B. Der Mai ist gekommen
(Erstdruck Lied 1843)
Text: Emanuel Geibel (1815–1884)
Melodie: Justus Wilhelm Lyra (1822–1882)
Wanderschaft | ||
1. | Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus, | |
da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus; | ||
wie die Wolken wandern am himmlischen Zelt, | ||
so steht auch mir der Sinn in die | weite, weite Welt. | [S. 305] | |
2. | Herr Vater, Frau Mutter, daß Gott euch behüt; | |
wer weiß, wo in der Ferne mein Glück mir noch blüht? | ||
Es giebt so manche Straße, da nimmer ich marschirt, | ||
es giebt so manchen Wein, den ich nimmer noch probirt. | ||
3. | Frisch auf drum, frisch auf im hellen Sonnenstrahl | |
wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Thal. | ||
Die Quellen erklingen, die Bäume rauschen all; | ||
mein Herz ist wie 'ne Lerche und stimmet ein mit Schall. | ||
4. | Und Abends im Städtlein, da kehr ich durstig ein: | |
"Herr Wirth, Herr Wirth, eine Kanne blanken Wein!" | ||
Ergreife die Fiedel, du lustger Spielmann du, | ||
von meinem Schatz das Liedel, das sing ich dazu. | ||
5. | Und find ich keine Herberg, so lieg ich zu Nacht | |
wohl unter blauem Himmel, die Sterne halten Wacht; | ||
im Winde die Linde, die rauscht mich ein gemach, | ||
es küsset in der Früh das Morgenroth mich wach. | ||
6. | O Wandern, o Wandern, du freie Burschenlust! | |
da wehet Gottes Odem so frisch in die Brust, | ||
da singet und jauchzet das Herz im Himmelszelt: | ||
wie bist du doch so schön, o du weite, weite Welt! – |
Deutsche Lieder. Leipzig: Rob. Friese 1843, S. 304f. (Abschn. III, Nr. 62).
DVA: V 6/1450
Dort folgende Verfasserangabe: "E. Geibel". Die Komponistenangabe findet sich erst am Schluss des Liederbuchs: auf S. 346 werden die von J. W. Lyra stammenden "neuen Melodien" mit Nummer aufgezählt, darunter auch diese.
Editorische Anmerkung:
Der Titel "Wanderlied" (Erstdruck des Gedichts) wurde in "Deutsche Lieder" vermutlich aus Gründen der Abwechslung in "Wanderschaft" verändert: denn "Der Mai ist gekommen" ist darin von zwei "Wanderlied" überschriebenen Nummern umrahmt (Abschn. III, Nr. 54: "Wohlauf, noch getrunken den funkelnden Wein"; Abschn. III, Nr. 64: "Durch Feld und Buchenhallen").
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27.08.2012 12:43