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Liederlexikon

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In Kümmernis und Dunkelheit

(Schwarz-Rot-Gold)

Das politische Ereignislied "In Kümmernis und Dunkelheit" ist eines der frühesten Lieder, die zu den revolutionären Entwicklungen des Jahres 1848 Stellung bezogen. Darin exponierte der Autor Ferdinand Freiligrath die Farben "Schwarz-Rot-Gold" als Repräsentanten der revolutionären Freiheitsbewegung. Freiligraths Text wurde 1848 verschiedentlich vertont, die heute bekannte Melodie komponierte Robert Schumann. Das Lied ist vor allem in der Zeit der Weimarer Republik, als die Farben Schwarz-Rot-Gold neue politische Aktualität erfuhren, wieder aufgegriffen worden. Nach 1945 wurde es zu einem musikalischen Erinnerungsträger an die revolutionären Ereignisse der Jahre 1848/49.

I. Ferdinand Freiligrath (1810–1876) schrieb sein Gedicht "Schwarz-Rot-Gold" Mitte März 1848 in London, wo der Schriftsteller damals lebte. Anlass war ein Beschluss des Bundestages in Frankfurt, der die Farben Schwarz, Rot und Gold am 9. März als offizielle Reichsfarben erklärte. Damit versuchten die herrschenden Kräfte, der wachsenden oppositionellen Bewegung in Deutschland entgegenzukommen und gleichzeitig die Symbolik dieser Farben für das bestehende System zu vereinnahmen. Demgegenüber wollte Freiligrath die Farben der deutschen Freiheitsbewegung anders gedeutet wissen. Beflügelt von der französischen Februar-Revolution 1848, die Freiligrath mit dem Gedicht "Die Republik" begrüßt hatte, hisste er nun eine deutsche lyrische Trikolore und plädierte damit für die Abschaffung der Fürstenherrschaft in Deutschland. Sein Text erschien am 24. März 1848 in der "Deutschen Londoner Zeitung" (Edition A) und unmittelbar danach in verschiedenen separaten Drucken, die als Flugschriften in Deutschland zirkulierten.

II. Freiligraths Gedicht "Schwarz-Rot-Gold" ist einerseits mit der tagespolitischen Aktualität der ersten Märztage 1848 verbunden, andererseits greift es mit seiner expliziten Deutung des Farbenmotivs eine Symbolik auf, die weit über diesen Horizont hinausreicht. Die Ursprünge der deutschen Farbentrias werden häufig im mittelalterlichen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verortet – auch bei Freiligrath scheint dies in der Formulierung vom "alten Reichspanier" auf. Doch erst seit den Befreiungskriegen des frühen 19. Jahrhunderts spielen die Farben Schwarz-Rot-Gold politisch eine zunehmend relevante Rolle. Die Fahne der 1815 gegründeten Jenaer Urburschenschaft (Rot-Schwarz-Rot mit goldenen Fransen umsäumt und goldenem Eichenkranz bestickt), mit der man im Oktober 1817 zum Wartburgfest zog, musste nach dem Verbot der für einen deutschen Nationalstaat eintretenden Burschenschaftsbewegung 1819 jahrzehntelang versteckt werden (Steiger 1991). Als Symbol der Freiheit, Einheit und Demokratie fand die schwarz-rot-goldene Fahne insbesondere im Rahmen des Hambacher Festes (1832) prominente Verwendung und avancierte im Vormärz zum Banner gegen Fürstenherrschaft und Kleinstaaterei. Entsprechend verhasst war sie den Herrschenden: "Schafft mir diese Fahne aus den Augen" soll beispielsweise der preußische König am 18. März 1848 zu einem Berater gesagt haben (Guben 1991). Den drei Farben wurden damals häufig explizite Bedeutungsebenen zugeschrieben, wobei schwarz für die Nacht der Knechtschaft, rot für die Morgenröte der Hoffnung und gold für das Licht der Freiheit standen – beispielhaft etwa in Hoffmann von Fallerslebens Gedicht "Deutsche Farbenlehre" (1843). An die Metapher der Nacht knüpfte auch Freiligrath mit seinen Eingangsworten "In Kümmernis und Dunkelheit" an, um dann jedoch den drei Farben eine neue und dezidiert revolutionäre Symbolik zuzuweisen: "Pulver ist schwarz, / Blut ist rot, / Golden flackert die Flamme!" Die Anerkennung der schwarz-rot-goldenen Fahne durch den Frankfurter Bundestag sei "erst der Anfang", denn auf politischem Gebiet stehe "die letzte Schlacht" noch bevor. Ins Zentrum seines Gedichtes stellte Freiligrath einige aktuelle Ereignisse, die damals Aufsehen erregten und in seiner ironischen Kommentierung als Beispiele dafür dienen, dass es keinen Sinn mache, den bestehenden politischen Missstände mit punktuellen Reformen oder Aktionen zu begegnen – etwa bei politischen Gegnern Fenster einzuschmeißen oder Petitionen an Herrschende zu richten ("denn das ist noch die Freiheit nicht"). Das Ziel könne letztlich nur sein, das feudale System der Kleinstaaterei insgesamt zu beseitigen: "Die Freiheit ist die Nation" und dies bedeute wiederum: "die Freiheit ist die Auktion von 30 Fürstenhüten". Das Gedicht endet mit der ausdrücklichen Hoffnung, dass es von einem "rechten Musikanten" vertont und quer "durchs deutsche Land" gesungen werden möge.

