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Ich liebe das Denken


Das dem Lob der Vernunft gewidmete Lied "Ich liebe das Denken" stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Herkunft des vom Geist der Aufklärung geprägten Liedes ist nicht bekannt, möglicherweise war es zunächst eine Theatereinlage. Die frühesten Quellen finden sich in Liederhandschriften aus dem Salzburger Raum. In seinem Refrain nimmt der Liedtext mit den Worten "Gedanken sind allen und jederzeit frey" eine zeitgenössische Redewendung auf, die wenig später durch das Lied "Die Gedanken sind frei" weit reichende Verbreitung erfuhr. Eine Umdichtung des Liedes kursierte Ende des 18. Jahrhunderts als Flugschrift.

I. Die älteste, bislang bekannte Quelle für das Lied "Ich liebe das Denken" ist die 1777 in Salzburg angelegte Liederhandschrift des Benediktiner-Paters Meingosus Gaelle (Edition A). Darin findet sich sowohl Text wie Musik, wobei die beiden ersten Verse des Liedtextes fehlerhaft notiert sind, wie der zweite Textzeuge für "Ich liebe das Denken" verdeutlicht: Diese im Kloster Admont (Obersteiermark) erhaltene Liederhandschrift ist um 1780 entstanden und stammt offenbar ebenfalls aus dem Kreis des Benediktinerordens (Edition B). Die musikalische Seite des Liedes ist nur in der Bearbeitung von Meingosus Gaelle überliefert, wobei unklar bleibt, ob neben der Harfenbegleitung auch die Melodie von ihm komponiert wurde (s. Anmerkung zu Edition A).

II. Das Lied "Ich liebe das Denken" wendet sich gegen verbreitete Formen der Schwatzhaftigkeit und plädiert dafür, sich vom Gerede anderer Leute nicht beeindrucken zu lassen, sondern die eigene Vernunft zu gebrauchen. Diese Intention wird bereits zu Beginn pointiert zum Ausdruck gebracht: "Ich liebe das Denken und rede nicht viel, / Vernunft muss mich lenken, und führen zum Ziel" (Str. 1). Die folgenden Strophen exemplifizieren dies anhand verschiedener Themen und Erscheinungen des üblichen Palavers, von denen sich das lyrische Ich distanziert: Schmeichelei, Gefallsucht, Angeberei, Tratsch und Spott über andere, sowie zuvorderst das Gerede über die Macht der Liebe. Demgegenüber möge – so schließt das Lied – jeder die eigene Vernunft gebrauchen: "Ich wähle das Denken / So gut als ich kann / vernünftig gedenken / Steht jedem wohl an " (Edition A, Str. 8). Dabei ist die im Lied zum Ausdruck gebrachte Haltung eine defensive und privatistische, deren Credo der Refrain formuliert: "Ich lache zur Sache und denke dabei / Gedanken sind allen und jederzeit frei". Diese Einstellung, gute Miene zu blödem Geschwätz zu machen und sich im Stillen seinen Teil zu denken, wird hier zu einer klugen Strategie im Umgang mit anderen Menschen erklärt. Die Kernaussage des Refrains knüpfte an ein damals sehr geläufigen Sprichwort an ("Gedanken sind zollfrei"), das ab Ende des 18. Jahrhunderts durch das Lied "Die Gedanken sind frei" weitere Prominenz erlangte.

III. Die erhaltenen Quellen zum Lied "Ich liebe das Denken" zeigen, dass es in den 1770/80er Jahren in Kreisen süddeutscher und österreichischer Benediktiner kursierte: Meingosus Gaelle studierte beispielsweise in den Jahren 1771–1777 an der Salzburger Benediktineruniversität und legte seine Liederhandschrift (Edition A) in demselben Jahr an, in dem er dort seine theologische Promotion abschloss und dann ins Kloster Weingarten (Oberschwaben) zurückkehrte. Auch die Überlieferung im Benediktinerstift Admont (Edition B) legt einen entsprechenden Gebrauchskontext nahe. Die Liedüberschrift "Florindus" in Gaelle's Handschrift deutet darauf hin, dass das Lied möglicherweise aus einem – bislang nicht identifizierten – Schau- oder Singspiel stammt, in dem "Ich liebe das Denken" als ein Auftrittsgesang der Florindo-Figur diente. Weitere im Liedtext erwähnte Namen (Str. 6) könnten sich ebenfalls auf einen solchen Kontext beziehen. Die Liedversion der Admonter Handschrift enthält gegenüber Gaelle's Fassung den korrekten Liedanfang (siehe Abs. I.), verzichtet jedoch auf die von ihm überlieferte vierte Strophe. Der stärkste Unterschied zwischen beiden Versionen liegt im Refrain, dessen Kernsatz hier lautet: "die worte synd närrisch, gedanken synd frey"(Edition B, Str. 2). Darüber hinaus sind die Abweichungen vergleichsweise gering. Sie signalisieren jedoch, dass dieses Lied in den 1770/80er Jahren verschiedentlich gekannt und verwendet wurde. In wie weit dies auch außerhalb benediktinisch geprägter Kreise der Fall war, ist nicht bekannt.

IV. Die bislang vorliegenden Informationen zu "Ich liebe das Denken" lassen keine gesicherten Aussagen über Formen und Grad seiner Verbreitung zu. Ein Indikator dafür, dass das Lied in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen gewissen Bekanntheitsgrad gehabt haben könnte, ist eine längere Umdichtung, die seinerzeit als Flugschriftendruck vertrieben wurde (Edition C). Diese Bearbeitung übernahm lediglich drei Strophen des ursprünglichen Textes und ergänzte dazu sieben neue, die – mit ähnlichem inhaltlichen Tenor – narzisstische Avancen sowie weitere Facetten von Aufschneiderei (mittels Bildung, Mode oder teuren Accessoires) aufs Korn nehmen. Im Refrain findet erneut der Vers "Gedanken sind allen und jederzeit frei" Verwendung. Die letzte Strophe dieser Umdichtung, in der ein Schäfer namens Damon als treuer Geliebter besungen wird, verortet diese Version im Kontext der damals beliebten Schäferspiele – sei es als Anspielung auf dieses Genre (in dem die Figur des Damon öfters als Schäfer zu finden ist) oder aber als Hinweis darauf, dass auch diese Bearbeitung möglicherweise als Theaterlied entstanden sein könnte. Zwei unterschiedlich illustrierte Auflagen dieser Flugschrift signalisieren, dass dieser Lieddruck seinerzeit keine Eintagsfliege war – insgesamt scheint die Verbreitung des Liedes "Ich liebe das Denken" jedoch eher begrenzt gewesen zu sein. Spätestens ab den 1890er Jahren stand es im Schatten des motivisch verwandten und überregional erfolgreichen Liedes "Die Gedanken sind frei". Demgegenüber hat "Ich liebe das Denken" im 19. Jahrhundert keine Resonanz mehr gefunden.

ECKHARD JOHN
(Juli 2015)



Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: vereinzelte Aufzeichnungen (nur Liederhandschriften des 18. Jahrhunderts)
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: —
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Eckhard John: Ich liebe das Denken (2015). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/ich_liebe_das_denken/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 28.09.2016 04:15
 

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