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Ich hab mich ergeben


Das 1820 von Hans Ferdinand Maßmann geschriebene nationale Bekenntnislied "Ich hab mich ergeben" wurde im 19. Jahrhundert vor allem im Milieu der Turner, Studenten und Männerchöre gepflegt und in viele Schulliederbücher aufgenommen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand "Ich hab mich ergeben" Eingang ins Repertoire der Jugendbewegung. Eine letzte starke Verbreitung durch Liederbücher erfuhr das Lied in den Jahren 1933–1936. 1949 noch in Ermangelung einer Nationalhymne bei der Annahme des Grundgesetzes durch den Parlamentarischen Rat gesungen, ging die Zahl der Veröffentlichungen des Liedes wegen seiner nun zunehmend als unzeitgemäß empfundenen Haltung ab den 1950er Jahren stark zurück. Eine englische Fassung des Liedes ist die aktuelle Nationalhymne von Mikronesien.

I. Hans Ferdinand Maßmann (1797–1874) schuf sein nationales Bekenntnislied "Ich hab mich ergeben" 1820 vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund der im Jahr zuvor eingeleiteten Maßnahmen gegen nationale und liberale Tendenzen in den Staaten des 1815 geschaffenen Deutschen Bundes. In den Fokus der einsetzenden Demagogenverfolgung geriet damals auch Maßmann. Gegen sich aufgebracht hatte er insbesondere den preußischen Polizeidirektor von Kamptz: Eine von diesem herausgegebene Sammlung mit Polizeigesetzen wurde 1817 auf dem Wartburgfest im Zuge einer von Maßmann inszenierten Bücherverbrennung dem Feuer übergeben. Herausgefordert sahen sich die politisch restaurativen Kräfte auch durch Maßmanns anschließend publizierte "Kurze und wahrhaftige Beschreibung des großen Burschenfestes auf der Wartburg": Auf Deutschland, so hieß es dort, laste gegenwärtig noch "die trübe Winternacht der Knechtschaft", doch das "blutgoldene Morgenroth" einer nationalen Erneuerung kündige sich bereits an. Wesentliche Prägungen erfuhr Maßmann durch Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), den Begründer der Turnbewegung. Jahn verband mit der Errichtung öffentlicher Turnplätze (der erste entstand 1811 in Maßmanns Heimatstadt Berlin) ein nationalpädagogisches Programm wehrhafter Ertüchtigung, das auch nach dem Ende der Befreiungskriege gegen Frankreich Gültigkeit behielt. In Jena gründete Maßmann 1816 einen Turnplatz für Studenten, womit eine enge Bindung zwischen der Burschenschaftsbewegung, die 1815 von Jena ihren Ausgang nahm, und der Turnbewegung geschaffen wurde. Seine Gesinnung brachte Maßmann in einem 1817 veröffentlichten "Burschenlied" zum Ausdruck. Darin sah er die "zur Lebenswehr" gestählten Burschen durch ein "Bruderband" verbunden: "Alle" nämlich seien sie "Streiter dem Einen Vaterland". Von Einfluss auf Maßmann war auch Jahns 1810 erschienene Schrift "Deutsches Volksthum", in der dieser eine "Verwelschung" der deutschen Sprache und Kultur beklagte und zu einer Neubesinnung aufrief. Wie Jahn ist Maßmann dem "altdeutschen" Flügel der sich seinerzeit formierenden Nationalbewegung zuzurechnen. Das Bewusstsein nationaler Identität stiftete hier der verklärte Blick zurück in die Vergangenheit: "O Vaterland, Du heilig Land", heißt es in Maßmanns "Burschenlied", "An Helden reich von Herz und Hand, / Wo Hermann einst das Eisen schwang, / Und Luther für den Glauben rang, / Dir weih'n wir unser junges Blut". Am 13. März 1819 ermordete der Student Karl Ludwig Sand den Schriftsteller und russischen Generalkonsul August von Kotzebue, in dem er einen "Verräter des Vaterlandes" sah. Hinter dieser Tat wurde eine breit angelegte politische Verschwörung vermutet und behördlicherseits die Verfolgung sog. "Demagogen" eingeleitet, darunter auch Maßmann. Eine Ministerkonferenz unter Federführung des österreichischen Außenministers Metternich beschloss im August 1819 u.a. ein Verbot der Burschenschaften sowie eine Sperrung der Turnplätze ("Karlsbader Beschlüsse").