III. Diesen Wunsch des damals renommierten Schriftstellers machten sich verschiedene Komponisten umgehend zueigen. Der namhafteste von ihnen war der seinerzeit in Dresden lebende Robert Schumann (1810–1856), der die revolutionären Geschehnisse Anfang 1848 als "Völkerfrühling" begrüßte. Am 4. April 1848 vertonte er Freiligraths Gedicht nach einer Flugschrift, die ihm ein Freund aus Leipzig hatte zukommen lassen, für vierstimmigen Männerchor und Harmoniemusik (ad libitum), berücksichtigte jedoch nur vier der zwölf Strophen. Das im Juni 1848 in Dresden aufgeführte Chorstück blieb damals jedoch unveröffentlicht. Es erschien erstmals 1913 im Rahmen eines Artikels über "Robert Schumann et la révolution de 1848" in der Pariser "Revue musicale" (s. Tiersot 1913) und schließlich Ende des gleichen Jahres in einer Ausgabe des Arbeiter-Sängerbundes (Edition B). Seither ist Schumanns "Schwarz-Rot-Gold" (WoO 13; nach einer neueren Werkzählung auch WoO 4 Nr. 2) in mehreren Einzeleditionen und Chorsammlungen publiziert worden. Die Freiligrath-Vertonungen einiger anderer Komponisten kamen indes unmittelbar als Musikaliendruck heraus: Schon im Mai 1848 erschienen Vertonungen als Lied mit Klavierbegleitung von Carl Ludwig Fischer (1816–1877) bei Schott in Mainz, von Friedrich Kühmstedt (1809–1877) bei Luckhardt in Kassel und von F. Müller bei Vogler in Brüssel (Edition C). Ebenfalls bei Schott legte Wilhelm Volckmar (1812–1887) im August 1848 "Schwarz-Roth-Gold" als Lied für zwei Singstimmen und Klavier vor. Zwei weitere Notendrucke kamen im Oktober 1848 heraus: eine Vertonung von Carl Tropus (Potsdam: Horvath'sche Buchhandlung) sowie unter dem Titel "Die deutsche Fahne. Schwarz-Roth-Gold. Volkslied von Freiligrath" ein anonymer Satz für vier Männerstimmen (Hannover: Hornemann).

IV. Im Rückblick ist kaum mehr rekonstruierbar, welche dieser Vertonungen 1848/49 überhaupt nennenswerte Verbreitung gefunden hat. Ihre Anzahl aber macht die lebhafte Rezeption des Freiligrath-Gedichtes ebenso deutlich wie die verschiedenen zeitgenössischen Drucke des Textes als Flugschrift (s. Anmerkung zu Edition A) oder in Liederbüchern: Eine auf zehn Strophen gekürzte Version erschien in Hermann Rolletts "Republikanischem Liederbuch" (Leipzig 1848), eine achtstrophige Version in der vom Hamburger Bildungs-Verein für Arbeiter 1849 herausgegebenen Sammlung "Deutsche Lieder", eine neunstrophige Version mit dem Titel "Die deutsche Fahne" in der Trierer Flugschrift "Democratische Lieder" (1850). In voller Länge ist Freiligraths Text in J. C. J. Raabés "Republikanischem Liederbuch" (Kassel 1849) enthalten; einzig hier wurde auch auf verfügbare Vertonungen hingewiesen (Kühmstedt, Müller). Auch andere, unbekanntere Autoren schmiedeten 1848 Verse über die deutschen Farben der Freiheit. Hofmeisters "Musikalisch-literarische Monatsberichte neuer Musikalien" verzeichneten für 1848 Vertonungen von Gedichten mit dem Titel "Schwarz-Roth-Gold" aus der Feder von Carl Heinrich Schnauffer (Liedkompositionen von Karl Lauch und F. A. Succo), Th. Schlemm (A. Neithart), Ad. Nagel (A. Wagner) und einem gewissen Wägner (L. A. Schmitz).

