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Christus, der ist mein Leben


Der Choral "Christus, der ist mein Leben" gehört heute zu den bekanntesten Sterbe- und Begräbnisgesängen der deutschsprachigen Christenheit. Entstanden ist er im frühen 17. Jahrhundert. Das ursprünglich im Protestantismus beheimatete Lied wird seit dem 20. Jahrhundert auch von katholischen Gemeinden bei Bestattungen und Trauerfeiern gesungen.

I. Das Lied "Christus, der ist mein Leben" thematisiert das christliche Sterben. Die ersten drei Strophen haben einen bekenntnishaften Charakter und fassen in Kurzform die protestantische Sterbetheologie zusammen. Bezugspunkt ist dabei der Tod Christi – allerdings nicht aufgrund seines Vorbildcharakters, sondern der dadurch bewirkten Erlösung (Strophe 3). Im zweiten Teil des Liedes (Strophe 4 bis 7) wechselt die Kommunikationssituation: Christus wird nun in direkter Rede angesprochen und um Sterbebeistand angefleht. Am Schluss steht die Bitte um die Aufnahme in das Reich Gottes in dem heute missverständlichen Bild vom Kleben der Klette am Kleid.

II. Der mottohafte Beginn des Sterbeliedes geht auf den Philipperbrief zurück. Dort heißt es: "Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn" (1,21). Dieser Satz bringt das christliche Leben mit dem christlichen Sterben in Verbindung: Der Tod ist der Durchgang zu einem neuen, unverlierbaren Leben (vgl. die zeitgenössische Emblematik; Abb. 1). Der kreatürliche Tod mit seinen Schmerzen gerät dabei – wie das Lied deutlich zeigt – gerät dabei nicht aus dem Blick. Allerdings steht der Transitus im Vordergrund, nicht der physische Exitus.

III. Das Sterbelied wurde zum erstenmal in dem Gesangbuch von Melchior Vulpius (um 1570–1615) abgedruckt (Edition A). Der Weimarer Kantor bietet in diesem Buch (Erfurt und Jena 1609) sowohl einen vierstimmigen Kantionalsatz (mit dem Cantus firmus in der Oberstimme) als auch einen Alternativsatz für zwei Diskantstimmen, Alt und Tenor. Vermutlich hat Vulpius nicht nur die Sätze, sondern auch die Melodie geschaffen. Sie entwickelte sich zu einer Hauptmelodie des protestantischen Gemeindegesangs: Noch im Evangelischen Kirchengesangbuch von 1950 (Ausgabe für Baden) werden dieser Weise neben "Christus, der ist mein Leben" noch fünf weitere Liedtexte zugeordnet.

IV. Das Lied wurde bereits im 17. Jahrhundert in zahlreiche evangelische Gesang- und musikalische Andachtsbücher aufgenommen, zum Teil mit Textveränderungen und -erweiterungen. Rezeptionsleitend dürfte dabei die Veröffentlichung "Praxis pietatis melica" gewesen sein, in der das Lied seit 1662 mit der Melodie aus dem Gesangbuch von Vulpius enthalten ist. Im Aufklärungszeitalter bestand das Bedürfnis, das Lied sprachlich und theologisch den gewandelten Anschauungen anzupassen. Ein Zeugnis hierfür ist etwa die Fassung "Ja! Christus ist mein leben" aus dem Gesangbuch Altona 1781 (Edition B).

V. Mit der Gesangbuchrestauration im 19. Jahrhundert wurde die ursprüngliche Fassung des Liedes wiederhergestellt. Anstößig erschien jedoch die Metapher von der Klette am Kleid (Strophe 7). Hier wurden verschiedene Auswege gefunden, um das in der Moderne negativ konnotierte Bild zu vermeiden, etwa durch den Rückgriff auf das biblische Gleichnis von der Weinrebe (vgl. Joh 15,5). Diese Neuformulierung der siebten Strophe findet sich im "Deutschen evangelischen Gesangbuch" von 1915 (Edition C) genauso wie im "Evangelischen Kirchengesangbuch" von 1950. Überraschenderweise ist das neue "Evangelische Gesangbuch" (1996) dieser Tradition nicht gefolgt, sondern hat sich derjenigen Fassung angeschlossen, die im katholischen Einheitsgesangbuch "Gotteslob" 1975 erschienen ist (Edition D).

VI. Zum Lied "Christus, der ist mein Leben" entstanden neben der Melodie von Vulpius noch einige weitere, die sich jedoch nicht durchgesetzt haben. Der Choral wurde unzählige Male kirchenmusikalisch verarbeitet: sei es vokal-instrumental als Choralkantate (Johann Sebastian Bach BWV 95; Georg Philipp Telemann TWV 1:138) oder als kunstvolles Orgelwerk. Hier seien exemplarisch Johann Pachelbel (1653–1706) und Johann Gottfried Walther (1684–1748) für das Barockzeitalter, sowie Johann Christian Heinrich Rinck (1770–1846) und Helmut Bornefeld (1906–1990) für das 19. und 20. Jahrhundert angeführt, die jeweils Choralpartiten geschaffen haben.

VII. Im 20. Jahrhundert fand die Vulpius-Melodie zunehmend auch als Weise für das katholische Eucharistie-Lied "Beim letzten Abendmahle" Verwendung.  Außerhalb des Kirchengesangs und der Kirchenmusik wurde das Lied kaum rezipiert. Allerdings ist seine Verwendung bei Totenwachen (etwa in Kärnten und in der Slowakei) belegt.

MICHAEL FISCHER
(Mai 2005 / Juni 2007)



Literatur
  • Michael Fischer, Rebecca Schmidt: "Mein Testament soll seyn am End". Sterbe- und Begräbnislieder zwischen 1500 und 2000. Münster 2005, S. 67–96.
  • Michael Fischer: "Christus, der ist mein Leben". In: Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland hrsg. von Gerhard Hahn und Jürgen Henkys. Heft 9. Göttingen 2004, 57–62. Veränderter Wiederabdruck in: Ökumenischer Liederkommentar zum Reformierten, Katholischen und Christkatholischen Gesangbuch der Schweiz. Lf. 4. Zürich 2005.
  • Martin Blindow, Helmut Kornemann: "Christus, der ist mein Leben". In: Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Band III,2: Liederkunde. Hrsg. von Joachim Stalmann und Johannes Heinrich. Göttingen 1990, S. 343ff.

Editionen und Referenzwerke

Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: sehr häufig in Kirchengesangbüchern, verschiedentlich auf Flugschriften, selten in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: viele Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer: Christus, der ist mein Leben (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/christus_der_ist_mein_leben/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 16.10.2012 10:43
 

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