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Mein Vater war ein Wandersmann


Der erstmals 1847 in einer Gedichtanthologie erschienene, von Florenz Friedrich Sigismund verfasste Liedtext "Mein Vater war ein Wandersmann" wurde bis ins frühe 20. Jahrhundert mehrfach vertont. Nur eine dieser Melodiefassungen erlangte durch die Wandervogel-Bewegung eine gewisse Verbreitung. Zum musikalischen Welterfolg wurde dann die Vertonung, die Friedrich Wilhelm Möller schuf. Das für die "Schaumburger Märchensänger", einen von seiner Schwester geleiteten Kinderchor, geschriebene Lied stand 1954 über Wochen in der englischen Hitparade ("The Happy Wanderer"). Dies zog wiederum viele deutsche und fremdsprachige Coverversionen nach sich, die z. T. ebenfalls zu Verkaufsschlagern wurden. Die große Popularität von Möllers "Mein Vater war ein Wandersmann" belegen auch Parodien aus dem Volksmund.

I. Der Text des Liedes "Mein Vater war ein Wandersmann" stammt aus der Feder von Florenz Friedrich Sigismund (1791–1877), beruflich zuletzt Justizrat in Blankenburg (heute: Bad Blankenburg), der auch als Schriftsteller und literarischer Übersetzer aus dem Französischen hervortrat. "Mein Vater war ein Wandersmann" ist das erste von sechs "Wanderliedern", die Sigismund zur 1847 im Bibliographischen Institut Hildburghausen erschienenen Gedichtanthologie "Weihnachtsbaum für arme Kinder" beitrug (Edition A). Der Hildburghausener Seminarmusiklehrer Johann Michael Anding (1810–1879) – bekannt auch als Volksliedsammler (s. Fauser 2003) – hat Sigismunds Text gleich zweifach vertont, wobei die Erstdrucke seiner beiden Chorsätze bislang nicht zu ermitteln waren. Als Eingangsstück exponierte einen davon die 1876 erschienene, von Carl Seitz herausgegebene "Sammlung ausgewählter Lieder und Gesänge für gemischten Chor" mit "70 Original-Compositionen beliebter Componisten der Gegenwart" (Edition B). Auf die Melodie von Andings zweiter Chorkomposition wurde das Lied "Mein Vater war ein Wandersmann" bis Mitte des 20. Jahrhunderts primär gesungen (Edition D).

II. Der Text des Liedes "Mein Vater war ein Wandersmann" ist den lyrischen Elogen auf das Wandern und die Erfahrungen in freier Natur zuzuordnen, die im 19. Jahrhundert in großer Zahl entstehen. Das "freudevoll" singende "Vögelein", das ständig "durch andre Fluren zieht", und das "lustig" rauschende "Bächlein", das "frei sich regt", versinnbildlichen dem lyrischen Ich, einem reisenden Handwerksburschen mit "Ränzel" und "Stab", die Ideale des Wanderns, das vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund einer zunehmenden Urbanisierung und Industrialisierung auch als bürgerliche Freizeitbetätigung entdeckt und geschätzt wird. In der zweiten der insgesamt fünf Strophen – die auch einmal unberücksichtigt bleiben konnte (Edition B) – werden zudem die gesundheitlichen Vorteile der Bewegung unter freiem Himmel herausgestrichen ("Das Wandern schafft stets frische Luft, / erhält das Herz gesund").

III. Bis ins frühe 20. Jahrhundert legten neben Anding noch einige weitere Komponisten Vertonungen von "Mein Vater war ein Wandersmann" vor, die z. T. in Schulliederbücher aufgenommen wurden. So findet sich etwa in der von Johann Diebold zusammengestellten "Liedersammlung für Volks- und Mittelschulen" (Freiburg i. Br. 1903) ein speziell Mädchenklassen zugedachter Liedsatz aus der Feder eines nicht näher bekannten Adolf Gönner (Edition C), ein anderer von Ludwig Kageler in "Frisch gesungen! Chorbuch für höhere Knabenschulen" (Hannover 1913, Nr. 116). Mit der Aufnahme ins Repertoire der Wandervogel-Bewegung gewann aber einzig die bereits erwähnte zweite Melodiefassung des Liedes von Anding eine gewisse Verbreitung. Das ursprünglich für vierstimmigen Männerchor geschriebene Werk wurde dabei in ein gitarrenbegleitetes Sololied transformiert (Edition D).

