Skip to content. Skip to navigation

Liederlexikon

Personal tools
You are here: Home Lieder Hohe Nacht der klaren Sterne
Document Actions

Hohe Nacht der klaren Sterne


Bei "Hohe Nacht der klaren Sterne" handelt es sich um ein nationalsozialistisches Weihnachtslied, das 1936 von Hans Baumann (damals Referent der "Reichsjugendführung") veröffentlicht wurde. Dieses intentional antichristliche Lied sollte Lieder wie "Stille Nacht, heilige Nacht" verdrängen. Nach 1945 wurde es weiterhin rezipiert.

I. Der Autor des Liedes, Hans Baumann (1914–1988), ist vor allem durch das Lied "Es zittern die morschen Knochen" (1932) bekannt geworden. Nach 1933 war er in unterschiedlichen Funktionen für das nationalsozialistische Regime tätig und schrieb allein bis 1939 über 150 Sprechchöre, Kampflieder und Stücke. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Baumann als Kinderbuchautor erfolgreich. Sein Weihnachtslied wurde erstmals in der Sammlung "Wir zünden das Feuer" (Jena 1936) als Bestandteil der umfangreicheren Chordichtung "Den Müttern" veröffentlicht (Edition A).

II. Das Lied evoziert in der ersten Strophe ein nächtliches Naturbild, das mit den "Herzen" der Rezipienten in Zusammenhang gebracht wird. In der zweiten Strophe spielt der Autor auf die "Sonnenwendfeuer" an, die im Nationalsozialismus ein naturmythisches Ritual bildeten. Zugleich wird daran erinnert, dass sich die Erde "wie ein junggeboren Kind" erneuere. Das Stichwort "Kind" stellt einen losen Bezug zum christlichen Weihnachtsfest her, allerdings eher motivgeschichtlich als inhaltlich. In der dritten Strophe wendet Baumann das Naturmythische ins Völkische: Gepriesen wird nicht das Kind (wie in der christlichen Tradition), sondern die Rolle der Mütter.

III. Nach der Erstveröffentlichung hat "Hohe Nacht der klaren Sterne" eine sprachliche Bearbeitung erfahren und wurde in dieser Form populär. NS-Liederbücher und parteiamtliche Veröffentlichungen verbreiteten Text und Melodie, insbesondere die Literatur zur nationalsozialistischen Feier des Weihnachtsfestes (Edition B). Im "Dritten Reich" wurde es als "wahres Volkslied" (Paul Alverdes) bezeichnet und erfreute sich einiger Beliebtheit. Bereits zwei Jahre nach dem Erstdruck, also 1938, erschien eine Weihnachtsliedersammlung, die sogar den Haupttitel "Hohe Nacht der klaren Sterne" trug (Wolfenbüttel 1938). Später pries die Zeitschrift "Reichsrundfunk" (Nr. 19, 1942/43) den Gesang als das "schönste Weihnachtslied aus unserer Zeit". Der Erfolg des Liedes beruhte darauf, dass hier Schüsselbegriffe des Nationalsozialismus wie "Naturmystik, Mutterkult und Neugeburt" (Esther Gajek) zusammengebracht wurden. Der Rezeptionshorizont war sogar für Christen offen, weil das Lied seine Ideologie nicht kämpferisch, sondern sublim vortrug. Der "Schein des Bekannten" ermöglichte eine Aufnahme auch bei denjenigen, die nicht aktiv für die nationalsozialistische Weltanschauung eintraten. Das gilt auch für die formal durchaus gelungene Melodie, die ebenfalls von Baumann geschaffen wurde.

IV. Nach 1945 riss die Rezeption des Liedes nicht ab: In der Bundesrepublik wurde das Lied in verschiedenen Liederbüchern abgedruckt, etwa in der Sammlung "Unser fröhlicher Gesell" (Wolfenbüttel 1956). Selbst in einem Liederbuch des Deutschen Gewerkschaftsbundes (Essen 1948) ist "Hohe Nacht der klaren Sterne" enthalten. Die Einschätzung, dass das Lied in der Deutschen Demokratischen Republik als Kindergartenlied eine nennenswerte Verwendung gefunden habe (Gajek 1994/2001), läßt sich nicht verifizieren. In den Liederbüchern der DDR spielt "Hohe Nacht der klaren Sterne" jedenfalls keine Rolle.

V. In der Gegenwart wird das nationalsozialistische Weihnachtslied entweder aus Unkenntnis oder bewusst vornehmlich in rechtskonservativen Kreisen verbreitet und rezipiert. So hat es beispielsweise auch der Schlagersänger Heinz Georg Kramm (geb. 1938, Künstlername: "Heino") auf Schallplatte eingespielt. Gegenwärtig vertreibt der Bund der Vertriebenen Nordrhein-Westfalen eine Weihnachtslieder-CD unter dem Titel "Hohe Nacht der klaren Sterne", die ebenfalls das Baumann-Lied enthält. Diese Beispiele belegen eindrucksvoll die geschickten Propagandamethoden des "Dritten Reiches": Scheinbar harmlos daherkommend wurde die nationalsozialistische "Weltanschauung" so verpackt, dass die Identifikation mit den entsprechenden Inhalten relativ leicht fällt und – offenbar zuweilen bis heute – ihre reale Herkunft und Intention verkannt wird.

MICHAEL FISCHER
(März 2006 / November 2010)



Literatur
  • Esther Gajek: "Hohe Nacht der klaren Sterne" und andere "Stille Nacht" der Nationalsozialisten. In: Thomas Hochradner, Gerhard Walterskirchen (Hrsg.): 175 Jahre „Stille Nacht! Heilige Nacht!“. Symposiumsbericht. Salzburg 1994, S. 200–220. – Leicht überarb. Nachdruck in Richard Faber (Hrsg.): Säkularisierung und Resakralisierung. Zur Geschichte des Kirchenliedes und seiner Rezeption. Würzburg 2001, S. 145–164, bes. 147–150.


Quellenübersicht
  • Ungedruckte Quellen: kaum Aufzeichnungen aus mündlicher Überlieferung
  • Gedruckte Quellen: vereinzelt auf Flugschriften, verschiedentlich in Gebrauchsliederbüchern
  • Bild-Quellen: —
  • Tondokumente: etliche Tonträger
Berücksichtigt werden hier primär Quellen, die im Deutschen Volksliedarchiv (DVA) erschlossen sind. Hinsichtlich der Tonträger wurden auch die Bestände des Deutschen Musikarchivs (Leipzig) miteinbezogen.



Zitiervorschlag
Michael Fischer: Hohe Nacht der klaren Sterne (2007). In: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. URL: <http://www.liederlexikon.de/lieder/hohe_nacht_der_klaren_sterne/>.


© Deutsches Volksliedarchiv
last modified 12.09.2012 12:00
 

nach oben | Impressum