V. Nach der gescheiterten Revolution 1848/49 geriet Freiligraths "Schwarz-Roth-Gold" nahezu in Vergessenheit. Nur wenige Rezeptionsbelege sind bis ins frühe 20. Jahrhundert auszumachen. Bemerkenswert ist, dass in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches zwei Neuvertonungen des Gedichtes für Männerchor erschienen sind (Heinrich Molck op. 74, Nr. 4, 1877; Richard Heuberger op. 46, Nr. 4, 1906). Christian Petzet nahm das "von hochrevolutionärem Eifer" geprägte Gedicht in seine kommentierte Anthologie "Die Blütezeit der deutschen politischen Lyrik von 1840 bis 1850" (München 1902) auf. 1913 dann wurde Schumanns Revolutionslied wiederentdeckt (s. III.) und in einer Ausgabe für Arbeiterchöre publiziert (Edition B). Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Revolution 1918 bekam Freiligraths Lied im Zuge der Weimarer Republik und der Einführung der schwarz-rot-goldenen Fahne als offizielle Flagge des deutschen Reiches eine erneute Signifikanz. Neben der Aufnahme des Textes in Liederbücher der (sozial-demokratischen) Arbeiter- und Jugendbewegung spielte "In Kümmernis und Dunkelheit" im "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold", dem 1924 gegründeten republikanischen Schutzbund gegen die antidemokratisch-militaristischen Kampfverbände der Weimarer Zeit, eine wichtige Rolle. Im ersten "Reichsbanner-Liederbuch" (Dortmund 1924) ist Freiligraths "Schwarz-Rot-Gold" (Str. 1, 2, 5, 8–10 und 12) mit der Melodie Schumanns als Anfangsnummer prominent hervorgehoben. Im "1. Liederblatt des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold" (um 1925) ist "Schwarz-Rot-Gold" dann in einer Neuvertonung von Hermann Hieber enthalten (Edition D), der vermutlich auch den Verbandsnamen "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" prägte (s. Rohe 1966). Im "Reichsbanner" wurde das Lied schließlich noch nach einer weiteren, von Konstantin Brunck (1884–1964) komponierten Melodie gesungen (Edition E); sie fand auch in Willy Hainsbergs "Reichsbanner-Marsch ‚Schwarz-Rot-Gold'" Verwendung. – Noch in den Jahren der NS-Diktatur hat Hubertus Prinz zu Löwenstein an dieses Symbol einer antifaschistischen Haltung erinnert: der Nazi-Gegner Löwenstein, profiliertes Reichsbanner-Mitglied, veröffentlichte 1939 in der Exil-Zeitschrift "Die Zukunft" unter dem Titel "In Kümmernis und Dunkelheit" einen Artikel zum 20. Jahrestag der Weimarer Verfassung.

