "Das Kutschkelied auf der Seelenwanderung" ein von Wilhelm Ehrenthal verfasstes Büchlein, das zur Popularität des Liedes wesentlich mit beitrug. Es handelte sich um "Forschungen über die Quellen des Kutschkeliedes im grauen Alterthume" (Belege in Keilschrift und Hiroglyphen), die auch heute noch amüsant zu lesen sind; außerdem legte Ehrenthal Übersetzungen in eine Reihe neuerer Sprachen vor. Eine akribische Studie über die Entstehungs- und frühe Rezeptionsgeschichte des "Kutschkeliedes" veröffentlichte 1872 Hermann Grieben. Eindeutig belegte er die Autorschaft von Pistorius, die jedoch weiterhin vereinzelt bestritten wurde (Hermann Unbescheid 1895). Bis zum Ersten Weltkrieg, in dem es noch verschiedentlich parodiert wurde (Edition E), blieb das "Kutschkelied" allgemein bekannt (Abb. 2), danach geriet es rasch in Vergessenheit.

TOBIAS WIDMAIER
(April 2009)



Literatur
  • Albert Becker: Mythos und Name. 60 Jahre Kutschkelied. In: Bayerischer Heimatschutz 26 (1930), S. 12–15.
  • Heinz Jansen: Der Streit um Kutschke und das Kutschkelied. In: Zeitschrift für Bücherfreunde 18 (1926), S. 37–42.
  • Johannes Bolte: Noch einmal das Kutschkelied. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 22 (1912), S. 288f.
  • Otto Weddigen: Ist G. Hoffmann als Autor des populär gewordenen Kutschkeliedes zu betrachten? In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 53 (1908), Bd. 121, S. 280–282.
  • Johannes Bolte: Das Kutschkelied. In: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 15 (1905), S. 173–176.
  • Hermann Unbescheid: Die Kriegspoesie von 1870/71 und das "Kutschkelied". In: Zeitschrift für den deutschen Unterricht 9 (1895), S. 309–324.
  • Hermann Grieben: Das Kutschkelied vor dem Untersuchungsrichter. Berlin 1872.
  • [Hermann Alexander Pistorius:] Des wahrhaftigen Kutschke Lieder und Unterhaltungen aus dem deutschen Reichskriege. Vom alten Sechsundzwanziger. Schwerin 1871.
  • Wilhelm Ehrenthal: Das Kutschkelied auf der Seelenwanderung. Forschungen über die Quellen des Kutschkeliedes im grauen Alterthume nebst alten Texten und Uebersetzungen in neuere Sprachen. Leipzig 1871.
  • [Richard Andree:] Kutschkes Genesis und Lebenslauf. In: Daheim 7 (1870/71), Nr. 25 (18. März 1871), S. 395–398.

Editionen und Referenzwerke

Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, verschiedentlich in Gebrauchsliederbüchern, zahlreiche sonstige Rezeptionsbelege
  • Bild-Quellen: etliche Liedillustrationen
  • Tondokumente: selten auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Was kraucht dort in dem Busch herum? (2009). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/was_kraucht_dort_in_dem_busch_herum/>.


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last modified 16.10.2012 09:51
 

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