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Ich steh an deiner Krippen hier


Paul Gerhardts Lied "Ich steh an deiner Krippen hier" gehört zu den populärsten Weihnachtsliedern der Gegenwart. Geschaffen wurde es im 17. Jahrhundert als weihnachtliches Andachts- und Anbetungslied: Ausgangspunkt der Betrachtung ist das Kind in der Krippe, wobei die Beziehung zwischen dem Liedsänger und dem neugeborenen Gottessohn in einer mystisch gefärbten, hochemotionalen Sprache zum Ausdruck gebracht wird.

I. Autor des Liedes ist der Theologe und Lieddichter Paul Gerhardt (1607–1676). Kirchengeschichtlich gehört Gerhardt der lutherischen Orthodoxie an. Diese interessierte sich jedoch nicht nur für die reine Lehre, sondern auch für Fragen der Frömmigkeit. Dabei rückte das Glaubenssubjekt in den Vordergrund. Die sogenannten "Ich"-Lieder (im Gegensatz zu den reformatorischen "Wir"-Liedern) legen davon Zeugnis ab. Zugleich wurden spätmittelalterliche Traditionen weitergeführt, beispielsweise die Rede vom "mystischen Kuss" (Strophe 6). Eingebettet bleibt diese verinnerlichte Devotionsform in die herkömmliche lutherische Soteriologie: Christus wurde geboren, um "An unsre Statt zu leiden" (Strophe 13) und um die Schuld der Menschen zu tilgen (Strophe 7).

II. Gerhardts Weihnachtslied wurde 1653 in das musikalische Andachtsbuch "Praxis Pietatis Melica" von Johann Crüger aufgenommen. Dort ist es der Weise "Nun freut euch, lieben Christen gmein" zugeordnet, die in der Forschung Martin Luther (1483–1546) zugeschrieben wird. Crügers Nachfolger an der Berliner Nikolaikirche, Johann Georg Ebeling (1637–1676), vertonte den Text vierstimmig im Rahmen der Sammlung "Pauli Gerhardi Geistliche Andachten" (Berlin 1667), der ersten "Gesamtausgabe" von Gerhardts Liedern (Edition A). Allerdings hat die Melodie von Ebeling kaum Verbreitung gefunden. Mit anderen, teilweise ariosen Melodien wurde das Lied in einer Reihe bedeutsamer evangelischer Liederbücher abgedruckt, etwa in Freylinghausens "Geist-reichem Gesang-Buch" (Halle 1704ff.). Bemerkenswert ist, dass das Lied zunächst im Bereich der privaten Andacht beheimatet war und erst allmählich in offizielle Kirchengesangbücher und damit in die kirchliche Liturgie integriert wurde. Als prominentes Beispiel ist das Gesangbuch "Geistliche und Liebliche Lieder" (Berlin 1709ff.) von Johann Porst anzuführen, das vom beginnenden 18. bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts in ca. 90 Auflagen und Nachdrucken das Lied verbreitete (mit der Melodiezuweisung "Nun freut euch, lieben Christen gmein").

III. Neue theologische Akzente wurden im 18. Jahrhundert durch die siebenstrophige Bearbeitung von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700–1760) gesetzt (Edition B). Zinzendorf drängt die mystisch geprägten Motive zurück und stellt gleichsam neben die Krippe das Kreuz. Dieser in Gerhardts Dichtung durchaus schon angelegte Aspekt wird durch Zinzendorfs Liedfassung für die Herrnhuter Brüdergemeine verstärkt: Entscheidend bei der geistlichen Betrachtung des göttlichen Kindes ist der Zusammenhang zwischen Inkarnation und Erlösung.

IV. Für das 1736 in Leipzig herausgekommene "Musicalische Gesang-Buch" (nach dem Herausgeber "Schemelli-Gesangbuch" genannt) hat Johann Sebastian Bach zu Gerhardts Text eine Aria in c-moll mit beziffertem Generalbass komponiert (Edition C). Diese Vertonung beförderte im 20. Jahrhundert die bildungsbürgerlich-kulturchristliche Rezeption des Liedes auch außerhalb der Liturgie. Im 18. Jahrhundert bleibt die Melodie jedoch singulär. Kulturgeschichtlich bedeutsam ist darüber hinaus die Integration der ersten Strophe in den sechsten Teil des Weihnachtsoratoriums BWV 248 (hier wieder zur Melodie "Nun freut euch, lieben Christen gmein"): Im dem Choral vorangehenden Rezitativ wird von den Gaben der drei Weisen aus dem Morgenland berichtet; in analoger Weise bringt dann der Chor als Sinnbild der Gemeinde seine – von Gott geschenkten – Gaben dar.

V. Im 20. Jahrhundert wird das Lied im evangelischen Bereich entweder zur Melodie aus dem Schemelli-Gesangbuch (Evangelisches Gesangbuch 1993) oder zu "Nun freut euch, lieben Christen gmein" gesungen. Der Text musste sich dabei zum Teil umfassende Kürzungen gefallen lassen. Die katholische Rezeption des Liedes beginnt erst um 1950. Fünfundzwanzig Jahre später wird das Lied ins Einheitsgesangbuch "Gotteslob" aufgenommen, wiederum zur Melodie von "Nun freut euch, lieben Christen gmein". Wie in der evangelischen Kirche wurde das Lied stark gekürzt, hier sogar auf nur vier Strophen (Edition D).

MICHAEL FISCHER
(Juni 2005 / Februar 2007)



Literatur

  • Christa Reich: Ich steh an deiner Krippen hier. In: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. Hrsg. und erläutert von Hansjakob Becker u.a. München 2001, S. 249–261.
  • Christian Bunners (Peter Ernst Bernoulli): Ich steh an deiner Krippe hier. In: Ökumenischer Liederkommentar zum Katholischen, Reformierten und Christkatholischen Gesangbuch der Schweiz. Basel, Zürich 2001 (Lief. 1), o. S. [4 Seiten].
  • Gerhard Hahn: Ich steh an deiner Krippen hier. In: Christian Möller (Hrsg.): Ich singe Dir mit Herz und Mund. Liedauslegungen. Liedmeditationen. Liedpredigten. Ein Arbeitsbuch zum Evangelischen Gesangbuch. Stuttgart 1997, S. 66–70.
  • Ich steh an deiner Krippen hier. In: Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Bd. III,1: Liederkunde. Erster Teil. Göttingen 1970, S. 193–195 (Nr. 28).

Editionen und Referenzwerke



Quellenübersicht

  • Ungedruckte Quellen: —
  • Gedruckte Quellen: häufig in Gebrauchsliederbüchern, sehr häufig in Kirchengesangbüchern, einige sonstige Rezeptionsbelege
  • Bildquellen: —
  • Tondokumente: sehr viele Tonaufnahmen (über 200)
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer: Ich steh an deiner Krippen hier (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/ich_steh_an_deiner_krippen_hier/>.


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last modified 16.10.2012 10:38
 

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