Edition A: Erstveröffentlichung Goethe/Seckendorff 1782 copied.
C. Ich steh an deiner krippen hier
(Vertonung durch Johann Sebastian Bach 1736)
Text: Paul Gerhardt (1607–1676)
Musik: Johann Sebastian Bach (1685–1750)
| 1. | Ich steh an deiner krippen hier, | |
| o Jesulein mein leben, | ||
| ich stehe, bring und schenke dir, | ||
| was du mir hast gegeben. | ||
| Nimm hin, es ist mein geist und sinn, | ||
| herz, seel und muth, nimm alles hin, | ||
| und laß dirs wohlgefallen. | ||
| 2. | Du hast mit deiner lieb erfüllt | |
| mein adern und geblüthe, | ||
| dein schöner glanz, dein süsses bild, | ||
| liegt mir stets in gemüthe, | ||
| und wie mag es auch anders seyn? | ||
| Wie könnt ich dich, mein herzelein, | ||
| aus meinem herze lassen? | ||
| 3. | Da ich noch nicht gebohren war, | |
| da bist du mir gebohren, | ||
| und hast mich dir zu eigen gar, | ||
| eh ich dich kannt, erkohren, | ||
| eh ich durch deine hand gemacht, | ||
| da hat dein herze schon bedacht, | ||
| wie du mein wolltest werden. | ||
| 4. | Ich lag in tiefster todesnacht, | |
| du wurdest meine sonne, | ||
| die sonne, die mir zugebracht | ||
| licht, leben, freud und wonne; | ||
| O sonne, die das werthe licht | ||
| des glaubens in mir zugericht, | ||
| wie schon sind deine strahlen. | ||
| 5. | Ich sehe dich mit freuden an, | |
| und kan mich nicht satt sehen, | ||
| und weil ich nun nicht weiter kan, | ||
| so thu ich, was geschehen; | ||
| O daß mein sinn ein abgrund wär, | ||
| und meine seel ein weites meer, | ||
| daß ich dich mochte fassen. | ||
| 6. | Vergonne mir, o Jesulein, | |
| daß ich dein mündlein küsse, | ||
| das mündlein, das den süssen wein, | ||
| auch | milch und honigflüsse | [S. 132] | |
| weit übertrifft in seiner kraft, | ||
| es ist voll labsal, stärk und saft, | ||
| der mark und bein erquicket. | ||
| 7. | Wann oft mein herz im leibe weint, | |
| und keinen trost kan finden, | ||
| da ruft mirs zu: Ich bin dein freund, | ||
| ein tilger deiner sünden. | ||
| Was traurest du, mein fleisch und pein, | ||
| du sollt ja guter dinge seyn, | ||
| ich zahle deine schulden. | ||
| 8. | Wer ist der meister, der allhier | |
| nach würdigkeit ausstreichet | ||
| die händlein, so dieß kindlein mir | ||
| anlachende zureichet? | ||
| Der schnee ist hell, die milch ist weiß, | ||
| verliehren doch beyd ihren preis, | ||
| wenn diese händlein blicken. | ||
| 9. | Wo nehm ich weisheit und verstand, | |
| mit lobe zu erheben | ||
| die äuglein, die so unverwandt | ||
| nach mir gerichtet stehen; | ||
| der volle mond ist schön und klar, | ||
| schön in der güldnen sternen schaar, | ||
| dies' äuglein sind viel schöner. | ||
| 10. | O daß doch so ein lieber stern | |
| soll in der krippen liegen! | ||
| für edle kinder grosser herrn | ||
| gehören goldne wiegen. | ||
| Ach! heu und stroh sind viel zu schlecht; | ||
| sammt, seiden, purpur wären recht, | ||
| dieß kindlein drauf zu legen. | ||
| 11. | Nehmt weg das stroh, nehmt weg das heu, | |
| ich will mir blumen holen, | ||
| daß meines Heylands lager sey | ||
| auf rosen und violen, | ||
| mit tulpen, nelken, roßmarin, | ||
| aus schönen gärten will ich ihn | ||
| von obenher bestreuen. | ||
| 12. | Zur seiten will ich hie und dar | |
| viel weise liljen stecken, | ||
| die sollen seiner äuglein paar | ||
| im schlafe sanft bedecken; | ||
| doch liebt vielmehr das dürre gras | ||
| das kindlein mehr, als alles das, | ||
| was ich hie nenn und denke. | ||
| 13. | Du fragest nicht nach lust der welt, | |
| noch nach des leibes freuden, | ||
| du hast dich bey uns eingestellt, | ||
| an unser statt zu leiden, | ||
| suchst meiner seelen trost und freud | ||
| durch allerhand beschwerlichkeit, | ||
| das will ich dir nicht wehren. | ||
| 14. | Eins aber, hoff ich, wirst du mir, | |
| mein Heyland, nicht versagen, | ||
| daß ich dich möge für und für | ||
| in, bey und an mir tragen, | ||
| so laß mich doch dein kripplein seyn; | ||
| komm, komm, und lege bey mir ein | ||
| dich und all deine freuden. | ||
| 15. | Zwar sollt ich denken, wie gering | |
| ich dich bewirthen werde, | ||
| du bist der schöpfer aller ding, | ||
| ich bin nur staub und erde, | ||
| doch bist du so ein lieber gast, | ||
| daß du noch nie verschmähet hast | ||
| den, der dich gerne siehet. | ||
Musicalisches Gesang-Buch, Darinnen 954 geistreiche, sowohl alte als neue Lieder und Arien, mit wohlgesetzten Melodien, in Discant und Baß, befindlich sind; Vornemlich denen Evangelischen Gemeinen im Stifte Naumburg-Zeitz gewidmet, […] herausgegeben von George Christian Schemelli, Schloß-Cantore daselbst. Leipzig 1736 (Neudruck: 2. Aufl. Hildesheim 1999), S. 131f. (Nr. 195).
DVA: B 50166
Anmerkung zur Notenedition
In der Vorlage sind im letzten System die Achtel der Singstimme falsch notiert. Sie lauten dort irrtümlich c'' – es'' – c'' – c''.
last modified
08.07.2009 08:58