Edition A: Ukraine 1926 copied.
A. Neunzehnhundert neunzehn Jahr, in dem Monat Februar
(Ukraine 1926)
Text: anonym
Flüchtlingslied. | ||
1. | Neunzehnhundert neunzehn Jahr, | |
In dem Monat Februar, | ||
Mussten alle Deutsche flüchten | ||
Aus dem Melitopler Kreis. | ||
2. | Melitopol liegt in Taurien, | |
Wo verschiedne Banden sind, | ||
Bolschewiken und Banditen, | ||
Die nur räuberisch Gesindel. | ||
3. | Alte Männer von siebzig Jahren | |
Mussten greifen nach der Flint, | ||
Denn in Räuberhänden sterben | ||
Wollte nicht das kleinste Kind. | ||
4. | Viele haben Gut verloren, | |
Manche nahmen garnichts mit, | ||
Denn sie wollten sich ja retten | ||
Bei den Brüdern in der Krim. | ||
5. | Manche kamen bloss und nackend | |
Nach dem Krimerer Gebiet, | ||
Denn sie konnten sonst nichts nehmen | ||
Aus dem fernen Heimatsort. | ||
6. | Alles blieb den Bolschewisten | |
In dem fernen Heimatsort, | ||
Und so mussten wir nun flüchten | ||
Nach dem Krimerer Gebiet. | ||
7. | Manche halfen uns wie Brüder, | |
Viele gaben uns die Schuh, | ||
Viele gaben uns das Essen | ||
Und auch noch das Nachtquartier. | ||
8. | Mancher hat sein Geld vergraben, | |
In der Krim da litt er Not, | ||
Denn er hatt' ja keinen Groschen | ||
Für die Seinen kaufen Brot. | ||
9. | Nun die Krimer wollen's nicht glauben, | |
Dass wir nun geflüchtet sind | ||
Aus dem Prischiber Gebiet, | ||
Dass wir jetzt Flüchtling' sind. | ||
10. | Endlich mussten auch die Krimer | |
Von der lieben Heimat fort. | ||
Dahin kamen auch die Banden | ||
Und zerschlugen Hab und Gut. | ||
11. | Nun, jetzt glaubten es die Krimer, | |
Dass sie nun ihr Gut verlor'n, | ||
Und sie wollten jetzt schon helfen, | ||
Jetzt war es ja doch zu spät. | ||
12. | Nun, sie wollten uns schon helfen, | |
Jetzt war es ja doch zu spät, | ||
Dass wir nun verlassen müssen | ||
Krim und taurisches Gebiet. | ||
13. | Manches Kind wird weinend fragen, | |
Wo ist denn der Vater mein? | ||
Und die Mutter muss dann sagen, | ||
Er wird längst erschossen sein. | ||
14. | Manche Schwester wird oft fragen, | |
Wo ist denn der Bruder mein? | ||
Von dem Feind ist er erschlagen, | ||
Weil er stand für's Heimatland? | ||
15. | Manches Mädchen wird oft fragen, | |
Wo ist denn der Geliebte mein? | ||
Niemand kann die Antwort geben, | ||
Wo er mag geblieben sein. |
Aufgezeichnet in der Kolonie Andreburg, Kreis Molotschnaja (Ukraine) im Sommer 1926 durch Alfred Ström; Gewährsperson: nicht genannt.
DVA: DVL – M 41, Nr. 1
IRLI Handschr. Abt.: Fond 104 – 12 – 100, Veröffentlichung mit Genehmigung von IRLI RAN, Sankt-Petersburg.
Editorische Anmerkung:
1. Str.: "Melitopler Kreis": Melitopoler Kreis; Verwaltungsbezirk in der Südukraine.
12. Str.: "taurisches Gebiet": Taurien ist einerseits eine umgangssprachliche Gebietsbezeichnung für die Südukraine, andererseits war es zeitweilig der Name eines Verwaltungsbezirkes, der weite Teile der südlichen Ukraine umfasste.
last modified
16.09.2013 02:13