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Liederlexikon

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Ich will dich lieben meine Stärke


Der Theologe und Lyriker Angelus Silesius (1624–1677) hat das bekannte Kirchenlied "Ich will dich lieben, meine Stärke" im 17. Jahrhundert gedichtet. Dieses Jesus-Lied wurde zunächst nur in evangelischen Gesangbüchern rezipiert. Seit dem 20. Jahrhundert wird es jedoch auch von katholischen Christen im Gottesdienst gesungen, so dass es heute als ein ökumenisches Lied angesehen werden kann. Außerhalb des kirchlichen Zusammenhangs spielt es keine Rolle.

I. Wie schon das Initium zeigt, fokussiert das Lied "Ich will dich lieben, meine Stärke" drei Elemente: das singende Subjekt, das Gegenüber Jesus und die liebende Verbindung zwischen beiden. Im Gegensatz zu den Strophen 1, 2 und 8 mit den Anfangsworten "Ich will dich lieben" formulieren die übrigen Strophen Selbstanklagen (Strophen 3 und 4), Dank (Strophe 5) und Bitten (Strophen 6 und 7). Der Text ist von der Theologie Augustinus' (354–430) bestimmt: In seinen "Confessiones" (X. Buch) bekennt der lateinische Kirchenvater, er habe Gott, die alte und doch so neue Schönheit, erst spät geliebt (vgl. Strophe 3).

II. Erstmals publiziert wurde das Gedicht in der "Heiligen Seelen-Lust" (Breslau 1657), die ausschließlich Lieder des schlesischen Boten Angelus Silesius (1624–1677; bürgerlicher Name: Johannes Scheffler) enthält (Edition A). Der Untertitel "Geistliche Hirten-Lieder / Der in jhren Jesum verliebten Psyche" zeigt nicht nur die Zielrichtung des gesamten Unternehmens an, sondern verdeutlicht auch die Intention des vorliegenden Liedes. Wie es bei musikalischen Andachtsbüchern der Zeit üblich war, gab der Breslauer Kirchenmusiker Georg Joseph (Lebensdaten unbekannt) den Texten "neue anmutige Melodeyen" (Vorwort) mit Generalbass bei.

III. Schon früh wurde das Lied in evangelische Andachts- und Gesangbücher aufgenommen. Das ist durchaus bemerkenswert, weil der Autor nach seiner Konversion zum Katholizismus im Jahr 1653 sich nicht nur als spiritueller Schriftsteller ("Cherubinischer Wandersmann", Wien 1657) betätigte, sondern auch als Kontroverstheologe und Polemiker hervortrat. Scheffler veröffentliche unzählige Schmähschriften gegen die Protestanten. Ungeachtet dessen nahm der orthodoxe Prediger Heinrich Müller (1631–1675) das Lied "Ich will dich lieben, meine Stärke" in seine "Geistliche Seelen-Musik" (Rostock 1659; mit einer Melodie von Nicolaus Hasse) auf. Danach folgte als weitere wirkungsgeschichtlich relevante Publikation das Freylinghausensche Gesangbuch (Halle 1704). Im 18. Jahrhundert verbreitete sich der Text weiter im evangelischen Kirchengesang. Rezeptionsleitend wurde dabei diejenige Melodie, die seit 1738 im "Harmonischen Liederschatz" von Johann Balthasar König (1691–1758) abgedruckt wird. Diese Melodie hat sich im Protestantismus durchgesetzt und alle anderen verdrängt, wie das "Deutsche evangelische Gesangbuch" (Berlin 1915) belegt (Edition C).

IV. Ein bemerkenswertes Rezeptionszeugnis der Aufklärung findet sich im Berliner Gesangbuch von 1829, das u.a. von dem Theologen Friedrich Schleiermacher (1768–1834) herausgegeben wurde (Edition B). Die dort abgedruckte Fassung zeigt nicht nur sprachliche Glättungen, sondern auch theologische Korrekturen: So bestand das Bedürfnis, in der zweiten Strophe auf das Kreuz Christi zu verweisen und damit das Lied an die evangelische Erlösungslehre rückzubinden. Weiter wurde das Versprechen, Jesus auch in der größten Not "ohne Lohne" zu lieben (Strophe 7), durch eine konventionellere ersetzt.

V. Im Katholizismus wurde das Lied im 17. und 18. Jahrhundert gar nicht oder nur vereinzelt rezipiert. In Gesangbüchern des 19. Jahrhunderts findet es sich gelegentlich. Anstoß für eine breite Aufnahme gab schließlich die in Freiburg 1938 publizierte Sammlung "Kirchenlied" (Edition D). Die Herausgeber griffen dabei auf Georg Josephs ursprüngliche Melodie aus der "Heiligen Seelen-Lust" zurück. Mit dieser Entscheidung wurde zumindest melodisch eine konfessionstrennende Singpraxis begründet. Sprachlich musste sich das Lied auch hier einige Eingriffe gefallen lassen. Die siebte Strophe fiel dabei – wie schon im "Deutschen Evangelischen Gesangbuch" von 1912 – ganz weg. Vermutlich störte man sich an der Formulierung "keusche Brunst" (Brand, Leidenschaft) und befürchtete eine Verwechselung mit dem waidmännischen Begriff "Brunft". Das 1975 erschienene katholische Einheitsgesangbuch "Gotteslob" nimmt wie das Berliner Gesangbuch von 1829 in der zweiten Strophe auf die Passion Christi Bezug. Möglicherweise fügt sich die Formulierung "ich will dich lieben, Gottes Lamm, das starb am Kreuzesstamm" möglicherweise gut in eine nachkonziliare "Normaltheologie" ein, läuft aber den poetischen und religiösen Intentionen Schefflers zuwider.

VI. Außerhalb von Kirche und Gottesdienst spielt das Lied seit dem 18. Jahrhundert keine große Rolle. Das gilt nicht nur für den Gesang, sondern auch für kunstmusikalische Bearbeitungen: Entstanden sind – sieht man von einer sechsstimmigen Motette (op. 18, Nr. 2) des Mainzer Komponisten Peter Cornelius (1824–1874) ab – lediglich Orgelvorspiele für den gottesdienstlichen Gebrauch, etwa von Sigfried Karg-Elert (op. 65, Nr. 18) und Max Reger (op. 67, Nr. 17).

MICHAEL FISCHER
(Mai 2006 / Juni 2007)



Literatur
  • Martin Rößler, Herbert Ulrich: "Ich will dich lieben, meine Stärke". In: Ökumenischer Liederkommentar zum Katholischen, Reformierten und Christkatholischen Gesangbuch der Schweiz. Freiburg (Schweiz) 2001ff. (Loseblattsammlung o. S.).
  • Hermann Kurzke: "Ich will dich lieben, meine Stärke". In: Geistliches Wunderhorn. Große deutsche Kirchenlieder. Hrsg., vorgestellt und erläutert von Hansjakob Becker u.a. München 2001, S. 291–298.
  • Ernst Arfken, Jürgen Grimm: "Ich will dich lieben, meine Stärke". In: Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Bd. III,2: Liederkunde. Hrsg. von Joachim Stalmann und Johannes Heinrich. Göttingen 1990, S. 207ff.

Editionen und Referenzwerke

Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: gelegentlich in Gebrauchsliederbüchern, sehr häufig in Kirchengesangbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: etliche Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer: Ich will dich lieben meine Stärke (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/ich_will_dich_lieben_meine_staerke/>.


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last modified 16.10.2012 09:47
 

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