VI. Nach dem zweiten Weltkrieg wollte man in beiden Teilen Deutschlands an die freiheitlichen politischen Traditionen anknüpfen, die mit den Farben Schwarz-Rot-Gold verbunden waren. DDR und BRD hatten zunächst auch die gleiche Fahne; erst 1959 wurde sie in der DDR durch ein Emblem mit Hammer und Sichel ergänzt ("Arbeiter- und Bauernstaat"). Eine breite Rezeption hat Freiligraths Lied "Schwarz-Rot-Gold" freilich in keinem der beiden Länder erfahren. In der Bundesrepublik erschien es 1955 im "Deutschen Chorbuch" des Deutschen Allgemeinen Sängerbundes (vormals: Deutscher Arbeiter-Sängerbund), in der DDR 1957 in der von Inge Lammel herausgegebenen Sammlung "Lieder der Revolution von 1848" sowie in einigen Auflagen des FDJ-Liederbuchs. Im Zuge der Wiederentdeckung der Revolutionslieder von 1848/49 ab den späten 1960er Jahren durch die westdeutsche Folk- und Liedermacherbewegung fand Freiligraths "Schwarz-Rot-Gold" nur wenig Resonanz. Zu stark war damals die Distanz gegenüber den nationalistischen Implikationen deutscher Staatssymbole, als dass diese für die neuen sozialen Bewegungen und revolutionären Intentionen hätten brauchbar erscheinen können. Schwarz-Rot-Gold galten hier weniger als Farben der Freiheit, sondern als Symbol der nunmehr Herrschenden, des kapitalistischen Establishments. Daher wurde das Lied auch nur auf ganz wenigen Schallplatten veröffentlicht. Ausnahmen bilden die Einspielungen von Hein und Oss Kröher (1970) sowie der Folkrock-Gruppe Ougenweide auf ihrem Album "Fryheit" (1978). In allen genannten Fällen wurde dabei auf die Vertonung Schumanns zurückgegriffen. Lediglich das 1982 erschienene Liederbuch "1848 – Der Deutsche macht in Güte seine Revolution" enthält eine im "Arbeitskreis demokratisches Volkslied Mannheim" entstandene Neuvertonung des Freiligrath-Textes. Ebenfalls mit einer eigenen Melodie hat die DDR-Folkgruppe Wacholder das Lied 1984 in ihr Programm "Trotz Alledem. Revolutionslieder 1848" integriert. Ihre (auf Str. 1, 5, 7, 8 gekürzte) Version zeichnete sich auch inhaltlich durch eine listige Bearbeitung aus: Indem man den Freiligrathschen Refrain gänzlich strich, wurde die Aufmerksamkeit primär auf die mehrfach wiederholte Zeile "Das ist noch lang die Freiheit nicht" gelenkt – eine Botschaft, deren Virulenz in der DDR unmittelbar verstanden wurde.

DAVID ROBB
ECKHARD JOHN
TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: INGRID BERTLEFF
(Januar 2012)



Literatur
  • Thomas Synofzik: Drei Gesänge mit Begleitung von Harmoniemusik (ad libitum) WoO 4. In: Schumann Handbuch. Hrsg. von Ulrich Tadday. Stuttgart, Weimar/Kassel 2006, S. 468.
  • Julien Tiersot: Robert Schumann et la révolution de 1848. In: Revue musicale 1913, Nr. 4 (April), S. 5–23.

Editionen und Referenzwerke
  • Ernst Fleischhack: Freiligraths Gedichte in Lied und Ton. Überblick und bibliographische Sammlung. Bielefeld 1990, S. 53f.
  • 1848 – Der Deutsche macht in Güte die Revolution. Lieder und Texte. Hrsg. von Alexander Lipping u. Björn Grabendorff. Frankfurt a. M. 1982 (Neuvertonung "Schwarz-Rot-Gold" des AK demokratisches Volkslied Mannheim S. 78–80).
  • Underberg 1930, S. 44–47 u. 262–264.
  • Christian Petzet: Die Blütezeit der deutschen politischen Lyrik von 1840 bis 1850. Ein Beitrag zur deutschen Literatur- und Nationalgeschichte. München 1902, S. 206.

Weiterführende Literatur
  • Benjamin Ziemann: Die Zukunft der Republik? Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Bonn 2011 (Friedrich Ebert Stiftung: Reihe Gesprächskreis Geschichte 91).
  • Kurt Roessler: Robert Schumann oder Ferdinand Freiligrath. In: Grabbe-Jahrbuch 24 (2005), S. 169–181.
  • Berndt Guben: Schwarz, Rot und Gold. Biographie einer Fahne. Berlin, Frankfurt am Main 1991 (Zitat S. 144f).
  • Günter Steiger: Urburschenschaft und Wartburgfest. Aufbruch nach Deutschland. 2. bearbeitete und erweiterte Auflage. Leipzig 1991 (insbesondere Kap. "Eine Fahne und ein Lied", S. 13–27).
  • Karl Rohe: Das Reichsbanner Schwarz Rot Gold. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik. Düsseldorf 1966 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 34), S. 67 Anm. 4.
  • Hubertus Prinz zu Löwenstein: "In Kümmernis und Dunkelheit". Zum 20. Jahrestag der Verfassung von Weimar. In: Die Zukunft (Paris) 2 (1939), Nr. 32 vom 11. August 1939, S. 5.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: —
  • Gedruckte Quellen: verschiedentlich auf Flugschriften, gelegentlich in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: selten auf Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
David Robb, Eckhard John, Tobias Widmaier: In Kümmernis und Dunkelheit (2012). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/in_kuemmernis_und_dunkelheit/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 29.09.2016 12:40
 

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