Skip to content. Skip to navigation

Liederlexikon

Personal tools
You are here: Home Lieder Es waren zwei Waisenkinder
Document Actions

Es waren zwei Waisenkinder


Die Ballade "Es waren zwei Waisenkinder" ist vermutlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Die frühesten Aufzeichnungen stammen aus dem Jahr 1908. Inhaltlich steht das Lied von den beiden Waisen, die das Grab ihrer Mutter aufsuchen, der flämischen Waisenballade "Ach, Tjanne, zeyde hy, Tjanne" nahe; zugleich ist sie auch durch den Einfluss der damals sehr beliebten Ballade "Es waren zwei Königskinder" geprägt. Das Lied von den beiden Waisenkindern war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem im Rheinland, in Pommern und Westpreußen verbreitet, nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand es zunehmend aus den Liedgedächtnissen.

I. Die frühesten Belege für die Ballade "Es waren zwei Waisenkinder" stammen aus Westpreußen und aus dem Rheinland; sie wurden dort im Jahr 1908 aus mündlicher Überlieferung aufgezeichnet (Edition A, sowie Anmerkung zu Edition B). Die regionale Streuung und die Varianz der Überlieferung signalisieren, dass das Lied zu diesem Zeitpunkt bereits eine ganze Weile in Umlauf war. Vermutlich ist es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden. Darauf deutet auch die inhaltliche Nähe zu einer flämischen Waisenballade hin, die ab 1856 belegt ist (Coussemaker 1856).

II. Die Ballade erzählt von zwei Waisenkindern, die zum Friedhof gehen und am Grab ihrer Mutter um Brot bitten, da sie wegen der Stiefmutter "große Not" leiden. Daraufhin öffnet sich der Sargdeckel, die Mutter umarmt das jüngere Kind und dem älteren gibt sie ein Körbchen und den Rat, damit betteln zu gehen. Thematisch gehört das Lied in den Kontext der Ballade von Waise und Stiefmutter (DVM–Balladen Nr. 116), welche sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach 1857, in Deutschland verbreitete (als Übernahme einer älteren tschechischen Ballade). Inhaltlich korrespondiert das Lied "Es waren zwei Waisenkinder" jedoch eher der flämischen Waisenballade "Ach, Tjanne, zeyde hy, Tjanne" (Duyse 1903), die im "Deutschen Liederhort" auch ins Deutsche übertragen worden ist (Erk/Böhme 1893). Gleichzeitig zeigt die Liedüberlieferung Einflüsse der Ballade "Es waren zwei Königskinder", die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum eine sehr große Verbreitung hatte. Eine Variante lautet beispielsweise: "Es waren zwei Waisenkinder, die hatten einander so lieb" und der Sammler merkte an, dass die Melodie dazu auch zum Königskinderlied gesungen werde (DVA: A 151554). Vor allem die musikalische Seite der Ballade von den zwei Waisenkindern weist Bezüge zur Königskinder-Überlieferung auf (s. DVM–Balladen Nr. 118).

III. Die älteste erhaltene Melodieaufzeichnung von "Es waren zwei Waisenkinder" stammt aus dem Jahr 1915 (Edition B) . Die regionale Verbreitung der Ballade reicht vom Rheinland, über Hessen und Bayern (Kapfhammer 1968), bis nach Westpreußen und Hinterpommern (Edition C). Die meisten überlieferten Aufzeichnungen stammen jedoch aus dem – nahe dem flämisch-niederländischen Sprachraum gelegenen – Rheinland, wo die Ballade gelegentlich auch mit dem Liedanfang "Es gingen zwei Waisenkinder" überliefert (s. Anmerkung zu Edition B) und bis zur Mitte der 1930er Jahre belegt ist. Danach bricht die Überlieferung ab. Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte das Lied im aktiven Gebrauch keine nennenswerte Rolle mehr.

ECKHARD JOHN
(Juli 2013)



Editionen und Referenzwerke
  • Holzapfel 2000, S. 449 (enthält nur den Liedtext, die Melodieaufzeichnung der edierten Quelle bleibt unberücksichtigt).
  • DVM–Balladen, Bd. 5 (1967), Nr. 118 (Die beiden Waisenkinder), S. 308–310.

Weiterführende Literatur
  • Barbara Boock: Die Sammlung Patock im Deutschen Volksliedarchiv. Eine kleine Sammlung deutscher Volkslieder 1908 bei Kaschuben gesammelt. In: Musik und Migration in Ostmitteleuropa. Hrsg. von Heike Müns. München 2005, S. 319–331, hier S. 331.
  • Günther Kapfhammer: St. Englmar, eine volkskundliche Ortsmonographie (Textband) II. Teil. Diss. München 1964. In: Verhandlungen des Historischen Vereins für Niederbayern 94 (1968), S. 117–172, hier S. 134.
  • DVM–Balladen, Bd. 5 (1967), Nr. 116 (Waise und Stiefmutter), S. 282–301 (zur flämischen Waisenballade ebd. S. 292).
  • Duyse 1903, Bd. 1, S. 226–231 (Nr. 42).
  • Erk/Böhme 1893, Bd. 1, S. 609 (Nr. 202c [Übersetzung der flämischen Ballade ins Deutsche]).
  • E[dmond] de Coussemaker: Chants populaires des Flamands de France. Gent 1856, S. 209–211, (Nr. 48). [dass., nouvelle édition, Lille 1930, S. 211–213].


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: vergleichsweise wenige Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: sehr selten in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: —
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Eckhad John: Es waren zwei Waisenkinder (2013). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/es_waren_zwei_waisenkinder/>.


© Deutsches Volksliedarchiv


 
last modified 31.12.2013 04:42
 

nach oben | Impressum