II. Das Lied "Ich hab mich ergeben" (Edition A) entstand vermutlich Anfang 1820 im Kontext von Maßmanns "lyrischen Bewältigungsversuchen" (Richter 1992) der eigenen Lage (er sah sich damals "[ü]berall verfolgt vertrieben") sowie der gegen die junge Nationalbewegung gerichteten Maßnahmen. Er griff dabei die "Weise eines Thüringischen Waldliedes" auf, die schon dem Lied "Wir hatten gebauet" zugrunde lag, das August Daniel von Binzer kurz zuvor aus Anlass der Zwangsauflösung der Jenaer Burschenschaft geschrieben hatte. Anders als Maßmanns erwähntes "Burschenlied", in dem ein pluralisches Wir-Subjekt "stolz" bekennt, sich dem Vaterland geweiht zu haben und für dessen Einheit zu wirken, ist das "Gelübde" betitelte Lied "Ich hab mich ergeben" der patriotische Treueschwur eines Einzelnen: "Mein Herz ist entglommen, / Dir treu zugewandt! / Du Land der Freyen und Frommen, / Du herrlich Hermannsland! // Du Land, reich an Ruhme, / Wo Luther erstand [Variante: Du mächtig Heldenland], / Für deines Volkes Thume / Reich' ich mein Herz und Hand!" (Str. 2 u 3). Dieses "Gelübde" wird mit der an Gott gerichteten Bitte verbunden, "mein jung Herzensblut […] zu freyem frommen Muth" zu erheben und "Kraft" zu schenken für den Kampf um das "heil'ge Vaterland" (Str. 4 u. 5). Zum ersten Mal erschien "Ich hab mich ergeben" im "Teutschen Liederbuch […] für Hochschulen" (Stuttgart 1823), an dessen Zusammenstellung Maßmann mitwirkte (Edition A). In der Restaurationszeit wurde das Lied selten veröffentlicht, eine breitere Rezeption in Liederbüchern setzt erst in den 1840er Jahren ein (z.B. Gustav Wilhelm Fink: "Musikalischer Hausschatz der Deutschen", Leipzig 1843). Im gleichen Jahr wurde Maßmann von München, wo er seit 1829 als Professor für deutsche Sprache und Literatur (Schwerpunkt: Altgermanistik) wirkte, nach Berlin berufen und hier auch mit der Reorganisation des in Preußen wieder zugelassenen Turnens betraut. Der Turnbewegung blieb Maßmann zeitlebens verbunden (Edition B) und setzte sich daneben für kulturpatriotische Großprojekte ein (Germanisches Nationalmuseum, Hermannsdenkmal). Liberalen Geistern war Maßmann wegen seiner "teutonischen" Haltung eine Zielscheibe des Spotts (s. Heinrich Heines "Reisebilder" Teil 3, 1829, Kap. III).

III. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Maßmanns vaterländisches Bekenntnislied "Ich hab mich ergeben" häufig in Liederbücher aufgenommen; vor allem findet es sich in Turnerliederbüchern (z. B. Edition B), in Studentenliederbüchern (z.B. "Allgemeines Deutsches Kommersbuch", 1858) sowie in Schulliederbüchern (z.B. H. W. Stork: "Großer Schulliederschatz", 1868; eine begleitende Reigenchoreographie für den Turnunterricht veröffentlichte 1890 F. Broschinski). Vielfach gesungen wurde das Lied auch von Männerchören; mit der bezeichnenden Vortragsanweisung "innig" versehen ist der vierstimmige Satz, den das auf Veranlassung Kaiser Wilhelm II. herausgegebene "Volksliederbuch für Männerchor" (1906) enthält (Edition C). Die Beliebtheit des Liedes spiegelt sich in einer großen Zahl von Umdichtungen ("Ich hab mich ergeben […] dem Feuerwehrmannsstand"; s. "Deutsches Feuerwehr-Kommersbuch", hrsg. von Ph. L. Jung um 1907) und Parodien. So ist es mit dem scherzhaft veränderten Liedbeginn "Ich hab mich übergeben" in mehreren Varianten aus Schülermund belegt (Edition D). Noch bis in die 1930er Jahre wurde Maßmanns "Ich hab mich ergeben" breit rezipiert, etwa auch von der Jugend- und Wandervogelbewegung. In Liederbüchern der NS-Zeit ist es bis 1936 häufig vertreten, danach geht die Zahl der Publikationsbelege deutlich zurück (Prieberg 2004). Ein Grund dafür war möglicherweise die religiöse Einfärbung des Liedes. Im Übrigen verlor das Repertoire älterer patriotischer Lieder generell an Bedeutung. Eine während des Zweiten Weltkriegs entstandene sowjetische Tarnschrift, mit der deutsche Soldaten zum Überlaufen bewegt werden sollten, enthält eine Parodie des Liedes "Ich hab mich ergeben" von Erich Weinert (Edition E).

IV. Am 23. Mai 1949 sang man das Lied "Ich hab mich ergeben" zum Abschluss der 12. Plenumssitzung des Parlamentarischen Rates, in der das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland angenommen wurde. Große Bedeutung entfaltete Maßmanns "Gelübde" nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch nicht mehr. Seit den 1960er Jahren ist das Lied kaum mehr in Gebrauchsliederbücher aufgenommen worden, denn sein vaterländisches Pathos befremdete nun zunehmend. Versuche, am Lied festzuhalten, schlugen in Kitsch um (Abb. 1). Ein seltener Rezeptionsbeleg aus jüngerer Vergangenheit ist die Einspielung des Liedes durch die schwedische "Vikingrock"-Band "Ultima Thule" für eine ihren deutschen Fans zugedachte CD-Single mit dem Titel "Herrlich Hermannsland" (2009).

V. Ein bemerkenswertes Zeugnis transkultureller Migration und Adaption von Liedern ist die Nationalhymne der Föderierten Staaten von Mikronesien, die auf Maßmanns "Ich hab mich ergeben" beruht (Edition F). Der englische Text des 1991 zur Hymne deklarierten Liedes ("Tis here we are pledging with heart and with hand") entstand Anfang der 1950er Jahre an der "Pacific Islands Teacher Training School" in Chuuk. Maßmanns "Gelübde" dürfte während der Zeit deutscher Kolonialherrschaft in der Südsee (1884–1914) nach Mikronesien gelangt und in dortigen Missionsschulen gesungen worden sein (s. Anmerkungen zu Edition F). Spuren dieses temporären deutschen Einflusses finden sich in Sprache und Kultur der Südsee bis heute.

TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(November 2011)



Editionen und Referenzwerke
Weiterführende Literatur
  • Der Parlamentarische Rat 1948–1949. Akten und Protokolle, Bd. 9. Bearbeitet von Wolfram Werner. München 1996, S. XXVI u. S. 700f.
  • Joachim Burkhard Richter: Hans Ferdinand Maßmann. Altdeutscher Patriotismus im 19. Jahrhundert. Berlin, New York 1992 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, NF 100); vgl. insbesondere Kap. III.3 ("Ich hab mich' ergeben": lyrische Bewältigungsversuche), S. 111–115 u. S. 422.
  • Günter Steiger: Urburschenschaft und Wartburgfest. Aufbruch nach Deutschland. 2. bearb. und erweiterte Aufl. Leipzig 1991 (zu Maßmanns Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest S. 117 u. S. 122–129).
  • Die Einübung eines Gesang-Reigens nach dem Liede: "Ich hab' mich ergeben mit Herz und mit Hand". Bearbeitet von F. Broschinski. Beigabe zu: "Aus der Schule – für die Schule". Hilchenbach o.J. [um 1890].


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, überaus häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: selten auf Tonträgern
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Ich hab mich ergeben (2011). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/ich_habe_mich_ergeben/>.


© Deutsches Volksliedarchiv

last modified 16.10.2012 10:30
 

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