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Liederlexikon

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Es ist für uns eine Zeit angekommen


Bei dem Lied "Es ist für uns eine Zeit angekommen" handelt es sich ursprünglich um ein Sternsingerlied aus dem Weihnachtsbrauchtum der deutschsprachigen Schweiz, das dort im 19. Jahrhundert verschiedentlich zum Dreikönigsfest gepflegt wurde. Um 1939 entstand dazu in Deutschland eine Neufassung des Textes, welche die christlichen Motive des Liedes zu verdrängen suchte. Diese Winterliedversion hat sich in den Gebrauchsliederbüchern der jüngsten Zeit weitgehend durchgesetzt.

I. Das Schweizer Dreikönigslied ist vor allem aus dem Wiggertal (Kanton Luzern) überliefert, wo das Lied seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gesungen wurde (Edition A). Der Volksliedsammler Alfred Leonz Gaßmann (1876–1962) berichtete 1906 in seiner Sammlung "Das Volkslied im Luzerner Wiggertal und Hinterland" über den dortigen Brauch des Dreikönigssingens: "Am Sonntag vor Dreikönigen und am Festtag […] zogen die muntern Sänger bei hereinbrechender Nacht von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder zur Freude aller Ortsbewohner vor. Ein Sänger trug den stattlichen Stern voran. […] Der Träger des Sterns hieß allgemein Sterndreher und hiervon das Lied Sterndreherlied. In dem mit vielfarbigem Papier überzogenen fünf- bis neunzackigen Sterne leuchtete eine Kerze, zur Nachtzeit ein überaus schönes Bild. Ein zweiter Sänger mußte das Inkasso besorgen. Da gab es 6–8 Batzen, dort 1–5 Franken." Anschließend stärkten die Bauersleute die Burschen mit einem kühlen Trunk Most, der in Kannen bereit stand. Dieser traditionelle Brauch wurde jedoch in der Zeit der Jahrhundertwende bereits kaum mehr praktiziert: "Mancher 'Aetti' und manch altes 'Müetti' sprach zu mir in seliger Begeisterung von der guten alten Zeit, wo diese Gesänge noch überall zur stillen Winterszeit in den einsamen Dörfern und entlegenen Gehöften ertönten." Jedoch gerade das Lied "Es ist für uns eine Zeit angekommen" sei um 1900 in drei Gemeinden in der Weihnachtszeit noch "gäng und gäbe" gewesen.

II. Das mündlich tradierte Lied ist in verschiedenen Text- und Melodiefassungen überliefert, vorwiegend mit drei oder vier Strophen und in hochdeutscher Sprache. Die Fassung aus dem Kanton Aargau, die Otto von Greyerz in seinem bekannten "Röseligarte" (Bern 1912) mitteilt, unterscheidet sich beispielsweise deutlich von der aus dem Wiggertal: den vier Strophen sind hier jeweils sechs weitere Verse in mundartlicher Färbung angehängt, die von den Hirten im Felde berichten. Auch die Melodie ist hier eine andere (Edition B).

III. In Deutschland fand jedoch lediglich die von Alfred Leonz Gaßmann 1906 mitgeteilte Melodie Aufnahme, als das Lied hier in den Jahren um den Ersten Weltkrieg auf erste Resonanz stieß und dann auch in der von Gerd Benoit herausgegebenen Sammlung "Aus allen Gauen. Lieder wie sie ein Volk zeichnen" (Berlin 1934) enthalten war. In der Zeit des Nationalsozialismus entstand dann eine weltliche Umdichtung von Paul Hermann (1904–1970), die eine idyllische Winterlandschaft beschreibt und inhaltlich nichts mehr mit dem ursprünglich christlichen Text gemein hat. Hier wurde in der ersten Strophe zunächst die ursprüngliche "Gnade" durch das Wort "Freude" ersetzt und im weiteren dann der komplette Text mit seinen religiösen Bezügen durch einen weltlichen. Das Lied erschien erstmals 1939 in der Sammlung "Das Kindelwiegen" von Georg Blumensaat, einem "Singe- und Spielbuch für die Weihnacht", welches auch bei anderen Weihnachtsliedern die christlichen Elemente zu tilgen suchte, um sie dem neuheidnischen "Julfeier"-Ritual dienstbar zu machen. Dieses Winterlied wurde dann auch in der auflagenstarken Sammlung "Deutsche Kriegsweihnacht" (1941) publiziert (Edition C) und findet sich gleichermaßen im "Weihnachtsliederbuch für die deutsche Familie", das Wolfgang Stumme, ein weiterer nazistischer Volksliedfunktionär, herausgab ("Bald nun ist Weihnachtszeit". Wolfenbüttel 1945).

IV. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erinnerte man sich auch in Deutschland bisweilen wieder an das ursprüngliche Schweizer Sterndreherlied. Für die von Gottfried Wolters herausgegebene Sammlung "Inmitten der Nacht. Die Weihnachtsgeschichte im Volkslied" (Wolfenbüttel 1957) wurde es gar mit acht neuen Strophen (von Maria Wolters) versehen. Dennoch ist das Lied heute überwiegend in der Textfassung von Paul Hermann verbreitet: Ungeachtet seines problematischen Entstehungshintergrundes fand es als Winterlied Eingang in wirkungsstarke Liedsammlungen wie "Bruder Singer" (1951) oder die "Mundorgel" (3. Aufl. 1968) und ist in der Gegenwart ungleich bekannter als das ältere Schweizer Brauchtumslied. In einigen Liederbüchern sind mitunter beide Fassungen abgedruckt (Edition D).

WALTRAUD LINDER-BEROUD
(November 2005 / Januar 2007)



Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: vergleichsweise wenige Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: gelegentlich auf Liedpostkarten
  • Tondokumente: viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Waltraud Linder-Beroud: Es ist für uns eine Zeit angekommen (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_ist_fuer_uns_eine_zeit_angekommen/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 12.09.2012 11:44
 

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