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Mir nach spricht Christus


Das Kirchenlied "Mir nach, spricht Christus, unser Held" thematisiert die christliche Nachfolge und den geistlichen Kampf. Entstanden ist das Lied im Zeitalter der Konfessionalisierung. Geschaffen wurde es von dem Konvertiten Johannes Scheffler (1624–1677), besser bekannt unter seinem Pseudonym Angelus Silesius. Ursprünglich verbreitete sich das Lied im Protestantismus, obwohl Scheffler der evangelischen Kirche den Rücken zugekehrt hatte. Heute wird das Lied von beiden christlichen Konfessionen gesungen.

I. Erstmals veröffentlicht wurde der Gesang von Johannes Scheffler 1668 im Fünften Buch seiner "Heiligen Seelen-Lust" (Edition A). In der Erstauflage von 1657 war das Lied – wie das gesamte Fünfte Buch – noch nicht enthalten. Vertont wurde der Text vom Breslauer Musiker Georg Joseph, über den wenig bekannt ist. Wie im ganzen Buch bietet der Komponist eine ariose Melodie mit Generalbass-Begleitung dar. Diese Melodie setzte sich jedoch nicht durch. Bereits 1695 wurde dem Text die Weise zu "Machs mit mir, Gott, nach deiner Güt" zugeordnet, die von Bartholomäus Gesius (um 1562–1613) stammt und von Johann Hermann Schein (1586–1630) bearbeitet worden ist. Diese Verbindung setzte sich durch und wird bis in die Gegenwart akzeptiert (Edition D und Edition E). Daneben entstanden im frühen 18. Jahrhundert weitere ariose Melodien zu Schefflers Lied, die allerdings keine nennenswerte Verbreitung fanden.

II. Im Lied "Mir nach, spricht Christus, unser Held" wird neben dem Motiv der imitatio Christi in Gestalt der Kreuzesnachfolge der Gedanke der militia Christi entfaltet (Strophe 4). Gemeint ist hier der geistliche Kampf (auch im Sinne der Selbstüberwindung), nicht der gewaltsam ausgetragene. Dieses Motiv wurde im 17. Jahrhundert auch in der Druckgraphik breit entfaltet (Abb. 1). Bemerkenswert ist die Kommunikationssituation des Liedes: In den Strophen eins bis fünf wird Christus redend eingeführt. Biblischer Hintergrund bilden die Stellen Mt 10,38f., 16,24f. (Aufforderung zur Kreuzesnachfolge) und Joh 8,12 ("Ich bin das Licht der Welt"), die ebenfalls als verba ipsissima (Worte Christi) gestaltet sind. In Strophe 6 ändert sich jedoch die Redessituation abrupt: Ein nicht näher bestimmtes Wir artikuliert eine Selbstaufforderung: Die Liedsänger bekräftigen ihre Bereitschaft zur Kreuzesnachfolge.

III. "Mir nach, spricht Christus, unser Held" wurde schon seit dem beginnenden 18. Jahrhundert von Protestanten rezipiert, obwohl Scheffler zum Katholizismus übergetreten war und sich in den Dienst einer aggressiv durchgeführten Gegenreformation gestellt hatte. Bemerkenswert dürfte sein, dass sich im Protestantismus die Rezeption von der Barockzeit (Edition B) bis in die Gegenwart durchzieht, während die Katholiken das Lied erst im 20. Jahrhundert mit der Veröffentlichung der Sammlung "Kirchenlied" von 1938 wiederentdeckt haben. Dies zeigt, dass der Prozess der Konfessionalisierung in der Frühen Neuzeit zumindest bei der Gebets- und Andachtsdichtung eine gewisse Durchlässigkeit und einen Austausch zuließ – entgegen dem theoretisch erhobenen Anspruch, das gesamte Leben der Menschen konfessionell exklusiv prägen zu wollen.

IV. Die Rezeptionsgeschichte des Liedes ist voller Texteingriffe, die das Bedürfnis dokumentieren, das Lied veränderten theologischen und ästhetischen Bedürfnissen anzupassen. Bereits Ende des 17. Jahrhunderts fügte der radikalpietistische Verleger und Buchhändler Andreas Luppius (1654–1731) eine weitere Strophe (nach der dritten) ein, die vom Freylinghausenschen Gesangbuch (Halle 1704) übernommen wurde. Dieser Textzusatz ist von der Barockzeit (Edition B) bis ins 20. Jahrhundert beibehalten worden, wie das rezeptionsgeschichtlich bedeutsame "Deutsche evangelische Gesangbuch" von 1915 belegt (Edition D). Daneben entstanden auch Liedbearbeitungen im Geist der Aufklärung, etwa für das Osnabrücker Gesangbuch von 1786 (Edition C). Diese arbeitete das Lied nicht nur poetisch, sondern auch theologisch um. Bemerkenswert ist dort beispielsweise die "Pazifizierung" des "Feldherrn", der zum "Führer" der Seelen mutierte. In der jüngsten Vergangenheit bietet das katholische Einheitsgesangbuch "Gotteslob" (1975) eine fünfstrophige Fassung (Edition E). Neben der Auslassung der dritten Strophe sind verschiedene Texteingriffe im Detail auszumachen, etwa die Tilgung des Begriffes "Tugend-Leben" in der zweiten Strophe. Darüber hinaus hielten die Redaktoren des katholischen Gesangbuchs einen erklärenden Zusatz für erforderlich: Offensichtlich gingen sie davon aus, dass die Rezipienten das Lied falsch verstehen, etwa im Sinne einer weltflüchtigen Askese.

V. Außerhalb des Kirchengesangs war dem Lied kaum eine Rezeption beschieden, wohl deshalb, weil es zu sehr christologisch geprägt ist und sich das Thema der Kreuzesnachfolge gegen eine breite Rezeption sperrt. Nicht verwunderlich ist jedoch, dass "Mir nach, spricht Christus, unser Held" von den "Deutschen Christen" im "Dritten Reich" nicht nur als "Heilandslied" verstanden, sondern mit dem Thema "Heilig Vaterland" und "Bereitschaft" in Verbindung gebraucht wurde (Gesangbuch "Großer Gott wir loben dich", Berlin 1941).

MICHAEL FISCHER
(Februar 2006 / September 2007)



Literatur
  • Ilsabe Seibt: Mir nach, spricht Christus, unser Held. In: Kirchenlied im Kirchenjahr. Fünfzig neue und alte Lieder zu den christlichen Festen. Hrsg. von Ansgar Franz. Tübingen 2002, S. 193–205.
  • Ernst Arfken: Mir nach, spricht Christus, unser Held. In: Handbuch zum Evangelischen Kirchengesangbuch. Bd. 3, Teil 2. Göttingen 1990, S. 211f.

Editionen und Referenzwerke

Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: keine Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: sehr häufig in Kirchengesangbüchern, gelegentlich in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: selten auf Tonträgern
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Darüber hinaus wurden auch die Bestände des Gesangbucharchivs Mainz sowie (hinsichtlich der Tonträger) des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer: Mir nach spricht Christus (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/mir_nach_spricht_christus/>.


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last modified 16.10.2012 10:44
 

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