C. Der Winter ist ein rechter Mann
(Schulliederbuch 1868)
Text: Matthias Claudius (1740–1815)
Melodie: Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) zugeschrieben
Der Winter. | ||
1. | Der Winter ist ein rechter Mann, | |
kernfest und auf die Dauer, | ||
sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an | ||
und scheut nicht süß noch sauer. | ||
2. | Er zieht sein Hemd im Freien an | |
und läßts vorher nicht wärmen, | ||
und spottet über Flüss' im Zahn | ||
und Grimmen in Gedärmen. | ||
3. | Aus Blumen und aus Vogelsang | |
weiß er sich nichts zu machen, | ||
haßt warmen Drang und warmen Klang | ||
und alle warme Sachen. | ||
4. | Doch wenn die Füchse bellen sehr, | |
wenns Holz im Ofen knittert, | ||
und um den Ofen Knecht und Herr | ||
die Hände reibt und zittert; | ||
5. | Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht | |
wenn Teich und Seen krachen: | ||
das klingt ihm gut, das haßt er nicht, | ||
dann will er todt sich lachen. | ||
6. | sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus | |
beim Nordpol an dem Strande: | ||
doch hat er auch ein Sommerhaus | ||
im lieben Schweizerlande. | | [S. 318] | |
7. | Da ist er denn bald dort, bald hier, | |
gut Regiment zu führen, | ||
und wenn er durchzieht, stehen wir | ||
und sehn ihn an und frieren. |
Großer Schulliederschatz oder 100 Jugend- und Volkslieder mit ein-, zwei, drei- und vierstimmigen Volksweisen […]. Ein Buch für evangelische Lehrer sowie alle Freunde gesunden Volksgesanges. Hrsg. von B. W. Stork. Gütersloh: C. Bertelsmann 1868, S. 317f. (Nr. 679).
DVA: V 5/1700
Dort folgende Herkunftsangabe: Text "M. Claudius", Melodie "C. [sic] Fr. Reichardt".
Editorische Anmerkung:
In Str. 5 Vers 3 der Editionsvorlage "daß" statt "das".
Die Bestände der Schulliederbücher sind im Deutschen Volksliedarchiv inhaltlich erst punktuell erschlossen. Der bislang früheste ermittelte Beleg von "Der Winter ist ein rechter Mann" mit der im "Großen Schulliederschatz" verwendeten Melodie findet sich in:
- Sechszig [sic] deutsche Lieder für dreißig Pfennige. Mit bewährten Sangweisen und Andeutungen zur Clavier-Begleitung. Für Jung und Alt in der Christenheit, zunächst aber für Schulen. Dritte unveränderte Auflage. Gütersloh: C. Bertelsmann o. J. [um 1840], S. 50 (Nr. 49); dort ebenfalls die Komponistenangabe "Reichardt".
Mit dieser Weise nahm auch Franz Magnus Böhme das "Lied hinterm Ofen zu singen" in sein Referenzwerk "Volksthümliche Lieder der Deutschen" (Leipzig 1895) auf (S. 176, Nr. 220) und merkte dabei fälschlich an: "Mel. von Reichardt: 'Lieder geselliger Freude'. 2. Abth. 1797. Nr. 97" (s. dagegen Edition B mit Anmerkung). Böhmes Fehlinformation wurde im 20. Jahrhundert unüberprüft weiter tradiert; vgl. etwa
- Das große Buch der Volkslieder. Über 300 Lieder, ihre Melodien und Geschichten. Ausgewählt und erläutert von Heinz Rölleke. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1993, S. 184 ("die Vertonung schuf Johann Friedrich Reichardt 1797").
last modified
28.09.2016 04:08