IV. Die heute bekannte Melodie von "Mein Vater war ein Wandersmann" entstand erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als Friedrich Wilhelm Möller für die 1949 von seiner Schwester Edith Möller gegründeten "Schaumburger Märchensänger" eine weitere Neuvertonung (mit dem Titel "Der fröhliche Wanderer") schuf (Edition E). Der Kinderchor präsentierte das Lied 1953 im Rahmen des Festivals "International Eisteddfod" in Llangollen (Wales) als Zugabe bei einer Aufführung, die von der BBC übertragen wurde. Das Lied wurde begeistert aufgenommen und binnen kurzer Zeit ein musikalischer Welterfolg. So war der für den englischsprachigen Markt in "Obernkirchen Children's Choir" umbenannte Chor mit "Mein Vater war ein Wandersmann" ("The Happy Wanderer") vom 22. Januar 1954 an 26 Wochen in der britischen Hitparade (seinerzeit noch eine Top 12). Das Lied wurde von Antonia Ridge ins Englische übersetzt (Edition F) und 1954 sowohl in Großbritannien wie in den USA in diversen Einspielungen veröffentlicht (u. a. Diana Decker, The Stargazers, Henri René and His Orchestra, Louis Prima and His Orchestra, Frank Weir, Tommy Leonetti), von denen einige ebenso Verkaufserfolge wurden. Auch in andere Sprachen wurde das Lied übersetzt und dort auf Platte vorgelegt (z. B. Alice Babs: "Den glade vandraren", Schweden 1954). In Deutschland fanden die "Schaumburger Märchensänger" mit "Mein Vater war ein Wandersmann" nach ihrem internationalen Durchbruch gleichfalls ein großes Publikum. Im Spielfilm "Der fröhliche Wanderer" (1955) sangen sie (in der Rolle eines Internatschores) das Lied gemeinsam mit dem (hier ihren Leiter mimenden) Tenor Rudolf Schock (Abb. 1). Zahlreiche weitere Interpreten (darunter Heino, Tony Marshall oder die Fischer-Chöre) haben in der Folge Möllers "Mein Vater war ein Wandersmann" eingesungen und daraus einen volkstümlichen Evergreen gemacht.

V. Auch in die mündliche Singpraxis ging Möllers Fassung von "Mein Vater war ein Wandersmann" ein. Aufnahme fand sie darüber hinaus in einer Reihe von Gebrauchsliederbüchern. Veröffentlicht wurde das Lied hier z. T. ohne Urheberangaben quasi im Sinne eines gesanglichen Gemeingutes, wie etwa ein 1971 zusammengestelltes Liederbuch für die katholische Jugendarbeit zeigt, das zudem einige Textparodien wiedergibt, die seinerzeit kursierten (Edition F). Mit einem neuen Text versehen ist Möllers Melodie im 'launigen' Schlager "Du guckst mich heut so anders an" von Gottlieb Wendehals (auf LP "Ervolkslieder", 1983).

TOBIAS WIDMAIER
Quellenrecherche: JOHANNA ZIEMANN
(August 2010)



Weiterführende Literatur
  • Peter Fauser: Die Volksliedsammlung des Johann Michael Anding aus Hildburghausen. Weimar und Jena 2003, S. 46–52 (Kapitel "Zur Biographie Andings").


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: sehr häufig in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: sehr viele Tonträger (ausschließlich Fassung Möller), einzelne Tonaufzeichnungen
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Tobias Widmaier: Mein Vater war ein Wandersmann (2010). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/mein_vater_war_ein_wandersmann/>.


© Deutsches Volksliedarchiv

 

last modified 29.09.2016 10:47
 

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