Edition A: Erstdruck 1815 copied.
A. Freiheit, die ich meine
(Erstdruck 1815)
Text: Max von Schenkendorf (1783–1817)
Freiheit. | ||
1. | Freiheit, die ich meine, | |
Die mein Herz erfüllt, | ||
Komm' mit deinem Scheine, | ||
Süßes Engelbild. | ||
2. | Magst du nie dich zeigen | |
Der bedrängten Welt? | ||
Führest deinen Reigen | ||
Nur am Sternenzelt? | ||
3. | Auch bei grünen Bäumen | |
In dem lust'gen Wald | ||
Unter Blüthenthräumen, | ||
Ist dein Aufenthalt. | ||
4. | Ach! das ist ein Leben, | |
Wenn es weht und klingt, | ||
Wenn dein stilles Weben | ||
Wonnig uns durchdringt. | ||
5. | Wenn die Blätter rauschen | |
Süßen Freundesgruß, | ||
Wenn wir Blicke tauschen, | ||
Liebeswort und Kuß. | ||
6. | Aber immer weiter | |
Nimmt das Herz den Lauf, | ||
Auf der Himmelsleiter | ||
Steigt die Sehnsucht auf. | | [S. 73] | |
7. | Aus den stillen Kreisen | |
Kommt mein Hirtenkind, | ||
Will der Welt beweisen, | ||
Was es denkt und minnt. | ||
8. | Blüht ihm doch ein Garten, | |
Reift ihm doch ein Feld | ||
Auch in jener harten | ||
Steinerbauten Welt. | ||
9. | Wo sich Gottes Flamme | |
In ein Herz gesenkt, | ||
Das am alten Stamme | ||
Treu und liebend hängt; | ||
10. | Wo sich Männer finden, | |
Die für Ehr und Recht | ||
Muthig sich verbinden, | ||
Weilt ein frei Geschlecht. | ||
11. | Hinter dunkeln Wällen | |
Hinter ehrnem Thor | ||
Kann das Herz noch schwellen | ||
Zu dem Licht empor. | ||
12. | Für die Kirchenhallen, | |
Für der Väter Gruft, | ||
Für die Liebsten fallen, | ||
Wenn die Freiheit ruft. | | [S. 74] | |
13. | Das ist rechtes Glühen | |
Frisch und rosenroth: | ||
Heldenwangen blühen | ||
Schöner auf im Tod. | ||
14. | Wollest auf uns lenken | |
Gottes Lieb und Lust. | ||
Wollest gern dich senken | ||
In die deutsche Brust. | ||
15. | Freiheit, holdes Wesen, | |
Gläubig, kühn und zart, | ||
Hast ja lang erlesen | ||
Dir die deutsche Art. |
Max von Schenkendorf: Gedichte. Stuttgart und Tübingen: J. G. Cotta 1815, S. 72–75.
DVA: L 2/10110
last modified
21.06.2012 10:44